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Multinationale Unternehmen setzen auf Lehre in Englisch

IT-Lehrlinge brüten über einer kniffligen Aufgabe. Im Kanton Zug können sie dabei gleichzeitig ihr Englisch verbessern. swissinfo.ch

Obschon Englisch nicht eine der vier Schweizer Landessprachen ist, ist es die Umgangssprache der meisten im Land ansässigen internationalen Konzerne. Ein neues Berufsbildungsangebot richtet sich an Unternehmen, die das Englisch ihrer künftigen Angestellten verbessern wollen. 

An diesem Donnerstagnachmittag könnte man am Sitz von Roche Diagnostics eine Stecknadel fallen hören. So ruhig ist es in den Klassenzimmern, wo die Auszubildenden ihrem Lehrer Reto Seiz zuhören. Seiz erklärt die nächste Aufgabe in einem Englisch mit einem deutschschweizer Akzent.

Einige der Lehrlinge gehören zu den ersten, die an einem neuen internationalen Lehrangebot teilnehmen. Es richtet sich an kaufmännische Angestellte und Informatiker und ist ein Projekt des Kantons Zug. «Im Visier haben wir Lehrlinge, die gut Englisch sprechen und Kinder von Expats, die bei internationalen Firmen arbeiten», sagt Bruno Geiger vom Zuger Amt für Berufsbildung. Expats blieben mittlerweile länger in der Schweiz und seien daran interessiert, sich selber und ihre Kinder zu integrieren. Doch sie seien auch sehr schwer von dem neuen Angebot zu überzeugen. «Das duale Ausbildungssystem ist kompliziert und die meisten kennen nur den akademischen Weg», sagt Geiger.

Die Lehrlinge bei Roche Diagnostics kommen aus verschiedenen Ländern, einer kommt von den Philippinen, andere aus der Schweiz und einige stammen aus Südkorea und verbringen ein Austauschjahr in der Schweiz. Im Video berichten sie und ihr Lehrer über ihre Erfahrungen.

Geiger kam zusammen mit einem Kollegen auf die Idee für englischsprachige Ausbildungsplätze. Anstoss war der Wunsch, Schweizer Jugendliche global wettbewerbsfähiger zu machen und gleichzeitig die Möglichkeiten für ausländische Firmen zu verbessern. Die Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte wurde seit der Abstimmung vom 9. Februar 2014, als das Stimmvolk die Einführung von Quoten gutgeheissen hatte, schwieriger.

Unterstützung ist gefragt

Die meisten internationalen Unternehmen mit Sitz in der Schweiz rekrutieren junge Arbeitnehmer und Auszubildende aus dem Ausland. Eine Umfrage des Schweizer Fernsehen SRF im März dieses Jahres hat ergeben, dass sich die Belegschaften von in der Schweiz ansässigen Firmen wie Novartis, Roche und Nestlé bis zu zwei Dritteln aus ausländischen Arbeitskräften zusammensetzen.

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Obwohl die Ausbildung von Arbeitnehmern in der Schweiz auch für multinationale Unternehmen zugänglich ist, seien die Führungsetagen wenig vertraut mit dem dualen Bildungssystem der Schweiz, sagt Geiger. 70% der jungen Schweizerinnen und Schweizer absolvieren eine Berufslehre. In den von SRF befragten Unternehmen machen die Lehrlinge weniger als 3% der Arbeitnehmenden aus. In Schweizer Firmen wie ABB oder Swisscom arbeiten zwischen 5 und 7% Lehrlinge.

Laut Geiger sind die im Kanton Zug beheimateten multinationalen Firmen wie Glencore oder Johnson & Johnson der Idee der englischsprachigen Berufslehre gegenüber aufgeschlossen, doch sie benötigten dabei Unterstützung. Zu diesem Zweck wurde die Firma «Bildxzug» gegründet. Sie kümmert sich um die Organisation der Ausbildung der Lehrlinge. Die Firmen bezahlen dafür eine Gebühr.

Unbekannte Fachhochschulen

«Wenn eine internationale Firma damit beginnt. Lehrlinge anzustellen, dann ist für sie das duale Ausbildungssystem neu und unbekannt», sagt der Direktor von Bildxzug, Beat Gauderon. «Wir kümmern uns um die Beratung und die Betreuung der Firmen.»

Internationale Lehre in Zug

Um zum Programm zugelassen zu werden, müssen die Lehrlinge fliessend Deutsch sprechen und eine schriftliche Sprachprüfung bestehen. Der Grad der geforderten Sprachkompetenz ist für Informatik-Lehrlinge etwas niedriger als für kaufmännische Lehrlinge. Kaufmännische Lehrlinge müssen zudem Basiskenntnisse in Französisch mitbringen. Zudem müssen die Schüler die Sekundarstufe mit guten Noten abgeschlossen haben.

Die Lehrlinge gehen zwei Tage pro Woche in die Schule und arbeiten während drei Tagen bei ihrer Firma.

Die kaufmännische Lehre dauert drei, die Informatik-Lehre vier Jahre.

Laut Geiger gibt es unverbindliche Kontakte, um das Programm auf die Kantone Zürich und Genf auszuweiten. Entschieden sei jedoch noch nichts.

Zurzeit nehmen laut Gauderon zwölf Lehrlinge am Pilotprojekt teil. Sieben sind kaufmännische Lehrlinge und fünf absolvieren eine Informatik-Lehre. «Die Anzahl Lehrlinge ist noch immer bescheiden, aber die grosse Zahl an Anfragen hat uns überrascht. Es gibt sehr viele Eltern, die mehr wissen wollen über die Karriere-Möglichkeiten von Lehrlingen im schweizerischen System», so Gauderon. Deshalb rechnet er in Zukunft mit steigenden Zahlen für die englischsprachige Lehre. Er unternimmt alles, um die Eltern darüber aufzuklären, dass nach der Lehre der Weg an die Fachhochschulen offen ist, deren Abschlüsse international anerkannt werden.

«Unsere ersten Erfahrungen zeigen, dass viele Leute das für einen guten Weg halten. Die Leute haben gewisse Vorbehalte gegenüber Pilotprojekten, weil sie nicht wissen, ob das Projekt weiter geht und ob das gut sei für ihre Kinder. Wenn wir beweisen können, dass der Weg zum Erfolg führt, dann glaube ich, wird es zu einer Karriere-Offerte des Kantons Zug», sagt Gauderon.

Fragezeichen

Nicht alle Politiker sind begeistert von der Idee einer eidgenössisch anerkannten englischsprachigen Lehre. Als der Kanton Zug im Frühjahr das Programm ankündete, gaben mehrere Parlamentarier gegenüber der Gratiszeitung 20 Minuten ihrer Befürchtung darüber Ausdruck, dass der Unterricht auf Englisch die Bedeutung des Deutschunterrichts untergraben könnte. «Die Lehrlinge könnten den Eindruck erhalten, Deutsch zu lernen sei nicht so wichtig», kritisierte Nationalrätin Verena Herzog von der rechts-konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP).

«Die Lehrlinge sollten sich darauf konzentrieren, ihre Berufskenntnisse zu erlangen und sollten nicht noch mit einer fremden Sprache beschäftigt sein, sagte ihr Partei- und Ratskollege Jürg Stahl.

Bruno Geiger weist darauf hin, dass ein hohes Niveau in Deutsch und in Englisch eine Voraussetzung ist, um am Programm teilzunehmen. Das habe dazu geführt, dass 2015 vier oder fünf Bewerber nicht zugelassen worden sind. Deshalb will sich Geiger dafür einsetzen, dass die sprachlichen Anforderungen gelockert werden und somit mehr englischsprachige Lehrlinge teilnehmen können, auch wenn ihr Deutsch nicht perfekt ist.

Locker hin und her

Zurück zu Roche Diagnostics: Die Lehrlinge wechseln locker zwischen den Sprachen hin und her, reden während den Pausen Schweizerdeutsch und im Klassenzimmer englisch. Bei den Gruppenarbeiten entsteht ein Mix aus beiden Sprachen. «Es macht Spass, in einer internationalen Atmosphäre so viel Englisch zu sprechen», sagt Yannick. Die meisten andern Lehrlinge sind mit ihm einverstanden, auch wenn einige darauf hinweisen, dass es zwischendurch anstrengend und ermüdend sei.

Nun ist es an Geiger und Bildxzug, weitere Lehrlinge, Eltern und Firmen davon zu überzeugen, dem Modell eine Chance zu geben. «Am Ende werden sie sehen, dass das innerhalb des Schweizer Bildungssystems ein guter Weg ist», sagt Geiger.

(Übersetzt aus dem Englischen: Andreas Keiser)

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