Wie sich die Schweiz für die Krypto-Ära rüstet
Mit dem Aufkommen so genannter Security-Token setzen auch grosse Börsen zunehmend auf die Blockchain-Technologie. Die Schweizer Börse steigt 2019 ein, mit dem offiziellen Segen des Bundesrats.
Die SIX GroupExterner Link will im digitalen Krypto-Markt vorne mitmischen. Deshalb treibt die Betreiberin der Schweizer Börse den Aufbau einer Plattform im Blockchain-Stil voran, die den Handel mit Krypto-Vermögenswerten ermöglichen soll.
Der australische Tech-Experte Jamie Skella schrieb 2017 in einem Artikel auf «LinkedIn» treffend, man könne sich eine Blockchain wie ein Kassenbuch vorstellen: «Sobald zwischen einem Absender und einem Empfänger eine Datentransaktion stattfindet, wird in das Kassenbuch eine neue Position eingetragen. Tausende Kopien dieses Kassenbuchs befinden sich auf Computern rund um den Globus. Sobald eine neue Position in eines dieser Kassenbücher eingetragen wird, erscheint dieser Posten in allen anderen Kassenbüchern und wird von den Computern, auf denen die Kassenbücher gespeichert sind, authentifiziert.»
Distributed Ledger Technology
Distributed Ledger Technology (DLT), zu Deutsch dezentral geführte Kontobücher, ist ein digitales System, das aufzeichnet, wem bestimmte Vermögenswerte gehören, und sicherstellt, dass die Buchhaltung stimmt. Es soll dereinst zum zentralen Buchhaltungssystem von Banken, Behörden und so weiter werden.
Das System speichert den vollständigen Verlauf aller Transaktionen in einem verschlüsselten digitalen Datenbankauszug, der für alle Teilnehmer sichtbar ist. Blockchain, die Basis für dezentrale Krypto-Währungen wie Bitcoin, ist eine Form von DLT.
Dies wird auch als Distributed-Ledger-Technologie, kurz DLT, bezeichnet (siehe Kästchen). Die Schweizer Börse verspricht sich von einer DLT-Plattform eine Reihe von Effizienzsteigerungen: schneller, kostengünstiger Handel, weniger Büroarbeit und die Möglichkeit, für jedes Wertpapier zahlreiche Security-Token auszugeben.
So genannte Security-Token sind so etwas wie Gutscheine für einen Vermögenswert (siehe Kästchen). Es sind verschlüsselte digitale Codes, die Finanzinstrumente wie Aktien, Anleihen oder sogar Immobilien und Kunst abdecken. Sie können direkt von einer Person an eine andere weitergegeben werden, wobei jede Transaktion in der Blockchain aufgezeichnet wird.
Die Grossen wollen mitspielen
Krypto-Assets waren bis vor kurzem die Domäne einer wachsenden Anzahl unabhängiger und weitgehend unregulierter Börsen. Mit dem Aufkommen von Token-Wertpapieren beziehen nun auch grosse nationale Börsen Stellung.
SIX Group kündigte im Juli an, einen umfassenden Service für Handel und Verwahrung digitaler Vermögenswerte aufzubauen, der Mitte nächsten Jahres bereitstehen soll. Neben dem effizienteren Handel mit Aktien und Anleihen wird die DLT-Plattform auch eine neue Form von Aktienvergabe via Token bieten, die es kleineren Unternehmen erleichtern soll, Kapital aufzunehmen.
Die Stuttgarter Börse, zu der auch die Berner Börse (BX) gehört, steht kurz davor, eine App für den Handel mit Krypto-Währungen über eine Tochtergesellschaft zu starten. Die Börse hat sich ausserdem mit dem Finanzdienstleister Solaris Bank zusammengetan, um einen «multilateralen Handelsplatz für Krypto-Währungen und Token» einzurichten.
Ob nun New York, Shanghai, London oder Frankfurt am Main, zahlreiche Börsen sind dabei, zumindest einen Teil ihrer Handelsdienstleistungen mit DLT auszubauen, um den aufkommenden Handel mit Token zu erschliessen. Im nächsten Jahr werden einige solcher Börsen gestartet.
Die Politik hinkt hinterher
Die neue Technologie muss aber noch in vollem Umfang getestet werden. SIX will bis Ende nächsten Sommers seine Plattform starten und wird zunächst eine begrenzte Auswahl an noch nicht definierten Dienstleistungen anbieten.
Security Token
Im Zusammenhang mit der Blockchain-Technologie versteht man unter Security-Token so etwas wie Kryptowährungen, die als Finanzvehikel dienen.
Es sind handel- und investierbare Rechte, verbrieft auf einer Blockchain, zum Beispiel Firmenanteile oder Anrechte auf Dividenden oder Immobilien.
Der Handel kann ohne Mittler und theoretisch auch ganz ohne Börsenplätze ablaufen, lediglich durch den Austausch von Besitzrechten an Token auf einer Blockchain.
Ähnlich wie Crowdfunding-Modelle ermöglichen Token einer Vielzahl von Investoren den einfachen Zugang zu Investitionen. Doch in Sachen Regulierung sind noch viele Fragen offen.
Daniel Diemers von «PwC Strategy &», der SIX berät, hält es für sinnvoll, die gesamte Wertschöpfungskette des Handels unter einem Dach anzubieten. «Händler wollen nicht an zehn verschiedene Orte fürs Abgleichen von Geschäften, Clearing und so weiter gehen», sagt er gegenüber swissinfo.ch. «Sie wollen das gesamte Paket an einem Ort, professionell ausgeführt.»
Einer der potenziell rentablen Geschäftsbereiche könnte die Bereitstellung qualitativ hochwertiger Echtzeit-Marktdatendienste für diese neue Handelsform sein, glaubt Diemers. Die Erhebung von Abonnementsgebühren für den Zugang zu Daten-Feeds oder die Bereitstellung spezialisierter Risikomanagement-Dienste könnte sich als lukratives Nebengeschäft erweisen.
Ein mögliches Hindernis für eine schnelle Einführung ist die Regulierung. Diese hinkt der Technologie noch hinterher. Liechtenstein ist im Begriff, ein neues Blockchain-Gesetz zu schaffen, während die Schweiz den Weg zu einer Aktualisierung der bestehenden Gesetze zur Einbindung von Krypto-Assets einschlägt.
Vergangene Woche zeigte sich der Bundesrat in einem Bericht überzeugt vom Potenzial der Blockchain-Technologie. Finanzminister Ueli Maurer erklärte, das enorme Wachstumspotenzial dürfe auf keinen Fall durch übertriebene Regulierung gestört werden.
«Regulierung ist wichtig»
Laut PwC kontrollieren die zehn grössten globalen Krypto-Börsen derzeit rund 70 Prozent des täglichen Handelsvolumens in Krypto-Assets. In der Schweiz dominieren TaurusExterner Link, Swiss Crypto Exchange SCXExterner Link und LykkeExterner Link.
Diemers glaubt, dass sich mit dem Einstieg der nationalen Börsen eine Konsolidierung einstellen könnte, wobei einige unabhängige Unternehmen entweder aus dem Geschäft ausscheiden oder mit den Schwergewichten verschmelzen werden.
Bei Taurus glaubt man, dass die grossen Börsen nicht alles über den Haufen werfen werden. Der Mitbegründer der Taurus Group, Lamine Brahimi, sagt, es gebe Raum für alle Arten von Handel.
«Der Markt für digitale Assets ist sehr vielfältig und segmentiert, und es gibt Platz für etablierte Unternehmen und neue Akteure», sagt Brahimi gegenüber swissinfo.ch. «Man benötigt vor allem Zugang zu Wissen, Fähigkeiten und Infrastruktur.»
Brahimi denkt, dass für jede Krypto-Transaktion eine behördliche Genehmigung nötig sein muss, wenn der Markt langfristig gedeihen soll. «Institutionelle Investoren wie Banken und Vermögensverwalter wollen regulierte Börsen, die den höchsten institutionellen Standards entsprechen», sagt er. «Bisher gibt es keine.»
Viele Experten glauben, dass die DLT-Technologie und die Security-Token die Finanzmärkte verändern werden, so dass mehr Menschen schneller und kostengünstiger Kapital aufnehmen und Handel betreiben können.
(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
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