Godard wählte den assistierten Suizid – diese Möglichkeit haben nicht alle
Jean-Luc Godard, der mit seinen Filmen ein Leben lang Neuland erkundet hatte, betrat auch bei seinem Tod ein wenig Neuland: Er wählte den assistierten Suizid, der in der Schweiz legal ist. In Frankreich und anderen Ländern wird derweil heftig über Sterbehilfe debattiert.
Am 13. September wurde bekannt, dass der 91-jährige Jean-Luc Godard die Dienste einer Sterbehilfeorganisation in Anspruch genommen hat, um sich das Leben zu nehmen. «Der Körper war müde. Er konnte nicht mehr mithalten», sagte ein Verwandter des französisch-schweizerischen Filmemachers. «Er konnte aufgrund verschiedener Krankheiten nicht mehr normal leben.»
In der Schweiz ist die Beihilfe zum Suizid erlaubt, allerdings unter strengen Bedingungen. Es gibt Organisationen, die den assistierten Suizid anbieten, aber sie dürfen keine «selbstsüchtigen Motive» haben. Die sterbewillige Person muss urteilsfähig sein und das tödliche Medikament selbst einnehmen.
Exit, die grösste Sterbehilfeorganisation des Landes, hat im Jahr 2021 fast 1400 Menschen in den Tod begleitet. Exit bietet seine Dienste nur Personen mit Wohnsitz in der Schweiz oder mit Schweizer Bürgerrecht an (also auch Auslandschweizer:innen). Andere Organisationen hingegen begleiten auch Personen aus Ländern, in denen Sterbehilfe verboten ist.
Im Mai 2022 verschärfte der Dachverband der Schweizer Ärzteschaft die Bedingungen für die Suizidhilfe. Die Ärzt:innen müssen nun mindestens zwei Gespräche mit der Person führen, die ihrem Leben ein Ende setzen möchte. Die Patient:innen müssen ihrerseits nachweisen, dass ihr Leiden unerträglich ist.
Also hat er den Tod selbst herbeigeführt. Der Tod, ja sogar der gewollte Tod, kam häufig vor in den Werken des Melancholikers. «Unsterblich werden und dann sterben», sagt der von Jean-Pierre Melville verkörperte Schriftsteller im Klassiker «Ausser Atem». Und in «Pierrot le fou» umwickelt Jean-Paul Belmondo seinen Kopf mit Dynamitstangen.
Godard sprach 1995 in «JLG/JLG» über seinen eigenen Tod, «ein Grabfilm, in dem die Trauerweiden eine leidende Trauer tragen […] Bäume und See reflektieren das Bild einer letzten Jahreszeit, des Winters», schrieb Le Monde. 2004 hatte er der Zeitung Libération anvertraut, dass er nach 1968 einen Selbstmordversuch unternommen habe, in einer etwas marktschreierischen Form, um Aufmerksamkeit zu erregen. Dem Magazin Inrockuptibles erzählte er ausserdem, dass er mehrmals darüber nachgedacht habe, sich das Leben zu nehmen, und «aus Angst» gezögert habe.
>> «Wenn ich zu krank bin, habe ich keine Lust, in einer Schubkarre herumgeschleppt zu werden», hatte Jean-Luc Godard Darius Rochebin in der Sendung «Pardonnez-moi» des französischsprachigen Schweizer Fernsehens RTS am 25. Mai 2014 gesagt (Video auf Französisch):
Frankreich: Grosse Debatte zeichnet sich ab
Am Tag, an dem der Suizid von Jean-Luc Godard bestätigt wurde, kündigte Präsident Emmanuel Macron eine «breite Bürger:innenbefragung» über das Lebensende an, die «im Hinblick auf einen möglichen neuen gesetzlichen Rahmen» durchgeführt werden soll.
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In Frankreich verbietet das Claeys-Leonetti-Gesetz von 2016 den assistierten Suizid, erlaubt aber bei Patient:innen im Endstadium einer tödlichen Krankheit und mit sehr grossen Schmerzen eine tiefe und kontinuierliche Sedierung bis zum Tod. Vor kurzem hat der Beratende Ethikausschuss seine Position gelockert und sich bereit gezeigt, eine «aktive Hilfe zum Sterben» zuzulassen, allerdings nur unter «strengen Bedingungen».
Es wird also im ganzen Land Debatten geben. Laut einer Erklärung des Élysée-Palastes sollen alle Bürger:innen die Möglichkeit haben, sich über die Herausforderungen am Lebensende zu informieren. Es werden auch Konsultationen mit Palliativteams sowie mit Parlamentarier:innen durchgeführt.
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Breiter Konsens: Warum Suizidbeihilfe in der Schweiz normal ist
Für die Änderung des Gesetzes zieht Emmanuel Macron sogar eine Volksabstimmung in Betracht. Es wäre die erste seit Beginn seiner Regierungszeit im Jahr 2017.
Andere Länder
Derzeit ist der assistierte Suizid in zehn Ländern erlaubt und aktive Sterbehilfe in fünf: in Spanien, den Niederlanden, Luxemburg, Belgien, Kanada und Kolumbien.
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Ausser der Schweiz, wo ist Sterbehilfe erlaubt?
Menschen, die ihrem eigenen Leben ein Ende setzen wollen, sehen sich jedoch auch in diesen Ländern mit zahlreichen Hindernissen konfrontiert. So ist der assistierte Suizid in den meisten Ländern auf Erwachsene beschränkt, die an einer unheilbaren Krankheit leiden. Nur die Niederlande und Belgien kennen ein «Recht zu sterben» auch für Personen unter 18 Jahren.
In den meisten Ländern, insbesondere in Asien und im Nahen Osten, sind assistierter Suizid und aktive Sterbehilfe vor allem aus religiösen oder kulturellen Gründen nach wie vor tabu.
Adaptiert aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi
Sibilla Bondolfi
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