Altershilfe: Nationalrat zeigt wenig Herz für Auslandschweizer
Die vorberatende Kommission wollte Ausländern den Eintritt ins Schweizer Sozialsystem erschweren. Damit hätte sie aber vor allem Schweizer im Ausland benachteiligt. Nach heftiger Kritik aus der Fünften Schweiz schwenkte die grosse Parlamentskammer um – ein bisschen.
Wer Ergänzungsleistungen beziehen will, muss zwar nicht zehn Jahre ohne Unterbruch in der Schweiz gelebt haben, aber mindestens zehn Jahre AHV- und IV-Beiträge bezahlt haben.
Die Hürde für den Bezug von Ergänzungsleistungen (EL) erhöhen, um dem Sozialtourismus einen Riegel zu schieben. Das war das Ziel der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit SGKExterner Link der grossen Parlamentskammer. Gemäss Kommissionsmehrheit sollte künftig nur noch Anspruch auf EL haben, wer mindestens zehn Jahre permanent in der Schweiz gelebt hat.
Die Antwort des Auslandschweizerrats (ASR) liess nicht lange auf sich warten. Am Wochenende verabschiedete der Rat mit 140 zu 0 Stimmen eine Resolution, in der er den Antrag der SGK «mit Entschiedenheit ablehnt» und die eidgenössischen Räte bittet, diese Diskriminierung zurückzuweisen.
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«Ohrfeige für Auslandschweizer»
Die grosse Parlamentskammer lehnte den Mehrheitsantrag der Kommission zwar ab, entschied sich aber für den Minderheitsantrag, der anstelle einer Mindestwohnsitzdauer eine Mindestbeitragsdauer von zehn Jahren fordert. Damit komme man den Anliegen der Fünften Schweiz entgegen, fanden einige Sprecher der bürgerlichen Parteien.
Die linksgrüne Minderheit unterlag mit ihren Anträgen, auf die Linie der kleinen Parlamentskammer und des Bundesrats einzuschwenken. Nationalrat Carlo Sommaruga, Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei (SP), legte sich vergeblich für die «Botschafter der Schweiz» ins Zeug. «Ist Ihnen bewusst, dass sie den Auslandschweizern eine schallende Ohrfeige verpassen?», fragte er.
Die Antwort von Kommissionssprecherin Ruth Humbel von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) kam postwendend. «Wir wollen nicht den Anreiz schaffen, dass man im Ausland bleibt, und wenn man kein Geld mehr hat, kommt man zurück in die Schweiz, weil man weiss, dass einem hier geholfen wird.»
SGK-Präsident Thomas de Courten begründet den Antrag der Kommission gegenüber swissinfo.ch damit, dass mit der heutigen Regelung viele Ausländerinnen und Ausländer, vor allem aus EU- und EFTA-Staaten, die kaum in der Schweiz gearbeitet haben, mit einer minimalen Beitragszeit das volle Ergänzungsleistungs-Programm in Anspruch nehmen könnten. «Genau gleich, wie all jene, die ein Leben lang Beiträge geleistet haben. Das ist stossend», sagt de Courten.
Gesucht: Ei des Kolumbus
Hatte die Kommission schlicht nicht an die Fünfte Schweiz gedacht? De Courten sagt dazu nur: «Ich habe die Reaktion der Auslandschweizer Organisation zur Kenntnis genommen. Ich wische deren Argumente nicht vom Tisch. Die eigentliche Krux liegt aber in den Schweizer Sozialversicherungsabkommen mit EU-, EFTA- und vielen anderen Staaten, die eine absolute Gleichbehandlung von Ausländern und Schweizern festlegen. Das muss zuerst korrigiert werden.» Für Personen, die kaum Beiträge geleistet hätten, dürfe kein genereller Anspruch zulasten der Solidargemeinschaft generiert werden.
Er selber habe den Minderheitsantrag der Kommission unterstützt, die eine Mindestbeitragszeit von zehn Jahren vorsieht und jetzt von der grossen Parlamentskammer angenommen wurde. «Diese Variante würde die Benachteiligung der Auslandschweizer aufheben.» Aber der Auslandschweizerrat hatte am Wochenende auch den Minderheitsantrag einstimmig abgelehnt.
«Vielleicht haben wir in der Kommission das Ei des Kolumbus noch nicht gefunden», räumt der Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) ein. «Wir haben aber noch die Möglichkeit, eine bessere Lösung zu finden, um die bestehende unbefriedigende Situation zu korrigieren», sagt de Courten mit Blick auf eine zweite Debatte in den Parlamentskammern.
Ergänzungsleistungen (EL) Vor allem infolge des demografischen Wandels aber auch politischer Entscheide wurden dem System der Ergänzungsleistungen laufend mehr Lasten aufgebürdet.
Seit 2005 stiegen die Kosten um jährlich rund 5% auf heute fast 5 Mrd. Franken.
EL sind immer an bereits bestehende Leistungen der AHV/IV gekoppelt. Anspruchsberechtigt sind Versicherte, die im Alter oder bei Invalidität ihren Existenzbedarf nicht aus eigenen Mitteln decken können. Rund 320’000 Personen beziehen in der Schweiz EL.
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