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Rückerstattung der Mubarak- oder Ben-Ali-Vermögen bleibt Knacknuss

Die Wirtschaftsflaute ist auch auf diesem Souk in Tunis zu spüren, wo der "arabische Frühling" seinen Anfang nahm. AFP

Mehr als eine Milliarde Franken bleiben seit den arabischen Revolten auf helvetischen Bankkonten gesperrt. Instabilität vor Ort und juristische Rekurse machen die Rückerstattung für die Schweizer Behörden zum Hindernislauf. Auch vom neuen Gesetz, das im Parlament in Bern behandelt wird, kann man keine Wunder erwarten.

«Ihr Schweizer seid reich dank dem Geld der Diktatoren», sagt ein Krämer in Tunis. «Wo bleibt das Vermögen des Clans von Zine el-Abidine Ben Ali, des gestürzten Präsidenten Tunesiens?». Die Bürger der jungen Demokratie im Maghreb sind nicht die einzigen, die sich diese Frage stellen. Fast eine Milliarde Franken, die mutmasslich unrechtmässig erworben wurden, sind laut den eidgenössischen Behörden seit Beginn der Revolten im arabischen Raum immer noch in der Schweiz gesperrt: 650 Mio. für Ägypten, 120 Mio. für Syrien, 90 Mio. für Libyen, 60 Mio. für Tunesien.

«Es ist normal, dass das Rückgabe-Verfahren seine Zeit braucht, weil es nach den Grundsätzen des Rechtsstaats abläuft. Diese verlangen, dass mutmasslich unrechtmässig erworbenes Vermögen im Rahmen eines juristischen Verfahrens im Herkunftsland oder in der Schweiz bewiesen werden müssen», sagt Pierre-Alain Eltschinger, Mediensprecher des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

«Das hat zur Folge, dass die Besitzer der Guthaben vom Rekursrecht Gebrauch machen und das Verfahren so verlängern können.»

Die Untersuchungen sind komplex, und die Fortschritte hängen stark von der Zusammenarbeit des betroffenen Staats ab.

Im Fall von Tunesien funktioniert die Zusammenarbeit im Allgemeinen verhältnismässig gut. «Die Gesamtheit der verlangten Beweismittel» wurden im Rahmen eines Rechtshilfegesuchs übermittelt», sagt Raphael Frei, Mediensprecher des Bundesamts für Justiz (BJ). Tunesien, die Wiege des «arabischen Frühlings», ist das Land, das die Revolution, die am 14 Januar 2011 mit dem Sturz von Ben Ali begann, am besten gemeistert hat. Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurden Ende 2014 erfolgreich durchgeführt. Trotzdem bleibt das Rechtssystem Tunesiens fragil, und die Rückforderung unrechtmässig erworbener Vermögen ist für den nordafrikanischen Staat Neuland.

Im April 2014 hatte die Bundesanwaltschaft im Rahmen eines Rechtshilfegesuchs die vorzeitige Herausgabe von 40 Millionen Franken im Besitz von Belhassen Trabelsi, dem Schwager Ben Alis, an den tunesischen Staat verfügt, in der Annahme, dass sich der unrechtmässige Erwerb der Gelder ausreichend ermitteln lasse. Im Dezember hat das Bundesstrafgericht in Bellinzona den Entscheid mit der Begründung annulliert, dass Trabelsis Recht auf Anhörung verletzt worden sei. Die mit dem Dossier betrauten Personen, die swissinfo.ch kontaktiert hat, konnten dazu keine neuen Fakten bekannt geben.

Der heikle Fall Ägypten

Noch komplizierter ist die Zusammenarbeit mit Ägypten. «Eines der grössten Probleme besteht darin, dass die Gesprächspartner der Schweiz in dem Land dauernd ändern», sagt Mark Herkenrath, Direktor von Alliance Sud, dem Dachverband der Schweizer Hilfswerke. «Es ist sehr schwierig, gute Arbeitsbeziehungen aufrechtzuerhalten.»

Ägypten, das derzeit von Staatschef Abdel Fattah al-Sisi mit eiserner Faust regiert wird, ist seit dem Sturz von Hosni Mubarak am 11. Februar 2011 von politischer Instabilität geprägt. Hinzu kommt, dass die ägyptische Justiz im November 2014 die Anklage wegen Beihilfe zu Mord gegen Mubarak aufgehoben hat. Er wird beschuldigt, die Schüsse auf die Manifestanten befohlen zu haben. Dies macht es umso schwieriger zu beweisen, dass das Geld des Ex-Diktators und seines Umfelds unrechtmässig erworben wurde.

Die Bundesanwaltschaft hat letzten Juni entschieden, die Strafverfahren gegen dreizehn Personen aus dem Umfeld Mubaraks wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung teilweise einzustellen. Dieser Entscheid, der die Freigabe eines Teils der blockierten Gelder zur Folge hätte, kann noch nicht umgesetzt werden. Ägypten hat nämlich die Einstellung des Strafverfahrens beim Bundesstrafgericht angefochten. Das Rechtshilfeverfahren wurde laut Bundesamt für Justiz angesichts der schwierigen politischen Situation in diesem Staat suspendiert.

Ermittelt werde aber weiterhin wegen Geldwäscherei und Korruption. Damit diese erfolgreich abgeschlossen werden könnte, müsste die Bundesanwaltschaft die kriminelle Herkunft der Gelder beweisen können. Olivier Longchamp, Experte für Steuerfragen und internationale Finanzen bei der Nicht-Regierungsorganisation «Erklärung von Bern», bezweifelt, ob das Verfahren abgeschlossen werden kann: «Ich glaube nicht, dass die Schweizer über genügend Beweismittel verfügt.»

Noch komplexer sind die Dossiers für Syrien und Libyen, weil in beiden Ländern ein Bürgerkrieg tobt. Letzten Juni hat das Bundesverwaltungsgericht einen Rekurs des syrischen Milliardärs Rami Makhlouf, ein Cousin von Präsident Baschar al-Assad, abgewiesen. Wie gross dessen Vermögen in der Schweiz ist, ist nicht bekannt.

Die Untersuchungen in Zusammenhang mit Libyen betreffen laut der Monatszeitschrift La CitéExterner Link 18 Konten auf drei Schweizer Banken mit Verzweigungen in mehreren Ländern.

Beschränkte Wirkung des neuen Gesetzes

Könnte das Bundesgesetz über die Sperrung und Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte politisch exponierter Personen (SRVG), über das derzeit im Parlament debattiert wird, die Verfahren erleichtern?

Nicht so für Syrien und Libyen: Die Vermögenswerte aus diesen Ländern wurden auf der Basis der Sanktionen des Bundesrats im Rahmen der Restriktionen des UNO-Sicherheitsrats und der EU eingefroren. «Die Sperrung der syrischen und libyschen Vermögen basiert nur auf dem Embargo-Gesetz [Bundesgesetz über die Durchsetzung von internationalen Sanktionen]», sagt Antje Baertschi, Mediensprecherin des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), das für die Umsetzung der internationalen Sanktionen in der Schweiz verantwortlich ist.

Das neue Gesetz wird allerdings vom Zeitpunkt des Inkrafttretens für die Dossiers Ägypten und Tunesien gelten. Die Guthaben sind auf der Basis der Blockierungsverordnungen des Bundesrats von 2011, die bis 2017 verlängert wurden, gesperrt worden. Diese stützen sich auf Artikel 184, Absatz 3, der Bundesverfassung, der die Regierung ermächtigt, «wenn es die Wahrung der Interessen des Landes erfordert», die «Verordnungen anzuwenden und die notwendigen Entscheidungen zu treffen». Aber welches sind die Auswirkungen des Gesetzes?

Das SRVG übernimmt das Recht und die aktuelle Praxis, was die Rückerstattung der Vermögen betrifft. Es enthält auch mehrere Erneuerungen, darunter die Möglichkeit, ein verwaltungsrechtliches Verfahren vor Schweizer Gerichten einzuleiten, um bereits gesperrte Vermögen einzuziehen, wenn die Rechtshilfe versagt hat. Es sieht auch eine Umkehr der Beweislast vor: Im Fall von offensichtlicher Korruption werden die Besitzer beweisen müssen, dass ihre Vermögen nicht unrechtmässig erworben wurden.

Im Fall von Tunesien scheint die verwaltungsrechtliche Einziehung unnötig zu sein, zumal die Rechtshilfe funktioniert. Ausserdem versucht die Bundesanwaltschaft, den Ben-Ali-Clan als kriminelle Organisation zu erklären, was eine Umkehr der Beweislast erlauben würde. Das SRVG könnte hingegen die Situation mit Ägypten deblockieren, sagt Olivier Longchamp von der Erklärung von Bern. «Es ist nicht sicher, ob sich diese Bestimmungen anwenden lassen, weil eine ganze Reihe von Bedingungen erfüllt sein müssen», warnt er.

«Das Gesetz wurde nicht nur mit Blick auf die mit dem arabischen Frühling zusammenhängenden Fälle erarbeitet «, sagt Pierre-Alain Eltschinger vom EDA. «Es handelt sich weder um eine Lex Mubarak, noch um eine Lex Ben Ali. Die vom Bundesrat erlassene Sperrung betrifft seit 2014 auch andere Länder, wie etwa die Ukraine. Es obliegt dem Bundesrat, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob er von den neuen Möglichkeiten – insbesondere der verwaltungsrechtlichen Einziehung – Gebrauch machen will.» Das SRVG habe nicht zum Ziel, das Rechtshilfeverfahren zu ersetzen. Dieses bleibe weiterhin der bevorzugte Weg.  

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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