Hans-Ulrich Bigler: christliche Führungskraft mit scharfer Zunge
"Haudegen", "Rabauke", "Lügner"….Die Attribute, die ihm manche Kritiker für seine Politik anhängen, deuten nicht auf eine christliche Gesinnung hin. Dabei ist Hans-Ulrich Bigler, Direktor des einflussreichen Schweizerischen Gewerbeverbands, überzeugter Christ. Die Angriffe auf seine Person seien Ausdruck mangelnder Argumente, sagt der streitbare Neo-Nationalrat, der im Parlament kein Hinterbänkler sein wird.
Kaum war er gewählt, ging er auf Konfrontationskurs zur eigenen Partei, der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen). Während die FDP vor der Abstimmung über die Initiative zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller AusländerExterner Link vom 28. Februar nicht nur die Nein-Parole herausgab, sondern sogar die Gegenkampagne anführte, stimmte der neugewählte FDP-Nationalrat in den Chor der Befürworter ein.
Neu im Parlament
Die Tochter von Christoph Blocher, ein kommunistischer Gemeindepräsident, der Chef der Weltwoche, eine junge Grüne: swissinfo.ch publiziert eine Auswahl von Porträts neuer Abgeordneter, die bei den Wahlen vom 18. Oktober 2015 ins Parlament gewählt wurden.
Mit seinem Vorpreschen hatte er für Kopfschütteln auch in den eigenen Reihen gesorgt. Laut verschiedenen Medienberichten wurde der neue Kollege in der Folge wegen seines Ausscherens von FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis ins Gebet genommen, worauf er sich bei seiner Partei entschuldigt habe.
«Ich äussere mich nicht mehr dazu», sagt Bigler im Gespräch mit swissinfo.ch, «weil es aus wirtschaftspolitischer Sicht kein Thema ist». In den Kernthemen weiche er nicht von der Parteilinie ab, sagt der freisinnige Nationalrat, von dem gesagt wird, dass er von der rechtskonservativen SVP mit offenen Armen empfangen würde.
Kernthemen sind für Bigler die Bekämpfung der Regulierungskosten, die Sicherung der bilateralen Verträge mit der EU, eine aktive Aussenwirtschaftspolitik sowie die Stärkung des Bildungssystems, insbesondere der Berufsbildung.
Rücktrittsforderung
In Szene gesetzt hat er sich in den letzten Jahren allerdings auch auf anderen politischen Schauplätzen, zum Beispiel als scharfzüngiger Kritiker in der Diskussion um die Finanzierung der Schweizerischen Radio und Fernsehgesellschaft SRG, zu der auch swissinfo.ch gehört. «Die Frage muss erlaubt sein, wie viel Steuern wir für den Service public des Staatsradios und -fernsehens bereitstellen wollen.»
Das habe nichts mit der redaktionellen Qualität der Beschäftigten zu tun, antwortet er dem SRG-Journalisten. «Aber ich bin der Meinung, dass die SRG nicht im Internetbereich tätig sein muss, um dort zusätzliche Werbegelder zu generieren.» In der Verfassung sei nämlich nur die Rede von Radio und Fernsehen, über einen Internetauftritt stehe nichts.
Zum Einwand, dass das Internet noch kein Thema war, als der Verfassungsartikel formuliert wurde, sagt Bigler: «Wenn man diesen ändern will, braucht es eine Verfassungsabstimmung.»
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Auf der politischen Bühne äusserte sich der Gewerbedirektor zuweilen so reisserisch, dass ihm auch Personen aus dem eigenen Lager vorwarfen, er habe einen schlechten Stil. Fathi Derder, ein Partei- und Nationalratskollege aus der Westschweiz, verlangte öffentlich sogar den Rücktritt des Gewerbedirektors. Die SGV-Spitze setze komplett falsche Prioritäten und führe ihren eigenen Wahlkampf, liess sich der ehemalige SRG-Mitarbeiter in Westschweizer Medien verlauten. Auf mehrere Anfragen von swissinfo.ch, wie er seine Kritik begründe, antwortete Fathi Derder allerdings nicht.
«Es gibt nicht christlichere oder weniger christliche Politik. Aber Wertvorstellungen können in die Politik einfliessen.»
Für eine zweite Gotthardröhre
In der Debatte um den Bau eines zweiten Strassentunnels durch den GotthardExterner Link, über den ebenfalls am 28. Februar abgestimmt wird, mischt Hans-Ulrich Bigler auch an vorderster Front mit, nämlich in den Reihen der Befürworter. Weil der bestehende Tunnel wegen Sanierungsarbeiten für den Strassenverkehr monatelang geschlossen werden muss, will die Regierung eine zweite Röhre erstellen lassen. Alpenschützer befürchten, dass damit das Ziel, den Verkehr von der Strasse auf die die Schiene zu verlagern, untergraben würde. Anstelle eines zweiten Tunnels fordern sie den Ausbau des Bahnverlade-Angebots.
Mitte Januar mobilisierte Hans-Ulrich Bigler, für einmal auf der Seite des Bundesrats, Wirtschaftsvertreter beidseits der Alpen, um den Medien zu erklären, dass die wichtige Handelsverbindung von der Schweiz nach Italien nur mit einer zweiten Röhre aufrechterhalten werden könne. «Die Wirtschaft ist nicht bereit, mit ungenügenden Verladeprovisorien Steuergelder in Milliardenhöhe zu verschleudern, nur um diese nach der Sanierung ohne Mehrwert wieder abreissen zu müssen», wetterte der Gewerbedirektor vor der Presse. Der Bau einer zweiten Röhre sei billiger und könne ohne wiederkehrende Kosten auch für künftige Sanierungen eingesetzt werden. Vor allem aber sei es eine Investition in die Sicherheit, weil der Verkehr richtungsgetrennt durch je eine Röhre geführt werden könne.
Was ist christliche Politik?
Obwohl sein Name wöchentlich mehrmals in irgendeiner Zeitung erscheint, weiss die Öffentlichkeit über das Privatleben des 58-Jährigen fast nichts. Er sei kein extrovertierter Typ, der alles und jedes aus seinem Privatleben öffentlich ausbreiten müsse. Auf die Frage, was er über sich preisgeben möchte, sagt der Vater von drei erwachsenen Kindern zögerlich: «Ich bin ein Familienmensch.» Und sonst? «Bekannt ist auch, dass ich gerne Motorrad fahre.» Auf seiner Harley-Davidson liess er sich einmal für einen Zeitungsbericht sogar fotografieren.
Dass er Mitglied des Forums christlicher FührungskräfteExterner Link ist, erwähnt er nicht von sich aus. Bei diesem Thema kommen dem redegewandten Politiker die Worte nicht so leicht über die Lippen. Die Frage, was den christlich sei an seiner Politik, kontert er mit einer Gegenfrage: «Was ist nicht christlich daran?» Dass seine Politik von den Parteien mit religiöser Bezeichnung selten unterstützt wird, sei kein Widerspruch. Es gebe nicht christlichere oder weniger christliche Politik. «Aber Wertvorstellungen», räumt Bigler ein, «könnten schon in die Politik einfliessen».
Nämlich? «Zum Beispiel Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrzunehmen, oder soziale Probleme anzugehen und zu lösen.» Wie die Lösungen auszusehen hätten, darüber könne man aber unterschiedlicher Meinung sein.
Und wie will der überzeugte Christ an der Spitze des Gewerbeverbands im Parlament die Probleme der sozial Schwächeren in der Gesellschaft lösen? «Wir haben ein äusserst fortschrittliches Sozialversicherungssystem. Für Menschen, die Schwierigkeiten haben, müssen wir mit einem sehr gut austarierten System Voraussetzungen schaffen, damit sie Tritt fassen und wieder ins Erwerbsleben eintreten können. Arbeit ist ein wichtiges Element für die eigene Würde», sagt der als Rabauke und Haudrauf verschriene Freisinnige.
Hans-Ulrich Bigler
ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern. Er wohnt in Affoltern am Albis (Kanton Zürich).
An der Universität Bern hatte er Volks- und Betriebswirtschaftslehre studiert, an der Harvard Business School eine Weiterbildung absolviert.
Seit 2008 ist er Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV). Der Dachverband hat 250 Mitgliedorganisationen und vertritt laut eigenen Angaben 300’000 Unternehmungen.
2015 wurde Hans-Ulrich Bigler für die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) in den Nationalrat gewählt.
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