Parlaments-Allianz will Holocaust-Denkmal für die Schweiz
450 Schweizerinnen und Schweizer haben den Holocaust nicht überlebt, 1000 waren in Konzentrationslagern interniert. Die Auslandschweizer-Organisation fordert seit Jahren eine Gedenkstätte. Jetzt kommt das Anliegen ins Parlament.
Die MotionExterner Link wird gleich in beide Kammern des Eidgenössischen Parlaments getragen. Ständerat Daniel Jositsch (SP/Zürich), hat sie gestern eingereicht. Nationalrat Alfred Heer (SVP/Zürich) zog heute nach. Die Forderung lautet: «Der Bundesrat wird beauftragt, einen offiziellen Schweizer Gedenkort für die Opfer des Nationalsozialismus zu schaffen.»
In der Begründung steht: «Auch künftige Generationen müssen wissen, was geschah, damit sie ein Bewusstsein dafür entwickeln können, wie fragil Demokratie und Rechtsstaat sind und wozu Rassismus und Diskriminierung führen können.» Die Forderung ist mitunterzeichnet von über einem Drittel aller Ratsmitglieder, darunter 106 Nationalräte, allen Fraktionspräsidenten und allen Parteipräsidenten.
Das ist viel Unterstützung und ein wichtiger Schritt für ein Anliegen, das am Auslandschweizerkongress 2018 in Visp seine InitialzündungExterner Link erfuhr. Damals beschloss die Auslandschweizer Organisation ASO, die Errichtung eines offiziellen Denkmals für die Schweizer Opfer des Nationalsozialismus in ihre Agenda aufzunehmen.
ASO-Präsident Remo Gysin zeigt sich heute «hoch erfreut über die Aktion der beiden Motionäre.» Gysin ist der eigentliche Vater der Idee. Er hat sie in den letzten drei Jahren breit abgestützt und in eine Steuerungsgruppe überführt. «Die vielen Mitunterzeichner der Motionen zeigen nun, wie breit das Spektrum ist, das einen Schweizer Ort der Erinnerung an die NS-Opfer will», stellt er zufrieden fest.
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Die Projektidee der Steuerungsgruppe «Schweizer Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus» wird laut Motionstext «in den nächsten Wochen als Konzept dem Bundesrat und der Öffentlichkeit vorgelegt». Dieses umfasst «einen von der offiziellen Schweiz getragenen Gedenkort im öffentlichen Raum, wo es auch ein Bildungs- und Informationsangebot gibt.»
Laut Radio SRFExterner Link gibt es in der Schweiz derzeit 54 Shoah-Mahnmale, darunter eine Gedenkstätte in Riehen BL oder ein Denkmal auf dem jüdischen Friedhof in Bern – einige liegen schlicht am Wegesrand, wie etwa in Büren an der Aare, wo auf ein ehemaliges Internierungslager hingewiesen wird. Aber «nur ganz wenige Landmarken werden von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen», stellte das Jüdische Wochenmagazin «TachlesExterner Link» kürzlich fest.
Was der Schweiz im Gegensatz zu vielen anderen Ländern also fehlt, ist eine offizielle, von der Schweiz getragene Stätte der Erinnerung. Die Schweiz habe etwas «nachzuholen, was in vielen Ländern als Mahnmal, Denkmal, Museum oder Bildungsinstitution seit Jahrzehnten etabliert ist» schreibt «Tachles».
Gemäss Konzept soll die Stätte allen Opfern des Nationalsozialismus Ehre erweisen: Verfolgten, Entrechteten und Ermordeten, Jüdinnen, Schweizern, Minderheiten, Oppositionellen, wie auch die an der Grenze zurückgewiesenen Flüchtlingen. Ebenso soll die Gedenkstätte an jene Personen erinnern, die den Verfolgten in der Schweiz Hilfe boten. Das Konzept geht damit über die ursprünglich von der ASO angedachte Erinnerung an Schweizer Opfern des Nazi-Regimes hinaus.
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Verbreitert hat sich mit der Idee aber auch der Kreis der Unterstützer: Über 100 Persönlichkeiten und Organisationen aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft unterstützen das Anliegen. Zu den Initianten zählen inzwischen auch der Schweizerisch Israelitische Gemeindebund, die Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft Schweiz und das Archiv für Zeitgeschichte. Unter den Befürwortern finden sich die Reformierte Kirche, Amnesty International, zahlreiche Kulturschaffende, Historiker und Politiker.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Idee einer Gedenkstätte ins Parlament getragen wird. Bereits 2018 wurde der Bundesrat per Interpellation gefragt, was er vom Ansinnen der Auslandschweizer-Organisation halte. Die Antwort der RegierungExterner Link damals: «Die zuständigen Stellen der Bundesverwaltung stehen dem Vorschlag aufgeschlossen gegenüber.» Dann versandete die Interpellation im Ratsbetrieb.
Die jetzt eingereichte Motion schafft höhere Verbindlichkeit, sie nimmt den Bundesrat direkt in die Pflicht. Der Bund wird nach der Vorstellung der Initianten dereinst in Zusammenarbeit mit den Kantonen über den Standort entscheiden. ASO-Präsident Remo Gysin sagt, dass von der offziellen Ausstrahlung her Bern als Standort infrage käme.
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