Bundesrat Johann Schneider-Ammann hat in Israel eine Paul-Grüninger-Strasse zu Ehren des St. Galler Polizeikommandanten und Flüchtlingshelfers eingeweiht. Dank Grüninger haben hunderte von Juden den Holocaust überlebt. Trotzdem bleibt er bis heute umstritten.
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swissinfo.ch/sb und Agenturen
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Israeli street named after Swiss who saved Jews
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Bundesrat Johann Schneider-Ammann hat am Montag in Israel die Paul-Grüninger-Strasse in der Stadt Rischon Lezion eingeweiht. Mit der Strasse wird der verstorbene St. Galler Polizeikommandant und Flüchtlingsretter Paul Grüninger (1891-1972) geehrt. Grüninger habe während des Zweiten Weltkriegs hunderte von Juden illegal die Einreise in die Schweiz ermöglicht, sagte Schneider-Ammann in seiner Rede zur Enthüllung des Strassenschilds in der viertgrössten Stadt Israels.
Diese Menschen wurden damit vor dem Tod in den Gaskammern der Nazis gerettet. «Die restriktive Flüchtlingspolitik der Schweiz, vor allem in den Jahren 1938 und 1942, ist sehr wahrscheinlich der dunkelste Moment unserer Geschichte», sagte der Bundesrat am letzten Tag seiner dreitägigen Nahostreise. Grüninger habe entschieden, dass ethische Werte wichtiger seien als seine Pflicht als Polizeikommandant. Er habe Menschlichkeit über seine Karriere, seinen sozialen Status oder seine persönliche Gesundheit gestellt, sagte Schneider-Ammann.
Mutiger Polizeikommandant
Grüninger nahm hunderte von Juden und andere Flüchtlinge trotz schweizerischer Grenzsperre in St. Gallen auf. Um sie zu schützen, missachtete er Weisungen des Bundes und Gesetze. 1939 entliess die St. Galler Regierung den Polizeikommandanten fristlos. 1940 wurde er wegen Verletzung der Amtspflichten und Urkundenfälschung verurteilt. Er wurde verfemt und später vergessen. Bis zu seinem Tod im Jahre 1972 lebte Grüninger in Armut.
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Späte Rehabilitierung
Erst 1993 rehabilitierte die St. Galler Kantonsregierung Grüninger politisch, und 1994 veröffentlichte der Schweizer Bundesrat eine Ehrenerklärung für den Polizeikommandanten und Flüchtlingsretter. 1995 wurde Grüninger auch vom Bezirksgericht St. Gallen in einer Wiederaufnahme des Prozesses freigesprochen und juristisch rehabilitiert. 1998 stimmte der Grosse Rat des Kantons St. Gallen einer materiellen Wiedergutmachung zu und entschädigte die Nachkommen Grüningers für die durch die fristlose Entlassung entstandenen Einbussen.
Trotz Rehabilitation bleibt die Figur Paul Grüninger bis heute umstritten. Es gab Behauptungen, Grüninger habe aus finanziellen Motiven gehandelt und nicht aus menschlichen. Es ging sogar zeitweise das Gerücht, Grüninger selbst sei ein Nazi-Sympathisant gewesen. Dies konnte historisch bisher nicht bestätigt werden. Die Ehrung in Israel ist daher eine weitere wichtige Geste der Anerkennung.
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