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In der Schweiz reagiert man mit Skepsis auf die neuen EU-Regeln für Arzneimittel

Regale voller Medizin
Europa hat in den letzten Jahren mehrere Medikamentenknappheiten erlebt. Auch die Schweiz war nicht davor gefeit. © Keystone / Christian Beutler

Die Schweiz verfolgt die Überarbeitung der Regulierungen für Pharmafirmen in Europa genau. Diese entwickelt sich zu einem Showdown zwischen der Industrie, die mehr Innovationsanreize wünscht, und Mitgliedstaaten, die günstigere Medizin möchten.

Die EU-Kommission veröffentlichte ihren lange erwarteten Gesetzesentwurf zur Regulierung von ArzneimittelnExterner Link am 26. April. Die überarbeiteten Regeln sind ein Versuch, die Medikamentenpreise in den Griff zu bekommen, den Zugang zu innovativer Medizin wie Gentherapien zu verbessern und Medikamentenknappheiten, die in den letzten Jahren zugenommen haben, zu verhindern.

Die Vorschläge decken ein breites Spektrum ab. Sie reichen von einer Reduktion der Zulassungszeit für neue Medikamente über mehr Transparenz zu öffentlichen Mitteln in der Medikamentenentwicklung bis zu einer schnelleren Lieferung in Notfällen.

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Die Reaktionen innerhalb der Europäischen Union waren gemischt. Die Pharma-Industrie argumentiert, die neuen Regeln würden Innovation in der EU hindern, während manche Aktivist:innen für das öffentliche GesundheitswesenExterner Link Fortschritte erkennen, aber finden, entscheidende Punkte seien von Pharma-Lobbygruppen verwässert worden.

Sogar in der Schweiz wurde dem Entwurf mit vorsichtigem Optimismus begegnet. NGOs, Politiker:innen und Industrieverbände sagten, sie begrüssen das verzweifelt benötigte Update, aber äusserten unterschiedliche Ansichten dazu, ob die Regeln weit genug gehen, um den Problemen zu begegnen.

«Die Absicht, die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents zu stärken und sich vorzubereiten auf die Zukunft des europäischen Regulierungsrahmens ist in der Industrie gut angekommen», schrieb René Buholzer, Vorsteher des Schweizer Verbands der Pharmaindustrie Interpharma, in einem MeinungsbeitragExterner Link in Le Temps. «Doch der entstandene Vorschlag riskiert den Regulierungsrahmen zu verkomplizieren und die Schwächung der Anreize in Innovation zu investieren.»

Der Gesetzesentwurf bedeutet die erste Revision seit etwa 20 Jahren. Er kommt in einer Zeit der harten Debatten darüber, wie Innovation vorangetrieben werden kann, ohne dass die Preise extrem steigen und das Gesundheitssystem an die Grenzen bringen.

Die sorgfältig ausgearbeitete Sprache widerspiegelt den heiklen Balance-Akt, indem die EU-Kommission versucht, die Pharmaindustrie in Schach zu halten, ohne sie zu vertreiben. Mehrere Wirtschaftsführer:innen haben diese ÄngsteExterner Link noch gesteigert, weil sie einbrachten, Europa riskiere in der Innovation hinterherzuhinken, wenn die Regeln zu streng sind.

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Im Februar teilte Novartis-CEO Vas Narasimhan den Medien mit, dass die Massnahmen zu Kostenreduktion in Europa eine grosse Sorge seien und dass diese die Attraktivität des Innovations-Ökosystems gefährden.

Nach der Veröffentlichung des Gesetzesentwurfs teilte die Roche-Medienstelle per E-Mail mit, dass das Unternehmen hoffe, jede «neue EU-Gesetzgebung für Arzneimittel sorgt dafür, dass Europa eine Anlaufstelle für Life Sciences-Investments bleibt, während der Wettbewerb rund um die Welt schnell zunimmt».

Ein Seilziehen

Diesen Balanceakt erkennt man darin, wie lange ein Unternehmen ein Monopol für den Verkauf eines Medikaments haben wird. Wenn sich der Gesetzesentwurf durchsetzt, haben Unternehmen künftig bloss noch acht Jahre statt wie bisher zehn Jahre Exklusivität. Dies ist vorteilhaft für Patient:innen und Kostenträger wie Krankenversicherungen, weil voraussichtlich früher billigere Varianten derselben Medikamente auf den Markt kämen. Die Industrie stemmt sich vehement gegen diese Veränderungen.

Doch die EU-Vorschriften würden vorsehen, dass der exklusive Verkauf sogar länger als zehn Jahre sein kann, wenn ein Produkt in allen EU-Mitgliedsländern verkauft und verschiedene Bedingungen erfüllt werden. Dies spiegelt einen Kompromiss wider, sagt Patrick Durisch, Leiter Gesundheitspolitik bei der NGO Public Eye. «Die EU hätte viel strenger sein können, um Massnahmen für den Zugang zu ergreifen und die Gewinne auszugleichen, die Unternehmen dank ihrer Monopole erzielen.»

Die Pharmabranche ist noch skeptisch. Nathalie Moll, die die Handelsgruppe der European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations leitet, teilte mit: «Die Bestrafung von Innovationen, wenn ein Medikament nicht innerhalb von zwei Jahren in allen Mitgliedstaaten verfügbar ist, ist grundlegend fehlerhaft und stellt ein unmögliches Ziel dar.»

Die Schweiz im Abseits?

Schweizer Politiker:innen und die Industrie verfolgen die Diskussion um die neuen Regeln genau. Die EU ist nicht nur ein wichtiger Markt für die Schweizer Unternehmen, sondern auch ein Reservoir für Arbeitskräfte.

Roche hat etwa 44’000 Angestellte in Europa und investiert hier um die sechs Milliarden Schweizer Franken in die Forschung. Das sind etwa 20% der Angestellten und etwa 40% der weltweiten Ausgaben für Entwicklung.

Aber die Schweiz hat ihren eigenen Balance-Akt. Die Schweizer Regierung möchte die neuen Regelungen nicht ablehnen und damit die Beziehungen mit der EU belasten. Diese sind bereits auf schwankendem Grund, seit die Schweiz die Verhandlungen für ein Rahmenabkommen abbrach, das mehr als hundert bilaterale Verträge ersetzen sollte.

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Eine hohe Priorität für die Schweiz haben die laufenden Gespräche über den Eintritt zu Horizon Europe, das Forschungsprogramm mit einem Budget von knapp 90 Milliarden Franken.

Es gibt mehrere Felder, in denen die Schweiz von der EU abhängig ist, etwa bei Sicherheitsprotokollen oder bei der Koordination im Falle von Medikamentenknappheiten. Die Schweizer Pharma-Unternehmen möchten zudem uneingeschränkten Zugang zum EU-Markt bewahren.

Gleichzeitig achtet die Schweiz auf ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit. Das Land vergibt Exklusivität von Medikamentenverkäufen für bis zu 20 Jahren, was dabei hilft, innovative Unternehmen anzulocken. Die Übernahme von EU-Regeln, die diese Fristen verkürzen, wären ein Nachteil – auch weil anderswo in Europa die Produktionskosten tiefer sind, sagen einige Politiker:innenExterner Link.

Industrieverbände argumentieren, dass sich die Schweiz als Alternative zur EU positionieren könnte, wenn diese künftig als weniger innovationsfreundlich betrachtet würde: «Die Schweiz hat nun die Möglichkeit ihren guten Ruf als Innovationsplatz zu stärken», schrieb Buholzer.

Der Gesetzesentwurf wird als nächstes vom Europäischen Parlament und Rat diskutiert. Für die Festlegung und Inkraftsetzung der neuen Regeln wurde keine Deadline bestimmt.

Editiert von Virginie Mangin. Übertragung aus dem Englischen: Benjamin von Wyl

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