Bauern mögen Börsenprofite mit dem Essen nicht
Wer, wenn nicht die Landwirtschaft, hat ein Wörtchen mitzureden, wenn es um Lebensmittel geht? Obwohl die Schweizer Bauern kaum davon betroffen sind, hegen viele von ihnen Sympathien mit einer Volksinitiative, welche die Spekulation mit Nahrungsmitteln verbieten will. Dass branchenfremde Akteure mit dem Essen an der Börse Profite machen, behagt ihnen nicht.
Eine Umfrage des Schweizer Bauernverbands (SBV) ergab, dass die Mehrheit seiner Mitglieder die Initiative «Keine Spekulation mit NahrungsmittelnExterner Link» der Jungsozialisten unterstützt. Während der Verband der Biobauern und die Vereinigung der Kleinbauern die Ja-Parole fassten, mochte sich die Verbandspitze des grossen SBV trotzdem nicht für eine Stellungnahme entscheiden, sondern beschloss Stimmfreigabe.
Was halten Vorstandsmitglieder der Bauernverbände, die selber Grundnahrungsmittel herstellen, von der Initiative? swissinfo.ch hat mit zwei Bäuerinnen und drei Bauern der Verbandsspitzen gesprochen.
«Ich werde sicher nicht Nein stimmen», sagt Christine Bühler, die mit ihrem Mann in Tavannes im Berner Jura einen Milchwirtschaftsbetrieb führt.» Die Anliegen seien berechtigt: «Stichwort ‹Recht auf Nahrung›, ‹faire Preise für die Landwirte›. Dass mit Lebensmitteln vom Schreibtisch aus grosse Gewinne erzielt werden, ohne zur Wertschöpfung etwas beizutragen, finde ich unmoralisch.» Die SBV-Vizepräsidentin und Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands spricht etwas an, was vielen Berufskolleginnen und -kollegen sauer aufstösst.
Mit Nahrungsmitteln soll man nicht auf Kosten der Ärmsten spekulieren», sagt auch SBV-Vorstandsmitglied Jakob Lütolf, Milchproduzent im luzernischen Wauwil. «Das Schlimme ist, dass unter der Spekulation die Ärmsten der Ärmsten leiden. Als vor einigen Jahren die Maispreise in die Höhe schossen, hatte es für die Betroffenen verheerende Auswirkungen.»
Ähnliche Worte braucht auch das jüngste SBV-Vorstandsmitglied Christian Galliker, der im letzten Jahr den elterlichen Milchwirtschafts-Betrieb übernommen hat und nun auf Bioproduktion umstellen will. «In diesem sensiblen Lebensmittelmarkt, kann Spekulation schädlich sein», sagt er und weist auf die Ereignisse in den Jahren 2008 und 2011 hin, als es weltweit eine wetterbedingte Verknappung an Grundnahrungsmitteln gab und sich Spekulanten mit Milliarden ins Geschäft einmischten. «Durch die Spielereien an den Börsen wurde das Angebot noch knapper gemacht. Das stört mich auch.»
Noch sagen sie «Jein»
Ein klares Ja zur Initiative ist den drei SBV-Vorstandsmitgliedern trotzdem nicht zu entlocken. Jungbauer Christian Galliker ist noch unsicher: «Ich fürchte, dass die Initiative kaum Auswirkungen auf diesen globalen Markt hat.» Christine Bühler weiss noch nicht, ob sie sich der Stimme enthalten oder Ja stimmen wird. «Das Problem bei vielen Initiativen ist, dass sie auf einen Handlungsbedarf hinweisen, aber auch negative Konsequenzen haben.» Auch Jakob Lütolf hat noch nicht entschieden. «Ja zu stimmen, wäre ein Akt der Solidarität», sagt er, «aber wenn sich die Schweiz aus der Spekulation rausnimmt, wird vermehrt auf anderen Handelsplätzen spekuliert.» Ein Rätsel sei ihm ausserdem, wie das Verbot kontrolliert und wie Verstösse sanktioniert werden sollen.
Auch der Bundesrat sei zum Schluss gekommen, dass die Initiative nicht der richtige Weg sei, dieses Problem zu lösen, sagt Lütolf.
Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann begründet die ablehnende Haltung der Regierung damit, dass das Spekulationsverbot im Kampf gegen Hunger wirkungslos wäre, der Schweizer Wirtschaft aber Schaden zufügen würde. Unternehmen wären mit bürokratischem Aufwand konfrontiert. «Es drohen Abwanderungen und der Verlust von Arbeitsplätzen sowie Steuereinnahmen», sagte Schneider-Ammann.
Solche Argumente aus dem Mund eines Regierungsmitglieds sind für Urs Brändli, Präsident von Bio Suisse, dem Dachverband der Biobauern, schwer zu verdauen. «Kann es sich die reiche Schweiz wirklich nicht leisten, auf diese 50 oder 100 Arbeitsplätze zu verzichten, deren Aufgabe es ist, auf Kosten der Ärmsten Profite zu machen?» Anders als der SBV, der sich laut Brändli von der Wirtschaft «einlullen lässt», empfiehlt Bio Suisse die Initiative zur Annahme. «Ich stelle fest, dass sehr viele Bauern Sympathien haben mit dem Volksbegehren, weil sie kein Verständnis dafür haben, dass Geld auf dem Buckel jener Leute gemacht wird, die hart arbeiten, um Lebensmittel zu produzieren oder zu kaufen.»
Initiative in Kürze
Um den Hunger in der Welt zu bekämpfen, wollen die Initianten Finanzspekulationen auf Lebensmitteln verbieten. Diese könnten hohe Preisausschläge insbesondere für Weizen oder Mais verursachen. Mit ihren Wetten trieben Banken die Preise in die Höhe. Sie seien deshalb mitschuldig am Hunger der Ärmsten. Dass es für Hungersnöte viele Ursachen gibt, wie Missernten, Katastrophen oder Kriege, streiten die Initianten nicht ab. Diese könnten die teilweise extremen Preisausschläge aber nicht erklären. Deshalb sollen Anleger nicht in Finanzinstrumente investieren dürfen, die sich auf Nahrungsmittel und Agrarrohstoffe beziehen. Weiterhin zulässig sollen Verträge sein, mit denen sich Bauern und Lebensmittelhändler gegen Preisausschläge absichern.
Urs Brändli ist sich bewusst, dass eine Annahme der Initiative nicht unmittelbar zu einem weltweiten Umdenken führt. «Aber in unserem Land gibt es privilegierte Voraussetzungen. Deshalb ist es unsere Pflicht, nicht nur an uns zu denken und einmal einen Schritt vorauszugehen», sagt der Präsident der Biobauern, der seinen mittelgrossen Milchwirtschaftsbetrieb in der Bergzone im südlichsten Zipfel des Kantons St. Gallen 2015 der Familie seines Sohns übergeben hat.
Die Ja-Parole gefasst hat auch die Kleinbauern-Vereinigung. Ein wichtiger Grund für die Zustimmung sei die Solidarität mit den von der Spekulation am meisten betroffenen Berufskollegen in armen Ländern, sagt Präsidentin Regina Fuhrer-Wyss. Sie bewirtschaftet mit ihrem Mann und den erwachsenen Kindern einen kleinen Betrieb im Berner Gürbetal. «Als Biobäuerin produziere ich zwar für einen lokalen Markt, aber wir haben als Gesellschaft in einem reichen Land, in dem sehr viele international tätige Firmen ihren Sitz haben, auch eine globale Verantwortung für diese globalen Aktivitäten.» Auch die Kleinbauern-Präsidentin erinnert sich an die Ereignisse von 2008 und 2011. «Damals gab es Hungerprobleme nicht primär wegen Nahrungsknappheit, sondern weil die Nahrung für die Menschen in südlichen Ländern als Folge der Spekulation zu teuer wurde.»
Hier billig, dort teuer
Einig sind sich die Vertreter der Agrarwirtschaft, dass nicht nur Spekulanten den Respekt gegenüber Lebensmitteln vermissen lassen, sondern grosse Teile der Gesellschaft in der Schweiz. Während Lebensmittel für die Ärmsten dieser Welt unerschwinglich seien, «werden sie bei uns immer billiger», sagt Christine Bühler. Noch deutlichere Worte braucht Jakob Lütolf: «Die Geiz-ist-geil-Mentalität, die hier grassiert, stört mich enorm.»
Obwohl hier der Durchschnittshaushalt nur noch 6,5% des Einkommens für Lebensmittel ausgibt, kommen die Preise für manche Lebensmittel immer stärker unter Druck. «Als ob sie nichts wert wären», bedauert Biobäuerin Regina Fuhrer-Wyss. «Es ist erstaunlich wie schnell vergessen wurde, dass auch bei uns vor noch nicht langer Zeit Armut und Hunger stark verbreitet waren.»
Argumente der Gegner
Die Gegner bestreiten, dass der Handel an Warenterminbörsen auf Preise im physischen Handel einwirke. Viele Investoren seien an einem dauerhaften und stabilen Investment in Rohstoffmärkten interessiert.
Rund um den Globus werde mit Agrar-Derivaten gehandelt. Ein Handelsverbot, das nur in der Schweiz gelte, könne leicht umgangen und die Transaktionen im Ausland abgewickelt werden.
Der Aufwand für die Kontrolle, ob Geschäfte der Banken, Versicherer, Pensionskassen, die mit Agrarstoffen handelten, spekulativen Zwecken dienten, wäre gross.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch