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Schweizer Abfall-Verpackungen, eine gefragte Kunst

Alexandre et Jean-Pierre Haussener
Jean-Pierre Haussener und sein Sohn Alexandre führen die Firma Prestaball gemeinsam. swissinfo.ch

Unsere Gesellschaft produziert kontinuierlich Abfälle. Wenn die Verbrennungs- und Rückgewinnungs-Anlagen für die Wartung stillstehen, muss eine Lösung für die Lagerung des Mülls gefunden werden. Eine Schweizer Firma reist durchs Land, um diese Abfälle zu verpacken. Dank dieses Systems ist sie auch jenseits der Schweizer Grenzen bekannt geworden.

Nur einer der beiden Schornsteine der Müllverbrennungsanlage von SatomExterner Link in Monthey (Kanton Wallis) setzt einen feinen weissen Rauch frei. Der andere ist wegen Wartungsarbeiten an der Anlage nicht in Betrieb. Mitte Mai nimmt der Abfallstrom aber nicht ab. Im Gegenteil: Weil die Arbeit auf den Baustellen in vollem Gang ist, nimmt er sogar zu.

Während der Stilllegung einer Verbrennungsanlage wird ein Teil des Abfalls, insbesondere der Hausmüll, in einer Grube gelagert. Sperrmüll- und Gebrauchthölzer werden in Ballen gepresst. Mit dieser Aufgabe wurde PrestaballExterner Link beauftragt. Das kleine Unternehmen mit Sitz im Berner Jura hat das System selbst entwickelt.

«Um in der Schweiz Erfolg zu haben, muss man sauber und gut arbeiten.»  Jean-Pierre Haussener

Während des Sommers werden alle Abfallverwertungsanlagen überholt. «Dann kommen wir zum Einsatz. Wenn die Verbrennungsanlagen stillstehen, verpacken wir die Abfälle, die zu dieser Jahreszeit in grossen Mengen anfallen», sagt Jean-Pierre Haussener, Direktor und Gründer von Prestaball.

Das Unternehmen greift auch bei unvorhergesehenen Ereignissen oder Ausfällen der Anlagen ein. «Vor einigen Jahren brannte zum Beispiel eine Abfallgrube in Winterthur. Wir wurden beauftragt, den Müll während der Reparatur in Ballen zu verpacken», sagt Haussener.

Ausgleich des Abfallmarkts

Prestaball ist das einzige Unternehmen in der Schweiz, das Abfallballen vor Ort herstellt. «Einige Fabriken haben ihre eigene Maschine, aber die meisten beauftragen Prestaball. Ein Problem entsteht jedoch, wenn alle gleichzeitig Bedarf haben», erklärt Robin Quartier, Direktor des Verbands der Betreiber Schweizerischer Abfallverwertungsanlagen (ASEDExterner Link).

Die Verpackung ist eine beliebte Lösung, weil die Liefergruben an jedem Standort über eine begrenzte Kapazität verfügen. Ausserdem ist es oft nicht möglich, Abfälle in eine andere Anlage umzuleiten. «Diese haben meistens nicht die erforderliche Kapazität dafür oder sind zu weit weg, um mit einem Müllwagen dorthin zu gelangen, der mit drei Männern an Bord schwer und teuer ist», sagt Quartier.

Es geht nicht nur um eine Lagerlösung, sondern auch darum, den Abfallmarkt auszugleichen. «Im Winter wird weniger Abfall produziert. Die Fabriken müssen jedoch mehr verbrennen, denn die darin enthaltene Energie wird zur Erzeugung von Strom und Wärme in Gebäuden verwendet», sagt Prestaball-Direktor Haussener.

Die von Satom erzeugte Energie wird beispielsweise zur Beheizung von 5500 Wohnungen in den Gemeinden Collombey-Muraz und Monthey verwendet. Mit den Ballen, die während des Sommers gepresst werden, verfügt er somit über eine Kraftstoffreserve. 

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Mehr als 10’000 Ballen Abfall in wenigen Wochen

Während vier bis fünf Wochen verpackt Prestaball in Monthey im Kanton Wallis rund 7000 Tonnen Abfall. Die Firma Satom musste einen Teil ihrer Anlagen stilllegen, um ihre Dampfturbine zur Stromerzeugung zu überholen. Bis zum Ende des Auftrags wurden rund 10’000 Ballen für die Verbrennung im Winter gelagert.

Ein grosser Teil des Müllbergs, der auf die Zerkleinerung wartet, kommt von den Baustellen. Ausgeschieden wird auch Holz, das nicht rezykliert werden kann, weil es zum Beispiel mit Farbe behandelt wurde.

Plötzlich steigt ein rötlicher Rauch aus dem Zerkleinerer auf. «Das sind Tintendruck-Patronen», sagt Alexandre Haussener, der auch Geschäftsführer des Familienunternehmens ist.

Die Verpackung der Abfälle hat den Vorteil, dass sie den Gärprozess stoppt. «So gibt es keinen Geruch, und der Brennwert des Mülls bleibt unverändert», so Haussener. Am Standort Satom wird Sperrmüll verpackt. Andere Verwertungsanlagen lagern auf diese Art und Weise Siedlungsabfälle (insbesondere Hausmüll).

Die Idee der Abfallverpackung entstand im Kopf von Jean-Pierre Haussener, als er Direktor des Abfallwirtschaftszentrums Celtor im Berner Jura war. Im Jahr 2000 trat das Verbot der Deponierung brennbarer Abfälle in Kraft. Seitdem haben Abfallverwertungsanlagen die Pflicht, diese umweltfreundlich zu verbrennen und die entstehende Wärme zurückzugewinnen.

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«Eine lebendige Enzyklopädie»

Zum Zeitpunkt des Übergangs kam es zu Problemen bei der Lagerung.

Nachdem Jean-Pierre Haussener eine in Schweden entworfene Verpackungsmaschine entdeckt hatte, schloss er eine Wette ab, bereits 1997 eine Kopie für Celtor zu erwerben. «Als ich meine Idee den Kollegen in der Verbrennungsanlage präsentierte, lachten sie über mich», erinnert er sich.

Aber die Fabriken in der Nachbarschaft brachten ihm den Abfall pünktlich zur Verpackung. «Im Jahr 2002 beschloss ich, ein eigenes Unternehmen zu gründen, das zu den Kunden geht», sagt er.

Der Direktor von Prestaball hat das Verfahren ständig weiterentwickelt und verbessert. «Er ist eine wahrhaftige Enzyklopädie zu allen Fragen der Abfall-Bewirtschaftung in der Westschweiz», sagt Robin Quartier. Prestaball-Maschinen verpacken derzeit 45 bis 50 Ballen pro Stunde, insgesamt 25’000 Ballen pro Jahr.

Das Unternehmen erhält auch Anfragen aus dem Ausland, insbesondere aus Frankreich. In diesem Jahr bereits vier, darunter ein dreiwöchiger Auftrag aus Korsika. «Früher haben wir in Deutschland gearbeitet, aber jetzt lehne ich ausländische Aufträge ab. Mitarbeiter zu finden, die so weit reisen wollen, ist zu kompliziert, und wir haben genug Arbeit in der Schweiz», sagt Haussener. Nach Monthey sind die nächsten Schritte: Brig, Sion, Genf, Neuenburg und Lausanne.

balles de déchets
Hier in Monthey werden die Ballen zu acht Etagen gestapelt – sorgfältig und präzis. swissinfo.ch

Musikalische Ballen

Arbeit mit Müll bedeutet nicht schmutzige Arbeit. «Um in der Schweiz erfolgreich zu sein, muss man sauber und gut arbeiten», sagt Haussener: «Wir verwenden grüne Kunststoffverpackungen, obwohl diese nicht zu den billigsten gehören, weil sie sich besser in die Landschaft einfügen.

Auch das Stapeln von Ballen auf acht Ebenen erfordert Präzision und Know-how. «Man muss es korrekt machen, um zu verhindern, dass sie runterstürzen oder Löcher entstehen», sagt der Direktor. Ein ungeschicktes Manöver könnte sich als gefährlich erweisen. Ein Ballen wiegt nämlich zwischen 700 und 1000 Kilo.

«Beim Verpacken ist alles eine Kunst», sagt Haussener. Und diese Kunst hält manchmal Überraschungen bereit. «Wir hatten einmal Ballen gemacht, die Musik erzeugten, weil ein Radio dem Zerkleinerer widerstanden hatte.» Zum Schmunzeln bringt ihn jeweils auch ein anderes überraschendes Phänomen: «Nachts sehen wir manchmal einen Ballen, der zu leuchten beginnt, weil im Müll ein Licht überlebt hat.»

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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