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Italiener in der Schweiz: eine Liebesgeschichte mit schlechtem Anfang

Die Italiener sind zurück in der Schweiz! Eine neue Einwanderungswelle fügt sich zur bestehenden italienischen Gemeinschaft hinzu. Diese hat geschuftet und unter Fremdenfeindlichkeit gelitten. Aber heute wird ihre Integration als Vorbild genommen.

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Italienische Arbeiter vom Strassenbau bei Walensee (Ostschweiz) machen 1963 Mittagspause. RDB/Blick/Sigi Maurer

Die italienische Diaspora ist mit 311’000 PersonenExterner Link die grösste ausländische Gemeinschaft in der Schweiz und hat 2015 um weitere 11’000 Menschen zugenommen. Der positive Saldo der Einwanderung hat sich seit 2007 verfünffacht.

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Die meist hoch qualifizierten jungen Italiener finden in der Schweiz (und in anderen europäischen Ländern) berufliche Möglichkeiten, die ihnen in der Heimat fehlen, wo die Arbeitslosigkeit unter Jungen 35% beträgt. Italien ist ein Land, wo auch Universitätsabsolventen häufig schlecht qualifizierte und prekäre Anstellungen annehmen müssen, und wo an den Universitäten die Gerontokratie herrscht, so dass junge Forscher nicht aufsteigen können.

Die von swissinfo.ch in einem speziellen Dossier über die neue Immigration aus Südeuropa publizierten Porträts sind bezeichnend: Jung, mobil, weltoffen – nichts oder fast nichts unterscheidet die Neuankömmlinge von den anglosächsischen Expats, die bei grossen Unternehmen oder Schweizer Hochschulen arbeiten. Abgesehen von der «Italianità» natürlich.

Was für ein Kontrast zur italienischen Einwanderung nach dem Zweiten Weltkrieg! Damals gab es einen in der Schweiz noch nie dagewesenen Zustrom. Im Jahr 1970 zählte man fast 583’000 Italiener, das waren 54% der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz. In der Mehrheit waren es schlecht qualifizierte Arbeiter.

Diese Italiener verliessen ein ausgeblutetes Land, das nicht alle Einwohner ernähren konnte, besonders der Süden profitierte nicht vom «Wirtschaftswunder» zwischen 1950 und 1970.

Die Schweiz braucht «Hände»

Die florierende Schweizer Wirtschaft brauchte diese Hände, um Infrastrukturen zu bauen und Fabriken am Laufen zu lassen. Zumal die einheimische Bevölkerung überalterte, die Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt gering war und die Schweizer Bürger handwerklichen Berufen den Rücken kehrten (nicht nur der Schwerarbeit) und lieber Stellen bei Banken und Versicherungen annahmen.

Auch damals wurde die Schweizer Einwanderungspolitik von den Bedürfnissen der Wirtschaft diktiert, das System der Aufenthaltsgenehmigungen bezweckte – besonders bei den Saisonniers – die Regulierung des Ansturms gemäss Nachfrage des Arbeitsmarkts.

Die massive Präsenz ausländischer Arbeiter wurde auch schnell eine politische Frage: Initiativen gegen «Überfremdung» wurden lanciert. Diese Vorlagen – für Aufsehen auch ausserhalb der Landesgrenze sorgten vor allem jene von James Schwarzenbach, Parlamentarier der «Nationalen Aktion»- wurden nach emotionalen Kampagnen in Volksabstimmungen verworfen.

Ein Leben in Baracken

Die Italiener, die ein beliebtes Ziel dieser fremdenfeindlichen Abstimmungen waren, mussten sich derweil in der Schweiz mit einem prekären Leben zufrieden geben. Viele wohnten in Baracken. Sie erlebten auch Erniedrigungen, beispielsweise die berühmten medizinischen Untersuchungen an der Grenze, die noch allen italienischen Einwanderern der ersten Generation im Gedächtnis präsent sind.

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Sie bezahlten auch einen grossen Tribut an Menschenleben: Letztes Jahr beispielsweise jährte sich die Tragödie von Mattmark zum 50. Mal. Am 30. August 1965 starben auf der Baustelle des Staudamms im Wallis 56 italienische Arbeiter (von insgesamt 88 Opfern) bei einem Gletscherabbruch.

Man kann sich heute kaum noch vorstellen, was für ein kultureller Schock die Ankunft der italienischen Einwanderer bedeutete. Die sprachlichen und kulturellen Barrieren zwischen Einheimischen und italienischen Einwanderern – mehrheitlich alleinstehende Männer vom Land – waren enorm.

Aber abgesehen vom gewöhnlichen Rassismus auf der Strasse, in der Schule, beispielsweise die Beschimpfung der Italiener als «Messerstecher», gab es keine wirklichen Eskalationen.

«Schweizerischer als die Schweizer»

Die italienische Immigration ebbte schliesslich ab. Tausende Arbeiter kehrten in ihre Heimat zurück, besonders nach der Rezession von 1974.

Denen die geblieben sind, ist in der Mehrheit eine vorbildliche Integration gelungen. Sie gehören quasi «zum Inventar». Einige würden sogar sagen, dass sie sich schweizerischer fühlen als die Schweizer.

Die italienische Gemeinschaft hat auch einen grossen Einfluss auf die schweizerische Gesellschaft gehabt, was die Lebensart, die Kultur und natürlich die Gastronomie anbelangt. Die Tausenden Mischehen haben viele schweizerische und italienische Familien zusammengebracht, was sich bis heute auswirkt. Kinder von Migranten sitzen heute im Schweizer Parlament. Einige sind bekannte Gesichter am Fernsehen.

Erneut die Musterschüler

Das Verhältnis zwischen Italienern und der Schweiz, das zunächst eine einzig auf wirtschaftlichen Interessen beruhende Fernbeziehung war, gleicht heute einer wahren Liebesgeschichte.

Die italienische Einwanderung ist auch ein ausgezeichnetes Beispiel für Integration, das die Aufnahmefähigkeit – ja sogar Offenheit – der Schweiz bezeugt, abseits der heftigen Debatten über die Aufnahme von Flüchtlingen oder den im Februar 2014 vom Stimmvolk angenommenen Einwanderungsstopp.

Andere Einwanderungsgruppen treten übrigens in die Fussstapfen der Italiener. Vor einigen Jahren litten die Kosovaren unter einem schlechten Ruf als Messerstecher (sieh an, auch sie!). Heute sind es eher die Erfolgsgeschichten dieser «Secondos», die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

(Übertragung aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi)

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