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Genf, was bist du?

Der "Broken Chair" (kaputter Stuhl) steht seit 1997 vor dem UNO-Hauptgebäude in Genf. Ist auch das Image der Stadt angeschlagen? Keystone

Plattform für internationale Organisationen und Friedensgespräche oder globale Hauptdarstellerin in Korruptions- und Steuerskandalen: Womit macht die Stadt Genf sich eher einen Namen?

In einem Schweizer Presseclub debattierten Journalisten kürzlich darüber, wie sich über die internationale Gemeinschaft in Genf am besten berichten liesse. Dabei sagte Jamil Chade, Korrespondent der brasilianischen Zeitung «O Estado do Sao Paulo»: «Viele Menschen verbinden mit dem internationalen Genf jede Menge Korruption.»

Geldwäscherei und Korruptionsskandale rückten Genf in der Vergangenheit in die Schlagzeilen. Dabei standen die Berichte oft im Zusammenhang mit illegalen Bankkonten oder Vermögenswerten politisch exponierter Personen, darunter der abgesetzte haitianische Diktator, Jean-Claude «Baby Doc» Duvalier, und der ehemalige Präsident der Demokratischen Republik Kongo, Mobutu Sese Seko.

Unlängst sorgten gestohlene Bankkundendaten der Genfer HSBC-Niederlassung und durchgesickerte Informationen über ein nicht deklariertes Konto des ehemaligen französischen Finanzministers Jérôme Cahuzac für Furore. 

Wie Korrespondent Chade erläuterte, bezieht sich seine Berichterstattung aus Genf zu etwa 80% auf Korruptionsaffären, in deren Zusammenhang er die Finanzaktivitäten lateinamerikanischer «Steuersünder» untersucht.            

Erst kürzlich befasste er sich mit dem Odebrecht-Bestechungsskandal, in den mehrere lateinamerikanische Länder verwickelt sind, weil sie mutmasslich Gelder auf Schweizer Bankkonten hinterlegten.

«Genf bleibt eine rechtliche Grauzone»

Delphine Dezempte ist leitende Analystin bei der Business-Intelligence-Firma Alaco, die sich mit Profilen öffentlicher und privater Personen befasst. Sie bestätigt diesen Eindruck gegenüber swissinfo.ch: «Auch wenn die Stadt Genf immer wieder versucht, internationale Initiativen zu fördern, bleibt sie doch ein Ort der rechtlichen Grauzone. Es gelingt ihr nicht immer, für Transparenz bei Aufzeichnungen, Rechtsstreitigkeiten und Besteuerung von Unternehmen zu sorgen.»

Dezempte arbeitet für eine von den Schweizer Finanzinstitutionen und Rohstoffhändlern beauftragte Firma, die Untersuchungen zu potenziellen Kunden anstellt, um die KYC-Regeln (Know your client – kenne deinen Kunden) zu befolgen. Diese verlangen, dass bei der Eröffnung eines Kontos mindestens einer der wirtschaftlich Berechtigten des Kontos anwesend sein und von der Bank befragt werden muss.

Die Analystin stellt einen Mangel an Transparenz in den langwierigen Verfahren fest, die dem Einfrieren von bei lokalen Banken gelagerten Vermögenswerten politisch exponierter Personen wie Muammar al-Gaddafi und Zine el-Abidine Ben Ali vorausgehen. «Das passt ganz und gar nicht zu dem Image, das Genf gerne aufrechterhalten würde – nämlich dem einer Weltstadt, die Menschen aus den unterschiedlichsten internationalen Branchen willkommen heisst», sagt sie.

Friedensgespräche bringen Geld

Dieses von den nationalen und lokalen Behörden vorgegebene Image soll die Stadt als einen Ort präsentieren, an dem Regierungen zur Konfliktlösung zusammenkommen. Zahlreiche internationale Organisationen, ständige Vertretungen und Nichtregierungsorganisationen sind dort ansässig, und Genf war über die Jahre hinweg schon vielfach Schauplatz von Friedensgesprächen.

Die Behörden schaffen starke finanzielle Anreize, um die Akteure an die Stadt zu binden. Laut einer StudieExterner Link der Genfer Universität von 2012 geben internationale Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und Konsulate rund 3,3 Milliarden Schweizer Franken im Kanton aus. Und einer von zehn Arbeitsplätzen ist in diesem Bereich angesiedelt. Aus diesen Gründen erachten es einige als so wichtig, das Weltstadtimage der Stadt zu fördern. 

Daraus entstehe für die internationalen Akteure mit Niederlassung in Genf «ein Gemeinschaftssinn im Kampf für eine bessere Welt», sagt Olivier Coutau, Stellvertreter der Genfer Regierung, der das internationale Genf repräsentiert. Wenn diese Akteure das Gefühl hätten, zur gleichen Gemeinschaft zu gehören, erleichtere dies die Zusammenarbeit. «Und je mehr sie alle zusammenarbeiten, desto mehr Ressourcen werden sie auch teilen, was sie effizienter und das internationale Genf stärker macht.»

Lokale Bevölkerung fühlt sich benachteiligt

Aber die Behörden bemühen sich nicht nur darum, die Welt da draussen von der privilegierten Stellung Genfs als globaler Dreh- und Angelpunkt zu überzeugen, sondern auch die ortsansässige Bevölkerung, die mit den Nebenwirkungen zu kämpfen hat. Dazu gehören Sorgen betreffend den Anstieg der Kriminalität oder die Fairness der Steuerbefreiung von Mitarbeitenden internationaler Organisationen.

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Kürzlich erarbeitete Präsenz Schweiz, das Organ der Schweizer Regierung für die Wahrnehmung des Landes im Ausland, gemeinsam mit der UNO in Genf ein Programm zur Förderung der Arbeit der internationalen Gemeinschaft vor Ort. Das Perception Change ProjectExterner Link umfasst studentische Arbeiten, Initiativen mit lokalen Spitälern und ein interaktives Bilderbuch darüber, wie Genfer Agenturen an den UNO-EntwicklungszielenExterner Link beteiligt sind.

Aziyadé Poltier-Mutal ist Leiterin des Programms. Sie sieht darin eine Möglichkeit, der «eingeengten» Darstellung der UNO-Arbeit in den Medien ein anderes Bild entgegenzusetzen.

«Es gibt noch viel zu tun»

Nicolas Bideau, Botschafter und Leiter von Präsenz Schweiz, gesteht jedoch ein, wie schwierig es ist, das internationale Genf zu fördern. Laut der von seinem Büro getätigten Analyse der internationalen Berichterstattung konzentrieren sich die Medien auf die in Genf stattfindenden Gespräche und Entscheidungen – über das iranische Atomprogramm oder die Friedensverhandlungen für Syrien –, aber nicht auf den Ort, an dem sie stattfinden.

«Es ist nicht das internationale Genf als solches, das im Ausland wahrgenommen wird», erläutert Bideau. «Es gibt noch viel zu tun, um das Image von Genf als Weltstadt zu stärken. Wir möchten nicht, dass die Organisationen die Stadt verlassen.»

Deshalb plant Präsenz Schweiz, Genf bei der diesjährigen Weltausstellung in Astana vorzustellen. An der Ausstellung in Kasachstan soll die Rolle der Stadt bei der Unterstützung der UNO-Entwicklungsziele herausgestellt werden.

«Wir haben ein Imageproblem. Den meisten Menschen ist nicht klar, wie wichtig Genf für die Stabilität der Welt ist», sagt Bideau. Präsenz Schweiz arbeitet auch mit Banken zusammen, zumal einige davon durch ihre Deals im zweitgrössten Schweizer Finanzzentrum (nach Zürich) zur schlechten Presse im Ausland beigetragen haben.

Journalisten fordern mehr Transparenz

Für Bideau haben sich die Spielregeln in den letzten Jahren mit dem Ende des Schweizer Bankgeheimnisses und der Einführung der internationalen Standards über den Informationsaustausch in Steuerfragen geändert.

Analystin Dezempte ist nicht davon überzeugt, dass diese Schritte ausreichen, um einen Imagewandel im Ausland zu bewirken. «Da passiert noch viel zu viel hinter den Kulissen», sagt sie.

Im Presseclub argumentierten die Journalisten indessen, das internationale Image liesse sich stärker fördern, wenn die Reporter mehr Zugang zu wichtigen Konferenzen und Gesprächen hätten, die in Genf stattfinden.      

Für andere wiederum, wie den ehemaligen Nachrichtenchef des Westschweizer Radio- und Fernsehens (RTS), Philippe Mottaz, wird die Medaille immer zwei Seiten haben. «Wir müssen das internationale Genf mit all seinen Widersprüchen annehmen – nämlich als Stadt, in der sowohl der Tabakgigant JTI als auch die Weltgesundheitsorganisation ihren Hauptsitz haben.»

Woran denken Sie spontan, wenn die Rede von Genf ist? Teilen Sie uns Ihre Antwort in den Kommentaren mit.

(Übertragung aus dem Englischen)

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