«Economiesuisse steht in einem Wettbewerb der Ideen»
Unternehmenssteuer, Europäische Union, Pandemie und der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik: Im Interview spricht Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder über die grossen Herausforderungen der nächsten Jahre.
swissinfo.ch: Welches sind für Sie die grössten Herausforderungen für die Schweizer Wirtschaft in den kommenden Jahren?
Christoph Mäder: Eine grosse Herausforderung ist die geplante globale Mindeststeuer von 15 Prozent auf den Gewinnen von Grossunternehmen. So wird die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zugunsten anderer Staaten mit geringerer Steuerdisziplin beeinträchtigt.
Da wir uns diesen neuen OECD-Regeln nicht entziehen können, müssen wir sie so vorteilhaft wie möglich anwenden – etwa, indem wir andere Steuern wie Stempelsteuern abschaffen und höhere Steuerabzüge zulassen, zum Beispiel die Patentbox.
Sind die neuen Regeln wirklich so schlimm? In grossen Kantonen wie Zürich oder Bern wird es keine Änderungen geben, in anderen Kantonen (Genf, Waadt) wird die Erhöhung nur 1% betragen.
Bei Zug oder Nidwalden wird es aber 3% ausmachen. Hinzu kommt, dass für grosse Unternehmen jedes Prozent beträchtliche Summen bedeuten kann. Allgemeiner gesagt: Da die Kosten in der Schweiz hoch sind, müssen wir unsere steuerliche Wettbewerbsfähigkeit unbedingt aufrechterhalten, um weiterhin exportieren zu können.
«Wir müssen unsere steuerliche Wettbewerbsfähigkeit unbedingt aufrechterhalten, um weiterhin exportieren zu können.»
Wie steht es mit der Energieversorgung? Kürzlich forderte Wirtschaftsminister Guy Parmelin die Unternehmen auf, sich auf Stromengpässe ab 2025 vorzubereiten.
Dies ist eine weitere grosse Aufgabe. Eine stabile Versorgung ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrien und damit für unsere Arbeitsplätze.
Wir müssen feststellen, dass die Prognosen des Bundesrates zu optimistisch waren: Einerseits wurden die Energieeinsparungen überbewertet, andererseits wurde der Anstieg des Energiebedarfs unterschätzt. Ausserdem führen Lösungen zur Dekarbonisierung, zum Beispiel die Elektromobilität, häufig zu einem höheren Verbrauch.
Wie beurteilen Sie den Umgang von Bundesrat und Parlament mit der Pandemie?
Die Bilanz der Schweiz ist im Vergleich zu anderen Ländern recht positiv. Die Verschuldung der öffentlichen Hand gibt jedoch Anlass zur Sorge. Es ist wichtig, dass unsere Generation die Schulden von Covid-19 abbaut, ohne sie auf die nächste zu übertragen.
Nach dem Scheitern des Rahmenabkommens mit der Europäischen Union (EU) forderte Economiesuisse den Bundesrat auf, dem diskriminierungsfreien Zugang von Schweizer Unternehmen zum europäischen Markt Priorität einzuräumen. Was soll er tun?
Es war der Bundesrat, der beschlossen hat, die Verhandlungen mit der EU abzubrechen, und deshalb würde ich sagen, dass es seine Aufgabe ist, Lösungen zu finden.
Und zwar unverzüglich, denn die bilateralen Abkommen erodieren immer weiter. Es ist eine schwierige Aufgabe, für die man keine Wunderlösungen erwarten darf. Der beste Ansatz könnte sein, auf sektorielle Verhandlungen zu setzen.
Einige Beobachterinnen und Beobachter sind der Meinung, dass sich die Schweiz systematisch gegen ein politisches Bündnis mit der EU wehrt und dieser Weg aussichtslos ist…
Um Verhandlungen erfolgreich zu führen, muss jede Partei ohne Rosinenpickerei Zugeständnisse machen. Meiner Meinung nach ist sich der Bundesrat dessen bewusst: Er möchte eine langfristig stabile Lösung finden und eine Isolation der Schweiz vermeiden.
Aber der beste Weg ist nur schwer zu finden. Zudem macht die von der EU signalisierte strikte Haltung – «unser Weg oder kein Weg» – die Position der Schweiz nicht einfacher.
Sollte der Bundesrat den neuen aussereuropäischen Freihandels-Abkommen Vorrang geben, anstatt zu versuchen, ihre Beziehungen zur EU zu stabilisieren?
Ich denke nicht. Beide Achsen sind sehr wichtig, und beide müssen mit der gleichen Intensität verfolgt werden.
Bei Abstimmungen muss Economiesuisse oft das Volk überzeugen. Wie versuchen Sie, Ihr Image zu verbessern?
Glaubwürdigkeit ist der beste Trumpf. Wir sind überzeugt, dass wir uns den Respekt im Volk verdienen können, wenn wir unsere Positionen gut begründen.
Ein grosses Thema in der Schweiz ist auch die Finanzierung der politischen Parteien. Die ist wenig transparent, aber es ist bekannt, dass einige grosse Unternehmen wichtige Geldgeber sind…
Zunächst einmal sind es, wie Sie sagen, bestimmte Unternehmen und nicht Economiesuisse, die zur Finanzierung der Parteien beitragen. Grundsätzlich sehe ich keine speziellen Probleme mit dieser Situation, die in anderen Ländern gleich ist.
Darüber hinaus hat der Bundesrat im Dezember 2021 die Verordnung über die Transparenz bei der Politikfinanzierung in die Anhörung geschickt. Gemäss dieser Verordnung müssen die in der Bundesversammlung vertretenen Parteien jährlich ihre Einnahmen und Spenden, deren Wert 15’000 Franken pro Beitragszahler und Jahr übersteigt, offenlegen.
Wie viel Geld investiert Ihre Organisation jedes Jahr in politische Kampagnen?
Aus strategischen Gründen geben wir diese Zahlen nicht bekannt. Wenn die Verordnung in Kraft tritt, werden wir uns an das halten, was gesetzlich vorgeschrieben ist.
Auf jeden Fall ist es völlig illusorisch zu glauben, dass wir politische Entscheidungen «kaufen» könnten. Im Gegenteil: Wir müssen überzeugende Argumente vorbringen.
Die Wirtschaftslobbys sind gut organisiert und finanziert. Haben Sie in Bezug auf die Entstehung von Gesetzen genauso viel Einfluss wie die Bundesverwaltung oder sogar mehr als das Parlament und der Bundesrat?
Ich denke nicht. Die Bundesverwaltung verfügt über beträchtliche Mittel, die in letzter Zeit sogar noch verstärkt wurden. Was das Bundesparlament betrifft, so hat es in den letzten Jahren wahrscheinlich etwas an Boden verloren.
Ausserdem lassen sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier zunehmend von gesellschaftlichen Trends und nicht mehr von den Positionen ihrer Parteien beeinflussen. Im Bundesrat sind unsere Haltungen zwar recht gut vertreten, aber nicht mehrheitsfähig.
«Es ist völlig illusorisch zu glauben, dass Economiesuisse politische Entscheidungen kaufen kann.»
Economiesuisse ist zwar ein einflussreicher Akteur auf der Bundesbühne, aber wir stehen in ständigem Wettbewerb mit einer wachsenden Zahl anderer Interessengruppen, zum Beispiel solchen, die Umweltfragen in den Vordergrund stellen. Kurz gesagt: Es herrscht ein regelrechter Wettbewerb der Ideen.
Ist der Präsident von Economiesuisse so etwas wie der achte Bundesrat?
Das ist eine Legende, die nichts mit der Realität zu tun hat.
Sie haben jedoch sehr regelmässige Kontakte mit dem Bundesrat und mit Parlamentsmitgliedern. Sie sind die Person, die am häufigsten an den Reisen der Landesregierung teilnimmt.
Die Pflege regelmässiger Kontakte mit dem Bundesrat und den Parlamentariern ist ein wesentlicher Bestandteil meines Amts. Zudem gehen diese Kontaktaufnahmen in beide Richtungen.
Was die offiziellen Reisen betrifft, so ist Economiesuisse für die Zusammenstellung der Wirtschaftsdelegationen zuständig, welche die Bundesräte begleiten. Es ist daher normal, dass ich Teil dieser Delegationen bin.
Vertreten Sie liberale Überzeugungen oder eher die Interessen einiger Ihrer Mitglieder? Befürworten Sie beispielsweise Kompensationsgeschäfte beim Kauf von Kampfflugzeugen?
Economiesuisse ist klar für den Wirtschaftsliberalismus. Gleichzeitig kann es vorkommen, dass wir in bestimmten Bereichen pragmatische Positionen einnehmen, so wie das auch in anderen Ländern üblich ist. In diesem Sinne unterstützen wir Kompensationsgeschäfte ohne Gewissensbisse.
Sie waren für die Teilnahme am Weltwirtschaftsforum (WEF) vorgesehen, das erneut verschoben wurde. Was nehmen sie von dieser Konferenz jeweils mit?
Das WEF ist eine einzigartige Gelegenheit, zahlreiche Führungspersönlichkeiten zu treffen und intensive Diskussionen über grosse gesellschaftliche Themen zu führen, zum Beispiel über den Klimaschutz.
Die Kosten werden zum Teil von der Öffentlichkeit getragen. Wie können die Steuerzahlernden vom WEF profitieren?
Die Veranstaltung stärkt den Ruf der Schweiz erheblich. Während der WEF-Jahreskonferenz spricht die ganze Welt über Davos und die Schweiz. Die Tatsache, dass (fast) der gesamte Bundesrat in Davos anwesend ist, unterstreicht die Bedeutung des WEF für unser Land.
(Übertragung aus dem Französischen: Christoph Kummer)
(Übertragung aus dem Französischen: Christoph Kummer)
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