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Irans Reichtum ist für die Wirtschaft verlockend

Irans Infrastruktur hat grossen Nachholbedarf für technologisch hochwertige Güter. Keystone

Seit den positiven Signalen aus den Verhandlungen im Atomstreit zwischen den USA und Iran steht das erdgasreiche Land wieder vermehrt im Interesse der westlichen Industriestaaten. Auch die Schweiz will für die Zeit nach dem Wirtschaftsembargo gerüstet sein. Kontakte mit Vertretern der Islamischen Republik häufen sich.

«Seit einem halben Jahr geben sich die Vertreter aus Europa in Iran die Klinke in die Hand», sagt Suhail el Obeid, Nahost-Experte beim Schweizer Aussenwirtschaftsförderer Switzerland Global Enterprise (S-GE). Das Interesse der Wirtschaft für den iranischen Markt sei seit anfangs Jahr wiedererwacht. Im Nachgang zu den Genfer Verhandlungen vom November 2013 zwischen Iran und den UNO-Vetomächten Russland, USA, Frankreich, Grossbritannien, China sowie Deutschland (Gruppe 5+1) hatten die EU und die Schweiz im Januar die Sanktionen für einige wenige Produkte und Dienstleistungen sistiert.

«In der Regel sind mehrere ausländische Delegationen gleichzeitig in Teheran», sagt Suhail el Obeid. Sie wollten gerüstet sein, um «durchstarten zu können, wenn die Sanktionen aufgehoben werden». Im Vordergrund stünden Fragen wie, «welchen Bedarf gibt es für mein Produkt oder meine Dienstleistung? Für die KMU ist es sehr wichtig, konkrete Partner, Grossisten, Kunden vor Ort zu finden und Business-Gespräche zu führen.»


Dass iranische Medien das Interesse westlicher Repräsentanten eigenartig ausschlachten, mussten Ende April auch drei amtierende und zwei ehemalige Parlamentarier der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) erfahren, die in privater Mission nach Teheran gereist waren. Sie wollten sich laut eigenen Angaben vor Ort erkundigen, ob sich die US-Wirtschaft auch an die Sanktionen halte, oder ob vor allem die Schweiz unter dem Wirtschaftsbann zu leiden habe.

Im Rahmen der Gespräche vor Ort hatte Nationalrat Luzi Stamm die Sanktionen gegen den Iran kritisiert, die auch von der Schweiz offiziell befolgt werden. Auch Ulrich Schlüer, der Drahtzieher des Minarett-Verbots in der Schweiz, liess sich im «einzigen Gottesstaat» vom iranischen Regime hofieren.

Die Schweizer Politiker wurden von iranischen Medien beim Handschlag mit Alaeddin Boroujerdi, dem Vorsitzenden der aussenpolitischen Kommission des iranischen Parlaments, abgelichtet. Die Medienbilder und Texte suggerierten, dass es sich um eine offizielle Schweizer Parlamentarier-Delegation handle, was in der Schweiz eine Debatte über Sinn und Unsinn von privaten Parlamentarier-Reisen provozierte. (Vgl. Artikel «Mehr Klarheit bei privaten Parlamentarier-Reisen nötig»)

Erwartungen geweckt

Ob die Sanktionen gegen Iran aufgehoben werden, hängt vom Erfolg der Verhandlungen im Atomstreit ab. In diesen Tagen treffen sich Vertreter Irans und der Gruppe 5+1 in Wien mit dem Ziel, bis am 20. Juli ein Abkommen abzuschliessen.

Der Genfer Vertrag vom November 2013 habe – etwas salopp zusammengefasst –  im Kern ergeben, dass man im Juni weiterverhandeln werde, sagt Philippe Welti, Präsident der erst vor wenigen Monaten ins Leben gerufenen «Wirtschaftskammer Schweiz Iran». Der ehemalige Schweizer Botschafter in Iran kennt nicht nur die Verhältnisse in der Islamischen Republik, sondern ist auch mit der Schweizer Wirtschaft gut vernetzt. «Die Kammer bereitet das Terrain vor, um den direkten Kontakt zwischen der Schweizer Wirtschaft und der iranischen Kundschaft zu verbessern.»

Die Signale in den Verhandlungen im Atomstreit hätten grosse Erwartungen geweckt, «dass es möglicherweise bald Änderungen gibt», sagt Welti. Dass Iran für die Wirtschaft so interessant sei, liege einerseits an den riesigen Erdgas- und Erdölvorkommen und andererseits am Nachholbedarf für technologisch hochwertige Infrastruktur-Güter. «Entscheidend ist die Verbesserung der Erdöl- und Erdgas-Ausbeutung und -verarbeitung. Was Iran fehlt, ist die Technologie – sowohl qualitativ als auch quantitativ -, um die riesigen Vorkommen optimal zu nutzen.»

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Mehr Klarheit bei privaten Parlamentarier-Reisen nötig

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Kleine Marktführer aus der Schweiz

Die Schweizer Wirtschaft könne mit guten Chancen rechnen, in diesem lukrativen Markt erfolgreich mitzumischen, meint Welti. Für sogenannte Spezialitäten und Nischenprodukte gehöre sie weltweit zu den Leistungsfähigsten.  «Die Automobilindustrie in Iran ist global zwar nicht kompetitiv, aber riesengross. In der Schweizer Zulieferindustrie gibt es kleine Firmen, von denen man in der breiten Öffentlichkeit den Namen kaum kennt, die aber für bestimmte Komponenten in der Automobilherstellung eine Weltmarktdominanz von 90 Prozent haben.» Für diese hochspezialisierten Firmen sei das Potential Irans von grösstem Interesse. «Zum Beispiel die mittlerweile sehr bekannten Kolben-Kompressoren, für welche die Firma Burkhardt Compression in Winterthur weltweit Marktführer ist, und die in Iran gebraucht werden.»

Auf die Frage nach der Verlässlichkeit der Wirtschaftspartner in einem Land, das im Korruptionswahrnehmungsindex den 144. von insgesamt 177 beobachteten Ländern belegt, sagt Ex-Botschafter Welti: «Wenn die Wirtschaft des Landes etwas Wichtiges braucht, ist der iranische Staat bereit, auf Vertragsformen einzugehen, die ihn zum verlässlichen Partner machen, zum Beispiel mit Vorauszahlungen.»

Aber die Wirtschaft funktioniere nicht nach westlichen rechtsstaatlichen Prinzipien. «In einem Rechtsstreit mit einem iranischen Schuldner können Sie nicht damit rechnen, von der Justiz Gleichbehandlung zu erfahren.»

Von einem deutlich grösseren Handelsvolumen zwischen der Schweiz und Iran als das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ausweist – nämlich von 1,7 Mrd. Euro -, spricht Shakib Mohammad-Gou. Der in Deutschland aufgewachsene iranische Staatsbürger betreibt unter dem Namen Swiss-Persian.ch einen Online-Informationsdienst. Er beruft sich auf Zahlen des  iranischen Zolls.

Laut Mohammad-Gou ist der iranische Markt auch für Schweizer Konzerne wie Nestlé, Novartis, Roche, ABB und die Grossbanken UBS und Credit Suisse interessant. Diese Firmen hätten ihre Geschäftstätigkeit  zumindest offiziell eingeschränkt. Sie hätten im Iran einen guten Ruf und seien dort sehr gut vernetzt.

Ein Teil des EU-Geschäfts, das über die EU-Sanktionen eingeschränkt wurde, sei über das Nicht-EU-Mitglied Schweiz abgewickelt worden. Die Schweiz sei bei der Umsetzung der Sanktionen «pragmatisch, wenn es um Waren ging, die nicht direkt mit dem Atomprogramm oder der Neuanbahnung von Erdgas- oder Erdölgeschäften zusammenhingen», sagt Mohammad-Gou.

Das Seco wollte zu dieser Behauptung nicht Stellung nehmen.

Wie bezahlen?

Theoretisch ist die Lieferung vieler Produkte nie ausgeschlossen gewesen. Aber um es mit den USA nicht zu verderben, haben viele Unternehmungen ihre Geschäftsbeziehungen zu Iran mehr oder weniger freiwillig abgebrochen. «Ausserdem müssen sie wegen der internationalen Sanktionen einen  komplizierten Instanzenweg einhalten», sagt Philippe Welti. «Das grösste Problem ist aber nach wie vor der Zahlungsverkehr.»

Iran ist vom internationalen Bankensystem Swift (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) ausgeschlossen. Ein juristisch abgesicherter Zahlungsverkehr über Ländergrenzen hinweg ist praktisch nur über Swift möglich. Die Alternativen sind kompliziert und teuer. «Die USA haben eine weitgehende Kontrolle über fast jeden Dollar, der weltweit verschoben wird», sagt Welti.

Wie schwierig Geschäfte mit dem «Gottesstaat» nach wie vor sind, zeigen auch die Vorbehalte der  Schweizerischen Exportrisikoversicherung SERV. Diese sei zwar «gegenwärtig bereit, Deckungsgesuche für Iran zu prüfen, sofern der Exporteur einen für die SERV akzeptablen Zahlungsweg vorschlagen kann», antwortet das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) auf entsprechende Fragen von swissinfo.ch. «Trotz der Lockerung der Sanktionen durch den Bundesrat konnte die SERV jedoch noch kein Deckungsgesuch behandeln, da die Zahlungswege noch nicht etabliert sind», schreibt das Seco.

Trotz des grossen Interesses lassen sich im Handel zwischen der Schweiz und Iran (noch) keine substanziellen Fortschritte feststellen. In den ersten vier Monaten 2014 stiegen die Exporte im Vergleich zum Vorjahr um 12,8% auf 99,3 Millionen und die Importe um 11,2% auf 12,8 Millionen Franken. Ob dies auf die punktuelle Suspendierung der Sanktionen zurückzuführen oder durch natürliche Schwankungen bedingt ist, lässt sich laut Seco wegen der kurzen Beobachtungsphase nicht beurteilen.

2008 hatte die Schweiz mit Iran im Beisein der damaligen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey einen Erdgas-Liefervertrag abgeschlossen. Der Vertrag hatte in der Schweiz eine heftige Debatte ausgelöst, nicht zuletzt weil die Bundesrätin bei ihrem Besuch ein Kopftuch trug. Infolge der Sanktionen wurde der Vertrag kurz darauf sistiert.

Ob sich die Schweiz inzwischen für eine Wiederaufnahme des Vertrags bemüht, geben derzeit weder das Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA noch die AXPO Trading AG  bekannt, die damals noch unter dem Namen EGL den Vertrag abgeschlossen hatte.

«Die aktuelle geopolitische Lage lässt keine Erdgasbezüge aus Iran zu», schreibt die Axpo nur. Sie setze im Rahmen «der TAP (Trans Adriatic Pipeline) auf den Erdgasbezug aus Aserbaidschan.»

Auch Österreichs grösstes Industrie-Unternehmen OMV hatte damals einen Gasliefervertrag mit Iran sistieren müssen. Laut Medienberichten haben in den letzten Tagen mehrere Treffen zwischen OMV-Vertretern und Vertretern des iranischen Ölministeriums stattgefunden.

Vorsicht mit Irans Medien

Das wiedererwachte Interesse des Westens für die Wirtschaft  der Islamischen Republik wird im «Gottesstaat» gerne gesehen, und die iranischen Medien hausieren ungeniert damit. Auf welche Quellen sich ihre Informationen stützen, ist manchmal allerdings schleierhaft:  

«Der Schweizer Elektroradhersteller Biketec ist bereit für Investitionen im Iran», lautete der Titel eines Berichts des iranischen Rundfunks, dessen deutschsprachiges Programm sich als «Stimme der Islamischen Republik Iran» bezeichnet. Das Medium teilte mit, dass sich ein Verwaltungsrat des Schweizer Elektro-Fahrradherstellers Biketec bei einem Treffen mit iranischen Behörden bereiterklärt habe, auf der iranischen Insel Kish Produktions- und Montageanlagen zu bauen (Vgl. unten: Iran German Radio).

Bei der Firma Biketec hat man freilich keine Ahnung, worauf diese Behauptung gründet. Man habe keinerlei Absicht, nach Iran zu expandieren, teilt die Firma mit.

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