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Islamismus: «Wir sollten mit Macron solidarisch sein»

Elham Manea

Zwischen dem Westen und arabischen Ländern ist eine Islamismus-Debatte entbrannt. Wir sollten unsere Solidarität mit Frankreich und Macron zum Ausdruck bringen, schreibt die Politikwissenschaftlerin und Menschenrechtsaktivistin Elham Manea.

Am 2. Oktober hielt der französische Präsident Emmanuel Macron eine RedeExterner Link über seinen Kampf gegen Separatismus, die viele Reaktionen ausgelöst hat.

Macron sagte, das Problem sei der «islamistische Separatismus», der seine Religion über Frankreichs Gesetze und Prinzipien – wie beispielsweise die Geschlechtergleichheit – stelle. Macron kündigte eine Reihe von Massnahmen an, um die Segregation zu stoppen. Beispielsweise ist Homeschooling nur noch aus gesundheitlichen Gründen erlaubt.

Aber anstatt sich auf die aufgeworfenen Fragen zu konzentrieren, wurde Macron die «Stigmatisierung von Muslimen» vorgeworfen. Islamische Staaten riefen zum Boykott Frankreichs auf.

Elham Manea ist Privatdozentin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Sie ist eine Autorin und Menschenrecht-Aktivistin. Sie ist Mitglied des österreichischen Beirats der Dokumentationsstelle für politischen Islam, und Vizepräsidentin der Schweizerischen Eidgenössischen Kommission für Migration. Ihre Meinungen hier sind ihre eigenen.

Was spielt sich da ab?

Es handelt sich um eine Strategie, die häufig von islamistischen Organisationen und Staaten eingesetzt wird: Sie zielt darauf ab, die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Thema – dem Islamismus – abzulenken, den Islamismus mit den Muslimen und dem Islam zu vermischen und sich auf einen Opferdiskurs einzulassen, der einem ewig gleichen Duktus folgt: «Der Islam wird angegriffen, Muslime werden stigmatisiert – und die Welt schaut zu.»

Ich bin eine schweizerisch-jemenitische Akademikerin islamischen Glaubens, die unter anderem die Ideologie, den Kontext und die Folgen des Islamismus in seinen verschiedenen Formen erforscht und lehrt. Ich unterstütze die Massnahmen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Er hat das Problem beim Namen genannt. Und es braucht Mut, das zu tun.

Ich unterstütze Macron, weil das Problem gut dokumentiert ist: Für das Beispiel der französischen Schulen hat 2004 der damalige Generalinspektor für das Bildungswesen, Jean-Pierre Obin, eine separatistische Weltsicht in einem BerichtExterner Link nachgewiesen. Auf der Grundlage einer Feldarbeit, die 60 Schulen umfasste, beschrieb er unter anderem Toiletten mit getrennten Waschbecken für Muslime und «Franzosen», und separate Umkleideräume in Sporthallen. Ein lokaler Beamte erklärte die separaten Umkleideräume so: «Beschnittene Jugendliche sollten nicht mit unsauberen Jugendlichen zusammensitzen [sic])».

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Der Bericht dokumentiert auch, wie Mädchen zwischen 14 und 15 Jahren zur Heirat gezwungen werden. Er benennt zudem die politische Strategie des Entryismus, Infiltrierung, die islamistische Missionare dazu ermutigt, sich zum Zweck der Missionierung bestimmten Jobs in Schulen anzuschliessen.

Versäumnisse des französischen Staates

Natürlich können wir den Zeitpunkt von Macrons Rede in Frage stellen – bald sind Wahlen.

Und es stimmt auch, dass der französische Staat einen Teil des Problems selbst verursacht hat durch seine Nachlässigkeit gegenüber den Banlieues. Vor allem in diesen Arbeitervororten der Grossstädte sind geschlossene Gemeinschaften entstanden, die letztlich zu fruchtbaren Rekrutierungsgebieten für islamistische Gruppen geworden sind.

Die Jugend dort wurde der Arbeitslosigkeit, Fremdenfeindlichkeit, der Armut sowie einem Macho-Verhaltenskodex überlassen. Die Abwesenheit des Staats hinterliess ein Vakuum, das von islamistischen Strukturen gefüllt wurde, grosszügig unterstützt von transnationalen islamistischen Strukturen und Regierungen.

Die Schweiz ist keine Insel

Diese Muster und Strukturen sind nicht nur in Frankreich zu beobachten. Sie existieren auch in anderen europäischen Ländern.

Wenn es um die Schweiz geht, kann die Situation aber nicht mit Frankreich verglichen werden. Zum einen gibt es in der Schweiz nicht die gleiche Art von segregierten geschlossenen Gemeinschaften. Aber es gibt Tendenzen in einigen Städten, wo gewisse Ethnien und Schichten sehr stark vertreten sind, beispielsweise in den Kantonen Basel-Stadt, Zürich, Genf, Waadt und Fribourg.

Dennoch ist die Schweiz keine Insel und bleibt von Entwicklungen, die um sie herum stattfinden, nicht verschont. Die Verbindung der Schweiz zum jüngsten Terrorfall in Österreich ist ein Indiz dafür. Aber ich spreche nicht nur von dschihadistischen Tendenzen, sondern auch von der Ideologie des Islamismus (politischer Islam) und seinen Weltanschauungen. Diese sind besonders in Kantonen der Westschweiz verbreitet.

Darüber hinaus, hat eine Studie der Universität LuzernExterner Link grundsätzlich eine antidemokratische religiös-politische Überzeugung bei einem Teil der muslimischen Jugend (21%) in der Schweiz gezeigt. Wie diese Einstellungen entstehen und genährt werden – beispielsweise durch eine patriarchalische und autoritäre Erziehung oder Religionsunterricht – wurde in der Studie nicht behandelt.

Es ist daher an der Zeit, die religiösen Bildungsstrukturen von Moscheen in der Schweiz,die islamistischen Bewegungen angeschlossen sind, sowie die religiösen Strukturen von Ländern, die den politischen Islam fördern, genauer zu untersuchen. Ich verstehe die Sensibilität des Themas, aber nur durch sorgfältige Forschung und Untersuchung können wir das Problem angehen, ohne eine ganze Religionsgemeinschaft zu stigmatisieren.

Solidarität mit Frankreich

Mit den französischen Massnahmen soll ein ernstes Problem angegangen werden, das lange Zeit unangetastet blieb. Wir sollten unsere Solidarität mit Frankreich und Macron zum Ausdruck bringen. Macron bezieht mutig Stellung gegen eine Ideologie des Separatismus. Anstatt ihn wegen seiner Botschaft mit Kritik einzudecken, schlage ich vor, seine Botschaft anzuhören: Es geht um uns; um uns alle.

Macrons Rede (auf Französisch):

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Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene der Autorin und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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