Ist das Wasser zu warm, ersticken die Schweizer Fische
Der Klimawandel wirkt sich auch auf Seen und Flüsse aus. Und das ist selbst für Schwimmerinnen und Schwimmer keine gute Nachricht. Ohne ausreichende Durchmischung der oberen und unteren Wasserschichten im Winter sind die grossen Seen der Schweiz vom Ersticken bedroht.
In den letzten 80 Jahren hat die Temperatur des Oberflächenwassers im Zürichsee im Herbst um ganze vier Grad zugenommen. Badende mögen dies schätzen, Fische viel weniger.
Der direkt messbare Anstieg der Wassertemperatur ist nicht der einzige Schaden, den der Klimawandel den Seen zufügt. Er verhindert auch die vollständige Durchmischung des Wassers im Winter, die unerlässlich ist für die Versorgung des Tiefenwassers mit Sauerstoff.
Oberflächenwasser, das in direktem Kontakt mit der Luft steht, ist reicher an Sauerstoff als die Wasserschichten tiefer unten. Da warmes Wasser leichter ist als kaltes, bleibt es in den Sommermonaten an der Oberfläche. Im Winter kühlt das Wasser ab und sinkt, auch angetrieben von Wind, auf den Seegrund. Das Oberflächenwasser bringt Sauerstoff mit sich, der nicht nur für den Abbau von abgestorbenen Algen, sondern auch für die Fortpflanzung von Fischen unerlässlich ist.
Dies ist ein schönes und anschauliches Beispiel für einen natürlichen Kreislauf, der das Gleichgewicht eines komplexen und empfindlichen Ökosystems aufrechterhält.
Seen «zu tief»
Mit dem Klimawandel und den zunehmend wärmeren Wintern wird das Oberflächenwasser jedoch heute nur noch selten kalt genug – und damit schwer genug –, um ganz auf den Grund der Seen zu sinken. Im Bodensee zum Beispiel zeigten Simulationen, dass die Durchmischung immer seltener die maximale Tiefe (254 Meter) erreicht.
Im Genfersee, der stellenweise mehr als 300 Meter tief ist, geht die letzte vollständige Durchmischung auf 2012 zurück. Im vergangenen Winter sank das Oberflächenwasser nur bis zu einem Drittel der Seetiefe ab.
Diese Störung des natürlichen Kreislaufs hat verschiedene negative Folgen für die Gesundheit der Seen. Der Sauerstoffmangel behindert den effizienten Abbau der tierischen und pflanzlichen Resten am Seegrund durch Bakterien. Er bedroht auch das Überleben von kleinen wirbellosen Tieren wie Würmer und Krustentiere, die Glieder der Nahrungskette sind.
Das Bundesamt für Umwelt wies in einer Mitteilung Externer Linkzum diesjährigen Weltwassertag im März auf das wachsende Problem hin.
Und das ist noch nicht alles: Der Sauerstoffmangel am Seegrund setzt auch im Sediment eingeschlossenen Phosphor frei, der als Dünger für das Wachstum der Algen wirkt. Abgesehen davon, dass Badegäste den Kontakt mit Algen an der Oberfläche nur mässig geniessen, sinken diese nach dem Absterben auf den Grund und verbrauchen dort für ihren Abbau Sauerstoff, was das Defizit weiter verschärft.
Und schliesslich beeinträchtigt der Sauerstoffmangel auch die Fortpflanzung der Fische. Zum Beispiel legt der Seesaibling, einer der edelsten Fische in unseren Seen, seine Eier in einer Tiefe von 60 bis 80 Metern ab, idealerweise in acht Grad Celsius warmem Wasser. Wenn das Wasser der Laichplätze nicht ausreichend mit Sauerstoff angereichert ist, können sich die Eier nicht entwickeln.
Seit den sorglosen Tagen der «glorreichen dreissig Jahre» nach dem Zweiten Weltkrieg, als Seen und Flüsse praktisch als Abwasserkanäle betrachtet wurden, die sich selbst regenerieren konnten, wurden viele Anstrengungen unternommen, um die Gesundheit der Seen wiederherzustellen und seither zu erhalten.
Man baute Kläranlagen, verbot Phosphate in Waschmitteln und versuchte auch, andere Verschmutzungen zu reduzieren. Die Qualität der Gewässer gilt heute fast überall als gut.
Die mangelnde Sauerstoffversorgung des Seegrunds wegen der ungenügenden Durchmischung von Oberflächen- und Tiefenwasser ist jedoch eine Herausforderung anderen Ausmasses. Hier liegt die Lösung nicht mehr in lokalen Aktionen, sondern im globalen Kampf gegen den Klimawandel.
Die Fliessgewässer in der Schweiz erwärmen sich fast so schnell wie die Atmosphäre. Dies ist das unerwartete Fazit einer StudieExterner Link der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) und des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (WSL), die Anfang 2020 veröffentlicht wurde.
Lange Zeit glaubten die Forscher, dass die Zufuhr von kaltem Wasser aus dem Schmelzen von Schnee und Gletschern, sowie der Durchfluss durch Seen, ausreicht, damit die Flüsse kühl bleiben, auch wenn die Luft wärmer wird. Eine Analyse der Temperaturentwicklung der Flüsse in der ganzen Schweiz seit 1979 zeigt jedoch, dass dies nicht mehr der Fall ist.
In den vergangenen zwanzig Jahren sind die Temperaturen der Schweizer Flüsse im Durchschnitt um eindreiviertel Grad gestiegen. Das mag nicht viel erscheinen, aber es kann saisonale Schwankungen von zwei bis vier Grad bedeuten, und das reicht aus, um das gesamte Ökosystem unter Stress zu setzen.
Dies gilt umso mehr, als die durchschnittliche Wasserdurchflussrate im gleichen Zeitraum um 10% gesunken ist. Ein kleineres Wasservolumen erwärmt sich schneller.
Der Trend dürfte sich beschleunigen, insbesondere wenn die immensen Wasserreserven, welche die Gletscher darstellen, weiter abschmelzen. Schon 2018 mussten Fische in höher gelegene Flüsse umgesiedelt werden, um zu verhindern, dass sie an Überhitzung, Wassermangel oder der Ausbreitung von Krankheiten sterben.
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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