Jobsharing: Wenn zwei Köpfe besser sind als einer
Hätten Sie Lust, Ihre Stelle mit einer anderen Person zu teilen? Die Idee setzt sich in der Schweiz mit ihren vielen Teilzeit-Arbeitenden langsam durch. Attraktiv ist Jobsharing vor allem für Frauen, die anspruchsvollere, besser bezahlte Arbeit suchen, während Männer weiter gegen konservative Vorstellungen am Arbeitsplatz kämpfen.
«Jobsharing ist die perfekte Lösung für komplizierte Stellen», erklärte der Blick-Redaktor Joel Widmer. Seit April 2014 leitet er mit seinem Kollegen Matthias Halbeis das Ressort Politik der Blick-Gruppe. Sie koordinieren ein Team mit sieben Journalisten. Der anspruchsvolle Posten bringt mit sich, dass zwei Leute fast Vollzeit arbeiten müssen.
«Wir arbeiten beide je 80%. Auch unsere Ehefrauen arbeiten, und wir haben beide Kinder. Wir wollten einen freien Tag haben, um uns um die Kinder zu kümmern. Das ist unser Hauptgrund», erklärte Widmer weiter.
«Unsere Hauptnachrichten-Redaktion ist in Zürich, aber das Ressort Politik befindet sich in Bern. Die Anforderungen an die Koordination sind gross, und ich möchte dies nicht allein tun. Es ist wirklich ein Vorteil, fundierte Entscheidung zusammen mit einer anderen Person fällen zu können.» Widmer und Halbeis sind in der Schweiz, wo viel mehr Frauen eine Jobsharing-Stelle haben, eine Seltenheit.
Es wird angenommen, dass Jobsharing in den späten 1970er-Jahren in den USA seinen Anfang nahm. In der Schweiz werden solch flexible Arbeitsverhältnisse immer populärer, auch um den Anforderungen von Angestellten und dem Arbeitsmarkt gerecht werden zu können. Man geht davon aus, dass heute zwischen 19% und 27% der Unternehmen in der Schweiz Jobsharing-Stellen anbieten, genaue Zahlen liegen bisher nicht vor.
Das Thema Jobsharing stand jüngst im Zentrum eines Seminars in Freiburg, an dem rund 250 Personen teilnahmen, darunter Vertreter des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) sowie Gewerkschaften und Schweizer Arbeitgeber.
Grössere Flexibilität
Irenka Krone-Germann, Co-Direktorin des Vereins PTO (Part Time Optimisation) und Organisatorin der Veranstaltung in Freiburg, ist überzeugt, dass Jobsharing ein riesiges Wachstumspotential hat. Die Schweiz hat nach den Niederlanden in Europa den proportional höchsten Anteil von Teilzeit-Arbeitenden (36,5%) – 59% der Frauen und 14% der Männer arbeiten Teilzeit, wie sie sagte.
«Unter den Unternehmen besteht, besonders seit der Abstimmung vom 9. Februar [2014], die strikte Immigrationsquoten fordert, grosse Bereitschaft, denn die Firmen sehen, dass es in Zukunft an qualifiziertem Personal fehlen könnte», fügte Krone-Germann hinzu.
Die Schweizer Versicherung AXA Winterthur gehörte bei der Veranstaltung in Freiburg zu der Handvoll von Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden Jobsharing-Stellen anbieten.
«Im Allgemeinen fördern wir flexible Arbeitsmodelle, weil wir sehen, dass dies den Bedürfnissen unserer Angestellten entspricht, unabhängig von deren Alter oder Geschlecht. Wir wollen unsere Angestellten integrieren und möchten, dass sie über längere Zeit in der Firma bleiben», sagte Yvonne Seitz, Personalmanagerin bei AXA Winterthur.
Zu den Vorteilen einer geteilten Arbeitsstelle gehören neben grösserer Flexibilität der Austausch von Wissen, vor allem zwischen erfahrenem und jüngerem Personal, sowie eine einfachere Regelung von Ferien- oder Krankheitsvertretungen.
«Jobsharing-Stellen führen oft zu mehr Innovation, besserer Leistung und erlauben uns, die besten Talente zu finden», sagte Elena Folini, Human-Resources-Managerin beim Telekommunikationsriesen Swisscom.
Valérie Bovard, die bei der Lungenliga in Freiburg zusammen mit ihrer Kollegin Sophie Binz für ein Team von 20 Krankenschwestern zuständig ist, erklärte, der Arbeitgeber profitiere ganz klar davon, dass sich zwei Leute eine Stelle teilten.
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Die Freuden mit dem geteilten Job
Männer erklären oft, der Wunsch, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, sei der Hauptgrund, die Arbeitszeit zu reduzieren und eine Jobsharing-Stelle zu suchen. 2011 hatte eine Umfrage von männer.ch, dem Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen, bei 1200 Männern im Kanton St. Gallen ergeben, dass 90% der Befragten Teilzeit arbeiten möchten.
Dennoch ist es bisher selten, dass zwei Männer sich eine Kaderstelle teilen, dies ist nur gerade in 2% aller Jobsharing-Posten in der Schweiz der Fall. Überwiegend (90%) teilen sich zwei Frauen solche Stellen.
Die Einstellungen, was die Rolle des Arbeitsplatzes und der Verantwortlichkeiten angeht, sind noch immer weitgehend konservativ, die Idee von Jobsharing provoziert noch immer häufig negative Reaktionen.
Eine Umfrage der Personalberatungsfirma Robert Half bei 1200 Wirtschaftsführungskräften 2014 ergab, dass fast ein Drittel der Befragten der Ansicht waren, die Verantwortung für eine Stelle auf zwei Angestellte zu verteilen könnte die Beziehungen innerhalb eines Teams komplizieren und das Funktionieren der Gruppe negativ beeinträchtigen.
«Einige meiner Kollegen schauen mich befremdet an, wenn ich erkläre, dass ich 50% als Hausmann tätig bin», sagte der vierfache Vater Claude Hauser, der sich in den letzten 12 Jahren mit einem Kollegen eine Stelle als Professor für Gegenwartsgeschichte an der Universität Freiburg teilte.
Geteilte Macht
«Der Widerstand der Männer kommt von der Vorstellung, dass man Verantwortung, und Macht nicht teilen kann», sagte Hauser. «In der akademischen Welt ist dies auch mit der Idee star-behafteter Professuren verbunden, nach der ein akademischer Lehrstuhl nur zu 100% besetzt sein kann. Wie auch immer: diese Idee ist veraltet. Wir arbeiten mehr und mehr in Teams, und Jobsharing ist in dem Sinne ideal.»
Die Motivation von Frauen für ein Jobsharing kann unterschiedlich ausfallen. In der Schweiz haben Frauen in den vergangenen Jahren Platz gut gemacht und überholen heute die Männer, was Hochschulausbildung und Qualifikationen angeht. Das gilt auch für die Zahl jener Frauen, die in medizinischen, rechtlichen oder Lehrberufen arbeiten.
Dennoch sind Frauen bisher in höheren Kaderpositionen generell noch immer untervertreten; nur gerade 6% der Direktionsposten in Schweizer Unternehmen werden von Frauen gehalten. Schätzungen zufolge sind etwa 50’000 Frauen mit einer Hochschulbildung nicht beruflich aktiv, die meisten von ihnen sind Mütter.
Je höher qualifiziert Mütter seien, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass sie Teilzeit arbeiten würden, sagte Krone-Germann. Teilzeitstellen können aber auch Nachteile haben: Zum Beispiel ein eingeschränkter Zugang zu Leitungsfunktionen, eine schlechtere Absicherung bei der beruflichen Vorsorge oder zu wenig genutzte Fähigkeiten und Stellen ohne Aufstiegschancen.
Heiliger Gral der Beschäftigung?
Stellt sich die Frage, ob Jobsharing der Heilige Gral für Angestellte sein kann, die Flexibilität anstreben und eine hochkarätige Arbeit suchen, sowie für Arbeitgeber, die auf grössere Produktivität ihres Personals drängen. «Es funktioniert nur wirklich, wenn man sich gegenseitig gut kennt», erklärte Binz.
Und die Koordination könne für grösseres Kopfzerbrechen sorgen, fügte Hauser hinzu. «Ein Problem ist, dass man manchmal nicht die Zeit hat, mit dem Kollegen zu kommunizieren und den Überblick über die Arbeit verlieren kann.»
Neben zusätzlichen Kosten für einen weiteren Arbeitsplatz, Computer oder Ausbildungsbedarf können Personaleinstellung und Kontrolle für den Arbeitgeber komplexer werden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können es auch als verwirrend empfinden, zwei Chefs oder Chefinnen unterstellt zu sein.
Schweizer Gewerkschaften begrüssen das Modell des Jobsharing grundsätzlich. Valérie Borioli Sandoz, Leiterin Gleichstellungspolitik bei der Gewerkschaft Travail.Suisse, warnte allerdings auch vor Gefahren: «Wenn nur Frauen Jobsharing machen, führt dies zu einer weiteren Segmentierung der Arbeit nach Geschlecht, was Lohndiskriminierungen nach sich zieht, die bekämpft werden müssen.»
Es besteht auch das Risiko, dass die Aufteilung einer Stelle auf zwei 50%-Arbeitsplätze auf dem Papier sich nicht mit der Realität deckt und der Aufwand höher liegt – mit zusätzlicher Arbeitsbelastung, aber ohne zusätzliche Bezahlung.
«Dies muss man mit seinem Arbeitgeber in Ruhe diskutieren. Wenn die 50% nicht ausreichen, muss man unter Umständen darauf beharren, für eine 60%- oder 70%-Stelle bezahlt zu werden», sagte sie.
Die Schweiz mache langsam Fortschritte, hinke aber immer noch hinter anderen mitteleuropäischen Ländern her, erklärte die Gewerkschafterin weiter.
«Wir liegen deutlich hinter anderen europäischen Ländern, wie im Bereich Familienpolitik grundsätzlich», sagte sie. «Aber wir sollten die Hoffnung nicht verlieren. Ich habe den Eindruck, dass Firmen die Idee des Jobsharing ernst nehmen. Derzeit ist das Niveau allerdings noch sehr niedrig und die Mentalitäten derart, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben.»
Jobsharing in der Schweiz
Eine 2014 von der Fachhochschule Nordwestschweiz veröffentlichte Umfrage bei 400 Schweizer Unternehmen mit insgesamt 180’000 Angestellten hatte ergeben, dass 27% der Firmen Jobsharing-Angebote hatten. Ein Viertel dieser Stellen waren Kaderpositionen.
Eine weitere Umfrage von 2014 bei 1200 Führungskräften – darunter 100 aus der Schweiz – durch das Personalberatungs-Unternehmen Robert Half ergab, dass 19% der befragten Firmen in der Schweiz ihren Mitarbeitenden die Jobsharing-Möglichkeit anboten.
Fast ein Drittel der Befragten waren jedoch der Ansicht, dass die Aufteilung der Verantwortung für eine Stelle auf zwei Personen die Beziehungen in einem Team kompliziere und das Funktionieren der Gruppe negative beeinträchtige.
Spitzenreiter war gemäss der Umfrage von Robert Half Grossbritannien, wo 48% der befragten Unternehmen Jobsharing als Option anboten. Der europäische Durchschnitt lag bei 25%. Noch weniger bereit zum Jobsharing als die Schweiz war Deutschland mit 15% der Firmen.
Die genaue Zahl der Leute, die in der Schweiz eine Jobsharing-Stelle haben, ist nicht bekannt. Das Bundesamt für Statistik wird 2016 bei seiner Erhebung der Arbeitskräfte erstmals auch Daten zum Jobsharing erfassen.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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