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Junge Tunesier werden für Jobsuche fit gemacht

Junge Tunesierinnen zeigen ihr erworbenes Können. swissinfo.ch

Die Schweiz ermöglicht jungen, benachteiligten Tunesiern einen besseren Einstieg ins Berufsleben, unterstützt innovative Geschäftsideen von Jungunternehmern finanziell und hilft bei der Sanierung von Schulen. Ein Einblick in die Projekte.

Elias bou Kaid und seine Kameraden stehen in einer Reihe im kleinen Klassenzimmer und zeigen schüchtern, aber stolz ihre Zertifikate, die sie als Herren-Coiffeure gewonnen haben.

Sie haben sich ihre Kenntnisse nicht in einem der angesagten Salons in der Stadt angeeignet, sondern im Ausbildungszentrum El-Anaka in Sidi Hassine Zahrouni, einem der ärmeren Quartiere der Hauptstadt Tunis.

Das Projekt der tunesischen Nichtregierungs-Organisation Association Campagne will den jungen Männern helfen, besser in einem Beruf Fuss zu fassen. Es wird von der schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) unterstützt.

Das El-Anaka ist eines von zwei Zentren, in denen die Organisation junge Erwachsene in Kurse platziert hat. Nicht nur Haareschneiden wird ihnen dort beigebracht, sondern auch Schneidern, Inneneinrichtung, Patisserie, Computerkenntnisse und Unterhaltsarbeiten.

Die Schweiz ist bemüht darum, jungen Tunesiern zu Berufswissen zu verhelfen. Der Schweizer Botschafter in Tunesien, Pierre Combernous, bezeichnet diese Möglichkeit als «Lichtblick».

Und genau dies ist der Gedanke hinter der Association Campagne, wie ihr Ehrenpräsident, Missaoui Mohamed, erklärt: «Junge Menschen haben das Gefühl, sie müssten ins Ausland, um Arbeit zu finden. Wir wollen diese Einstellung ändern. Sie sollen merken, dass sie hier gut leben und zuversichtlich in die Zukunft blicken können.»

Elias und seine Kameraden sind nicht allein. Die Frauen, die im gleichen Zentrum die Coiffeur-Ausbildung gemacht haben, haben ebenfalls Auszeichnungen erhalten. Beim Besuch von swissinfo.ch geht es zu und her wie an einer Hochzeit: Einige der Studentinnen tragen Brautkleider, während andere sie schminken und ausgefallene Frisuren auf ihre Köpfe zaubern, um ihre neu erworbenen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

«Frisieren ist sehr gefragt», erklärt Harzi Med Nafaa, der Gründer der Organisation. «Coiffeure können eine Menge Geld verdienen, mehr als Lehrer.»

Inzwischen servieren Patisserie-Studenten Apero-Häppchen, von der Mini-Pizza bis zum Früchteküchlein.

«Ich bin wirklich beeindruckt von den Fortschritten, die sie gemacht haben», sagt Corinne Conti, jene Mitarbeiterin des Schweizer Programmbüros und der Botschaft, die zwischen den Schweizer Geldgebern und der Association Campagne vermittelt. Sie bewundert die aufwendig verzierten Kissen und plissierten Vorhänge der Inneneinrichtungs-Klasse.

Dass die beiden Schulen in den heruntergekommenen Quartieren Sidi Hassine Zahrouni und Cité Ettadhamen aber nur berufliche Fertigkeiten vermitteln, reicht nicht.

«Einige der Studierenden haben die Schule abgebrochen, oder vielleicht sind ihre Eltern geschieden, oder die Auszubildenden verstehen sich nicht gut mit den Eltern», sagt Rafika Ferhani, die als Sozialarbeiterin bei der Organisation beschäftigt ist.

«Ich versuche, ihnen bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen.» In Tunesien, wo die Familie normalerweise eine echte Stütze ist, ist ein solcher Beistand eine echte Hilfe.

Frustration

Die Frustration über fehlende Arbeitsmöglichkeiten war der Auslöser, der das Regime des verhassten Diktators Zine el-Abidine Ben Ali im Januar 2011 zu Fall gebracht hatte. Es ist ein Problem, das im ganzen Land angegangen werden muss, auf unterschiedlichen Stufen.

So engagiert sich die Schweiz auch in einem Programm für Jungunternehmer im Süden des Landes, wo die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist, um neue Jobs zu schaffen.

Die Bank zur Finanzierung von kleinen und mittelgrossen Unternehmen (BFPME) wurde bereits 2005 ins Leben gerufen, um jungen Hochschulabsolventen ohne betriebswirtschaftlichen Hintergrund oder familiäre Beziehungen beim Aufbau von Projekten zu helfen. Sie ist einer der Partner des Schweizer Programms.

Die Bank wurde lange vor der Revolution gegründet, doch Moncef ben Yamna, Leiter des BFPME-Büros in der südtunesischen Stadt Medenine, erklärt, es habe einen Wandel der Mentalität stattgefunden.

«Junge Leute beginnen jetzt, einen unternehmerischen Geist zu entwickeln. Sie haben echte Hoffnungen. Natürlich hat das etwas mit der Revolution zu tun, doch es ist ein Prozess, der bereits vor Jahren begonnen hat», sagt er.

Auch hier ist der Schweizer Beitrag finanzieller Art. Unternehmer, die von der Bank unterstützt werden, müssen einen Anteil des Kapitals selber aufbringen. Das ist nicht immer einfach. Also offeriert ihnen die Schweiz ein Darlehen. Zudem bezahlt sie Experten, die sie beim Entwurf der Businesspläne betreuen und sie durch die ersten paar Jahre begleiten.

Schwämme

Samia Ezzeddine ist eine dieser Jungunternehmerinnen. Sie studierte Journalismus und arbeitete während 15 Jahren auf einer Bank. Gegenwärtig ist sie Hausfrau mit zwei Kindern – aber nicht mehr lange, wie sie hofft.

«Ich will mein Leben komplett umkrempeln», sagt sie. «Ich habe die Monotonie der Arbeit auf einer Bank satt. Ich habe viele Ideen.» Ihre Idee einer Fabrik zur Herstellung und Vermarktung von Badeschwämmen wird von der Schweiz unterstützt. Die Schwämme werden aus dem Meer vor der tunesischen Küste gefischt. Sind ihre lebenden Zellen entfernt, werden sie als Badeschwämme verkauft.

«Die Griechen sind hergekommen, um solche Schwämme zu kaufen, doch seit der Wirtschaftskrise bleiben sie aus. Wie auch andere Abnehmer. Die Schwammfischer haben aufgehört, weil sie ihren Fang nicht mehr verkaufen können.»

Ihr Projekt soll den Fischern wieder ein Auskommen und anderen Personen Beschäftigung in der Schwammverarbeitung bringen. Ezzeddine will Jobs schaffen und das Produkt als 100% tunesisch vermarkten.

Blick in die Zukunft

Doch was wird mit der nächsten Generation geschehen? Bildung ist das zentrale Element, doch eine Schule, in der die Toiletten seit Jahren nicht funktionieren oder in der die Schüler mehrere hundert Meter um ein Gebäude herumlaufen müssen, um in ihr Klassenzimmer zu gelangen, ist deprimierend. Auch wenn sich die Lehrer hingebungsvoll bemühen.

Der Spielplatz einer 1889 erbauten Primarschule in Medenine sieht aus wie eine Baustelle, auch wenn das Schuljahr noch nicht zu Ende ist. Sie ist eine von sechs Schulen, bei deren Sanierung die Schweiz mithilft.

«Die Schule hatte schon lange eine Renovation nötig. Doch wir hatten nie genügend Geld dafür», sagt Tahar Mohsen, stellvertretender Bildungsverantwortlicher in Medenine. «Regionen wie die unsere wurden während Jahren vernachlässigt.»

Wie eine neue Generation von Möchtegern-Unternehmern zu ihrem Leidwesen feststellen musste, waren ihre beruflichen Qualifikationen nicht sehr hilfreich. Dies solle sich nun ändern, betont Mohsen.

«Wir müssen das gesamte Bildungswesen überprüfen. Das kann nicht vom einen zum andern Jahr geschehen. Doch wir müssen heute damit anfangen, damit wir Kinder haben, deren Ausbildung es ihnen ermöglicht, eine Arbeit zu finden, die zum Wohl der Gesellschaft ist.»

Der Wille ist auf jeden Fall vorhanden. Chouikhi Nazih, der Bauunternehmer, der die Schule renoviert, war einmal selber Schüler in diesem Schulhaus – wie sein Vater vor ihm. Er erhofft sich auch, dass seine Kinder dereinst hier die Schulbank drücken können.

Er war höchst erfreut, dass er bei den Renovationsarbeiten mithelfen durfte. «Wenn ich mit der Arbeit fertig bin, will ich die Schweiz besuchen und mich bei allen ganz herzlich bedanken.»

Die Organisation wurde von Harzi Med Nafaa gegründet. Er hatte zuvor bereits während 16 Jahren in Nichtregierungs-Organisationen gearbeitet.

Ziel der Organisation ist die Bekämpfung der Armut, die Förderung der Beschäftigung und die Umsetzung von Entwicklungsprojekten zu Gunsten ärmerer Menschen.

Nafaas ursprüngliche Idee, mit Mikrokrediten kleine Geschäfte zu unterstützen, war 2009 von den damaligen Behörden abgelehnt worden.

Nach der Revolution reichte er die Idee erneut ein – mit neuem Namen und einer neuen Strategie, die nun auf Bildung setzt.

Die Association arbeitet hauptsächlich in Tunis, will aber expandieren, sobald die Mittel dies erlauben. So versucht der Vizepräsident derzeit, an seinem Wohnort im westtunesischen el-Kef eine Filiale einzurichten.

Momentan besuchen 80 junge, motivierte Menschen, die eine Ausbildung abgebrochen hatten oder aus einer armen Gegend stammen, Kurse der Organisation. 300 weitere zeigten sich interessiert an einer Teilnahme.

Die meisten sind Teenager, doch einige ältere Frauen haben auch Kurse besucht. Auch Menschen mit Behinderungen werden aufgenommen.

Nach dem Diplom hilft ihnen die Organisation beim Start eines eigenen Geschäfts oder bei der Jobsuche.

Die Schweiz unterstützt das Projekt während einem Jahr. Die Organisation sucht nun Mittel aus anderen Ländern und ist in Kontakt mit den Botschaften von Frankreich und Finnland.

Die Bank zur Finanzierung kleiner und mittelgrosser Unternehmen wurde 2005 gegründet und hat Büros überall im Land.

Sie hilft Möchtegern-Unternehmern, Machbarkeitsstudien und Businesspläne zu erstellen und finanziert diese.

Die Bank begleitet die Unternehmer auch in den ersten operativen Phasen.

Sie ist besonders interessiert an Projekten in den Bereichen Biotechnologie, Energiesparen, erneuerbare Energien, Umwelt sowie neue Informations- und Kommunikations-Technologien.

Die Unternehmer müssen einen Teil des Kapitals selber aufbringen. Die Schweiz hilft mit Darlehen aus und beteiligt sich finanziell an der Unterstützung der Kreditnehmer.

(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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