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Die Schweiz hat die Instrumente, um Neonazi-Konzerte zu verbieten

Die Tennishalle von Unterwasser macht einen friedlichen Eindruck. Während eines Neonazi-Konzerts am 15. Oktober wurde sie jedoch von über 5000 Personen in Beschlag genommen. Keystone

5000 Leute an einem Neonazi-Rockfestival in der Nähe von St. Gallen – das gab es noch nie. Wird die Schweiz mit der Ankündigung eines weiteren Konzerts am 5. November in Lausanne zum Anti-Woodstock hasserfüllter Glatzköpfe? Nicht wenn es nach Martine Brunschwig Graf geht. Laut der Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus ermöglicht es das Gesetz, solchen Versammlungen den Riegel zu schieben. Allerdings wird von dieser Möglichkeit wenig Gebrauch gemacht.

Eine Woche nach der Protestwelle, die das Konzert in UnterwasserExterner Link vom 15. Oktober ausgelöst hatte, hielt die rechtsextreme Kleinpartei PNOS (ohne Volksvertreter auf Kantons- oder nationaler Ebene) im sankt-gallischen Kaltbrunn eine Versammlung ab. Dabei konnten die Anwesenden den Balladen des rechtsradikalen Sängers «Phil» Neumann der deutschen Rechtsrockband «Flack» lauschen. Trotz eines Einreiseverbots in die Schweiz konnte dieser auftreten. Danach wurde er von der Polizei an die Grenze verfrachtet.

Wenige Tage später kündigte die PNOS eine weitere Versammlung mit dem Titel «Konferenz zum Nationalismus» an, die am 5. November in Lausanne oder Umgebung stattfinden soll, diesmal mit Bands aus Frankreich und Italien. Jene in Unterwasser stammten hauptsächlich aus Deutschland. Gemäss der Gratiszeitung «20 Minuten» haben die Waadtländer Behörden Kenntnis von diesem Anlass, die Lage werde mit den Kantonen und dem Nachrichtendienst des Bundes analysiert, um allfällige Massnahmen zu ergreifen.

Erlebt die Schweiz eine Art «braunen Herbst» zum Rock-Rhythmus für Glatzköpfe? Am 25. Oktober hatte die Kommission gegen Rassismus (EKR) via CommuniquéExterner Link verlauten lassen, die Schweiz dürfe der rechtsextremen Propaganda keine Plattform bieten. Die EKR erinnerte auch daran, dass «die Zunahme von Extremismus, und in diesem Fall insbesondere von Rechtsextremismus, von den Behörden besondere Wachsamkeit verlangt». Denn sie hätten die Instrumente, den Rechtsextremismus zu unterbinden, betont die EKR-Präsidentin.

Martine Brunschwig Graf Keystone

swissinfo.ch: Gewisse Kreise befürchten, dass sich Neonazi-Konzerte in der Schweiz ausbreiten könnten. Auf antifa.chExterner Link, der Seite der antifaschistischen Bewegung, ist sogar zu lesen, das Land werde zu einem «Paradies» für diese Sorte von Versammlungen. Sehen Sie das auch so?

Martine Brunschwig Graf: Es findet ja nicht jede Woche ein Neonazi-Konzert auf Schweizer Boden statt. Und die Instrumente, solche zu verhindern, sind vorhanden. Im vergangenen Jahr wurden meines Wissens mindestens zwei Konzerte im Vorfeld verboten, in Baselstadt und Neuenburg.

Das heisst, dass die Behörden die erforderlichen Massnahmen ergreifen, wenn sie frühzeitig auf dem Laufenden sind. Die Bedrohung der öffentlichen Ordnung und das Risiko von Aufruf zu Hass sind Gründe für solche Verbote.

Unterwasser ist kein repräsentatives Beispiel, denn es gab zu Beginn Vorspiegelungen falscher Tatsachen und Irreführungen. Aber der Vorfall ist gleichwohl eine Lektion, die zu höherer Wachsamkeit und präventiver Vorsicht führen sollte.

swissinfo.ch: Die lokalen Behörden hätten Ihrer Meinung nach also die Möglichkeit, das für den 5. November in Lausanne angekündigte Konzert zu verbieten?

M. B. G.: Soviel ich weiss, liegt im Moment noch kein Gesuch um eine Bewilligung vor. Und niemand weiss, an welchem Ort das Konzert stattfinden soll. Man kennt aber die Ideologie, die von diesen Bands vermittelt wird. Es ist also Sache der Behörden, die nötigen Entscheidungen zu treffen. Und sie haben jeglichen Handlungsspielraum, dies zu tun, nämlich indem sie die Probleme der öffentlichen Ordnung geltend machen. Wie dies zum Beispiel die Basler und die Neuenburger Behörden letztes Jahr getan haben.

swissinfo.ch: Bis jetzt reden wir vom Schutz der öffentlichen Ordnung, nicht aber von der Antirassismus-Strafnorm, dem bekannten Artikel 261bis des Strafgesetzbuches…

M. B. G.: Die Strafnorm hat vor allem eine strafende Wirkung im Nachhinein. Rassistische Propaganda und Aufruf zu Hass an öffentlichen Anlässen werden als Offizialdelikt geahndet. Egal ob diese akustisch, visuell oder schriftlich daherkommen – wenn Gründe für die Erstattung einer Anzeige vorliegen, muss die Staatsanwaltschaft eingreifen.

swissinfo.ch: Dann genügt das juristische Arsenal in der Schweiz also, um die Verbreitung von Nazi-Propaganda an Konzerten, wie jene, die wir erwähnt haben, zu bekämpfen?

M. B. G.: Wenn man die zur Verfügung stehenden Mittel ergreift, dann ja.

Gewisse Kreise möchten eine Liste von Gruppen und Bewegungen erstellen, die grundsätzlich verboten werden sollen. Es wäre aber praktisch unmöglich, eine solche Liste à jour zu halten. Die Gruppen können verschwinden, unter einem anderen Namen wieder auftauchen, und es werden neue aufkommen, die ohnehin nicht auf der Liste wären. Und wäre dann alles, was nicht verboten ist, erlaubt? Eine solche Liste könnte also mehr schaden als nützen.

Strafnorm gegen Rassendiskriminierung 

Der Artikel 261bis des Schweizerischen Strafgesetzbuches ist seit dem 1. Januar 1995 in Kraft. Dabei geht es um folgende Vergehen:

Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft,

wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet sind,

wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt,

wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht,

wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion verweigert,

wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft. 

(Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)

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