«Es wird noch ewig dauern, bis Bosnien minenfrei ist»
Mehr als 20 Jahre nach Kriegsende ist Bosnien noch immer von Minen und Streubomben kontaminiert, immer wieder kommt es zu Unfällen mit Toten und Verletzten. Die offizielle Schweiz und die Schweizer Stiftung "Welt ohne Minen" unterstützen das kriegsversehrte Land seit Jahren im Kampf gegen dieses grausame Erbe des Krieges.
Die Schweiz unterstützt die NGO Norwegian People’s Aid (NPA)Externer Link seit 2003 mit insgesamt 5 Mio. Franken und ist damit der zweigrösste Geldgeber von NPA. Neben der Minenräumung und dem Trainings-Zentrum für Minensuchhunde engagiert sich die NGO auch für die Beseitigung von Waffenarsenalen, die teils noch aus der Zeit Jugoslawiens unter Tito stammen.
Das Gebell der Hunde ist so laut, dass man das eigene Wort kaum hört. Wir befinden uns in Blagovac rund zehn Kilometer nördlich der bosnischen Hauptstadt Sarajevo in ländlichem Gebiet. Hier steht das Globale Trainings-Zentrum für Minensuchhunde.
Aktuell werden auf diesem grosszügigen Gelände, wo 14 Leute arbeiten, über 60 Hunde gehalten: Sie heissen Panzer, Amor oder Luna, Irony, Jala oder Brick – alles belgische Schäferhunde. «Diese Rasse ist gesund, aktiv und weniger faul als etwa der Labrador», sagt Goran Šehić, der stellvertretende Programm-Manager.
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Diese Hundezwinger wurden von der Schweiz finanziert
Früh übt sich…
Für die Welpen beginnt das Training bereits mit etwa acht Wochen, sobald sie von der Mutter getrennt sind. Kurz später folgt ein erster Eignungstest, aggressive Hunde werden ausgemustert. Bei der Ausbildung geht es zuerst mal um Motivation, Fitness, Muskelaufbau und Bewegung, dazu steht auch ein Schwimmbecken zur Verfügung, wo sich die Hunde austoben können.
«Das ist zwingend, denn die ausgebildeten Hunde brauchen im Feldeinsatz eine hohe Konzentration und viel Wille und Durchhaltevermögen. Sie müssen auch sozialisiert sein und mit verschiedenen Menschen arbeiten können», sagt Gordana Medunjanin, die Leiterin des Trainings-Zentrums.
Wichtig sei auch die Ernährung, betont Alma Dukic, die Veterinärin des Zentrums. «Erwachsene Tiere erhalten eine Mahlzeit pro Tag, die Welpen drei. Jeder Hund hat sein massgeschneidertes Menu.» In der Küche hängt ein Plan, wo alles fein säuberlich aufgelistet ist: Amor bekommt 600 Gramm Fleisch, die schwangere Belsa Spezialnahrung und Jersey, ein Welpe, 100 Gramm Fleisch und 50 Gramm Trockenfutter.
Effizienter als der Mensch…
Laut Goran Šehić sind Hunde beim Aufspüren von Sprengkörpern viel effizienter als der Mensch. «Während ein Minenräumer mit Metalldetektor pro Tag 35m2 absuchen kann, schafft der Hund eine Fläche von 400-600m2.
Ein ausgebildeter Minensuchhund hat einen Wert von 20’000 bis 30’000 Euro. Mittels Leasingverträgen werden die vierbeinigen Profis auch im Ausland eingesetzt. Wie etwa die 12-jährige Helga, die schon 10 Jahre «berufstätig» ist und zurzeit im Kosovo ist, oder Pet, die im Sudan auf Minensuche war und zurzeit im globalen Zentrum trainiert, bevor sie nach Libanon verfrachtet wird.
Beim Training erschnüffeln die Hunde einen winzigen Gegenstand, der in Backsteinen, unter Plastik, Pneus oder in Steinen versteckt ist. Haben sie das gesuchte Objekt gefunden, werden sie mit ihrem geliebten Spielzeug belohnt. In einer späteren Phase lernen die künftigen Minensuchhunde entlang einer Linie auf- und abgehen, dann in einem abgesteckten Feld. Erst am Schluss kommt der Sprengstoff, meist TNT, ins Spiel.
Hunde verfügen über einen ausserordentlich guten Geruchsinn und können bereits kleinste Spuren mit der Nase einfangen. Wenn ein Hund im Feld eine Mine oder einen sonstigen Sprengkörper lokalisiert, setzt er sich hin und bewegt sich nicht mehr. So hat er es gelernt. Die Stelle wird markiert und die Mine später von einem Team entschärft.
Aktuell sind noch 1080 km2 oder 2,2% des Landes Bosnien und Herzegowina vermint, eine Fläche fast so gross wie der Kanton Luzern. Das nationale Minenzentrum (BHMACExterner Link) spricht von 80’000 Minen und explosiven Kampfmittelrückständen im Land. Eine halbe Million Menschen der insgesamt 3,5 Mio. Einwohner sind direkt von Minen bedroht, lebt also in Gebieten, die nicht frei von gefährlichen Sprengkörpern sind. Seit dem Kriegsende 1995 kamen 614 Menschen bei Minenunfällen ums Leben, über 1100 wurden verletzt. 2017 kam es zu zwei Minenunfällen mit 5 Opfern, 2 davon tödlich.
Die Ausbildung dauert 18 bis 24 Monate. Dann erhält der Hund ein Zertifikat des Zentrums, das aber noch vom BHMACExterner Link, dem nationalen Minenzentrum, akzeptiert werden muss. Erst dann gilt es Ernst. Noch nie sei übrigens ein Hund beim Minenaufspüren ums Leben gekommen, sagt Gordana Medunjanin. Menschen jedoch schon.
Gefährliche Minen, gefährliche Arbeit
Seit dem Ende des Krieges verloren insgesamt 51 Minenräumer ihr Leben. Auch Robert Šafradin, der Direktor der privaten Entminungs-Firma «Pazi Mine Vitez», hat zwei Mitarbeiter verloren, 2011 und 2013. Er ist seit 2008 für die Schweizer Stiftung «Welt ohne MinenExterner Link» (WoM) tätig und hat in Zentralbosnien mit seinen 24 Leuten in den letzten 10 Jahren etwa 30 Minenfelder mit einer Gesamtfläche von über 1 Mio. m2 geräumt. Eine heikle und aufwändige Arbeit. Um ein Feld von 60’000 m2 zu räumen, sind 10 Personen während mehrerer Wochen im Einsatz, Kostenpunkt: 50’000 Euro.
90% der Minenräumung werden aus dem Ausland finanziert, sagt Timka Opardija, die während des Krieges mit ihren Kindern in der Schweiz lebte. Seit 10 Jahren leitet sie in der zentralbosnischen Gemeinde Donij Vakuf das WoM-Büro. «Die Spenden gehen aber zurück, Bosnien ist nicht mehr im Fokus.»
Mit Schaufel und Maschine
Um überhaupt ein Gebiet von Minen zu räumen, braucht es das grüne Licht des nationalen Minenzentrums. Es bestimmt, ob, wann und wie geräumt wird, seine Inspektoren sind auch ständig vor Ort, um den Vorgang und die Sicherheit zu überprüfen. Robert Šafradins Minenräumer arbeiten nicht mit Hunden, sondern orten die Minen mit Metalldetektoren. Wenn ein Signal ausgelöst wird, graben die Minenräumer den potentiellen Sprengkörper sorgfältig mit einer kleinen Schaufel aus. Die Minen liegen 10 bis 50 cm unter dem Boden. Allerdings können sie wegen Geländerutschen nach einem Sturm auch an die Oberfläche geschwemmt werden. Manchmal kommen auch Maschinen zum Einsatz, welche diese tödlichen Waffen zur Explosion bringen – aber leider nicht immer alle. Im Wald oder in steinigen Hügeln können keine Maschinen eingesetzt werden. Wenn ein Gebiet entmint ist, wird es von der nationalen Behörde freigegeben. Dann kann es wieder genutzt werden, zum Beispiel für den Anbau von Getreide, Gemüse, Früchten und Beeren.
Die Schweizer Stiftung Welt ohne MinenExterner Link (WoM) ist seit 2003 in Bosnien und Herzegowina aktiv und hat in Zentralbosnien 30 Minenfelder in der Grösse von je 15’000-80’000 m2 geräumt. Die Kosten beliefen sich bislang auf rund 1,2 Mio. Franken. Zudem führt WoM Sensibilisierungs-Kampagnen für Schulkinder und Erwachsene zum Thema Minenrisiko durch. WoM ist auch in vielen anderen Ländern in der Minenräumung aktiv.
Das nationale Minenzentrum verfügt über Pläne, wo die Kriegsparteien ihre Frontlinien und Schützengräben mit Abertausenden von Minen abgesteckt haben. Gefährliche Gebiete sind abgesperrt. Allerdings muss man davon ausgehen, dass nicht alle Details über die Platzierung von Minen und Streubomben bekannt sind.
Es komme denn auch immer wieder zu Unfällen, sagt WoM-Koordinatorin Timka Opardija. «Wegen der prekären Wirtschaftslage gehen die Menschen in den Wald, um Holz zum Heizen, Pilze oder Beeren zu sammeln – auch in Risikogebieten.» Deshalb sei die Risiko-Sensibilisierung auch heute – über 20 Jahre seit dem Ende des Krieges – noch immer wichtig. «Die Leute sind sich der Gefahr nicht immer bewusst – die Kinder schon gar nicht.»
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Achtung Minen!
Über 4% des Landes waren kontaminiert. Erst die Hälfte etwa ist entmint. Minenexperte Robert Šafradin ist pessimistisch: «Es wird noch ewig dauern, bis Bosnien-Herzegowina minenfrei ist, vielleicht 30 Jahre – wenn überhaupt.»
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