«Kaum Risiken bei Euro-Stützungskäufen»
Die Nationalbank hat mit Milliardenkäufen den Euro zu stützen versucht, mit wenig Erfolg. Die Lehrmeinung gelte nicht mehr, wonach Währungsinterventionen der SNB automatisch Inflation erzeuge, sagt Ex-Preisüberwacher Rudolf Strahm.
In den 1990er-Jahren gehörte der Ökonom Rudolf Strahm zu den schärfsten Kritiker der Schweizerischen Nationalbank.
Der profilierte und über die Parteigrenzen hinaus anerkannte Wirtschaftsspezialist der Sozialdemokratischen Partei machte deren lang andauernde Hochzinspolitik für die damalige, tiefgreifende Rezession verantwortlich. Diese habe zwischen 1989 und 1998 allein in der Maschinenindustrie rund 70’000 Arbeitsplätze gekostet.
Heute sieht der ehemalige Preisüberwacher, der sich auch als Buchautor einen Namen geschaffen hat, keine besonderen Risiken darin, dass die Nationalbank für Milliarden Franken Euro kauft – Schätzungen gehen von 40 bis 70 Milliarden Franken aus. Weder drohten der SNB grosse Verluste aus den Interventionen, noch würde dadurch das Inflationsrisiko angeheizt, sagt der Berner im Gespräch mit swissinfo.ch.
swissinfo.ch: Griechenland ist praktisch bankrott. Wer sind eigentlich die bisherigen Gläubiger?
Rudolf Strahm: Vor allem private Banken in aller Welt. Sie haben Darlehen gezeichnet, deren Rückzahlung fällig ist. Die europäischen Länder und der Währungsfonds müssen Griechenland jetzt mit öffentlichen Geldern refinanzieren, damit es die Schulden gegenüber diesen privaten Banken zurückzahlen kann. Diese öffentlichen Mittel sind Steuergelder oder Notenbankgelder.
Es findet also eine Art Schuldenverlagerung von privaten Gläubigern auf die öffentliche Hand statt. Das ist das Unschöne und Absurde an dieser Geschichte.
swissinfo.ch: Hat die EU im Fall Griechenland zu lange beide Augen zugedrückt?
R.S.: Die Schulden haben sich seit Jahren aufgebaut. Unter der Regierung Karamanlis hat Griechenland mit Hilfe von privaten amerikanischen Investmentbanken Bilanztricks angewandt, damit gewisse Schuldenpositionen gegenüber der EU nicht öffentlich gemacht werden mussten.
Vereinfacht ausgedrückt: Griechenland hat bei amerikanischen Banken kurzfristige Kredite aufgenommen und diese versichert. Die Versicherung wurde in der Bilanz als Guthaben ausgewiesen, so dass nach aussen keine Schulden resultierten. Die EU war vielleicht zu lasch. Aber die Regierung Karamanlis hat die internationale Gemeinschaft mit Bilanztricks praktisch betrogen.
Die fundamentalen Schuldenpositionen waren allerdings schon längst vorhanden. Aber es mutet wie ein Witz der Geschichte an, dass ausgerechnet dieselbe Ratingagentur, welche die Finanzmarktkrise mit verschuldet hat – durch viel zu positive Bewertung der amerikanischen Hypothekarpapiere -, nun die Psychose gegen Griechenland ausgelöst hat. Dieselben Spekulanten-Kreise, welche die Finanzmarktkrise ausgelöst haben, wenden sich nun also mit ihrer Spekulation gegen Griechenland.
swissinfo.ch: Wieso fällt der Euro? Ist Griechenland allein schuld oder auch andere Wackelkandidaten wie Portugal und Spanien?
R.S.: Die Verunsicherung der Märkte ist nicht nur ein Problem Griechenlands. In der Eurozone spielen alle ‹kranken Männer› (d.h. Länder, die Red.) am Mittelmeer eine Rolle. Die Verunsicherung wird verstärkt durch Spekulanten, die daraus mit einer Hebelwirkung Kapital schlagen wollen.
Wenn der Euro sinkt, wird das als grosser Schaden betrachtet. Ich muss aber relativieren, man darf sich dabei aber nicht nur von der Psychologie der Wechselkurse beeindrucken lassen: Der europäischen Industrie konnte nichts besseres passieren als eine Abschwächung des Euro. Sie kann jetzt besser in den Dollar-Raum exportieren, und die Billigimporte aus Asien werden verteuert.
Was als grosses Desaster im Euroraum betrachtet wird, ist für die europäische Exportindustrie also eine Verbesserung. Das gilt aber nicht für die Schweiz.
swissinfo.ch: Zum Schweizer Franken: Er steigt praktisch umgekehrt zum Fall des Euro – weshalb? Ist das eine logische Folge?
R.S.: Immer, wenn internationale Finanzmärkte in spekulative Unsicherheit verfallen, wird die Schweiz zu einem Hafen für Kapitalflucht. Damit erleidet sie eine Frankenaufwertung, die der Exportwirtschaft schaden.
In den zehn Jahren seit Einführung der Euro-Währung hat die Schweiz indirekt profitiert, indem mit den Euro-Ländern als unserem Hauptabsatzgebiet eine stabile Währungsbeziehung bestand. Zwei Drittel unserer Exporte gehen ja in den EU-Raum.
Jetzt scheinen wir erstmals wieder in alte Zeiten zurückzufallen in die Zeit vor Einführung des Euro. Die Kapitalflucht auf den Finanzplatz Schweiz mit seiner stabilen Währung bewirkt jetzt eine Aufwertung des Frankens, und das schmerzt insbesondere die Exportindustrie und den Tourismus. Damit haben wir wieder das alte Problem, dass der Finanzplatz Schweiz zu einem Problem für den Werkplatz Schweiz wird.
Die Griechenlandkrise wird für die Schweiz als Währungsaussenseiterin wegen der Frankenaufwertung unter Umständen teurer werden, also für die Euro-Länder, die jetzt die griechischen Schulden refinanzieren.
swissinfo.ch: Die Nationalbank hat Stützungskäufe zugunsten des Euro getätigt, Beobachter gehen von 40 bis 70 Mrd. Franken aus. Welches Risiko geht die SNB damit ein? Drohen der Schweiz oder der Schweizer Wirtschaft sogar Gefahr, wenn der Euro weiter an Boden verliert?
R.S.: Die Nationalbank geht kaum ein Risiko ein. Wenn sie Stützungskäufe macht, tauscht sie Franken gegen billige Euro. Diese kann sie nach einer Erholung möglicherweise wieder teurer abstossen.
Ich halte auch das Risiko einer Inflation für sehr gering. Die Jahresteuerung ohne Erdöl liegt momentan bei lediglich 0,2%. Auch wegen der Billigimporte aus Asien, die auf die Preise drücken, sehe ich kaum Inflationsgefahr. Wir müssen die alte Lehrbuchmeinung revidieren, dass jede Stützungsintervention der Nationalbank gleich auch Inflation erzeugt. Eher droht uns eine Gefahr durch Deflation.
Ich mute der Nationalbank-Leitung zu, dass sie mit einem gewissen Pragmatismus an die Sache herangeht. Wir hatten bisher Glück mit unserer Leitung der SNB: Sie ist pragmatischer und nimmt viel stärker Rücksicht auf die Exportindustrie. Das war in den 1990er-Jahren leider anders.
swissinfo.ch: Ist die SNB beim Versuch, den Franken zu bremsen, allein?
R.S.: Die Interventionen an den Währungsmärkten sind ja geheim und lassen sich erst im Nachhinein rekonstruieren.
Ich gehe aber davon aus, dass die SNB mit ihrer Intervention für eine Stabilisierung des Frankenkurses allein dasteht. Wie erwähnt ist eine relative Abwertung des Euro gegenüber anderen Währungen für die europäische Industrie sogar ein Vorteil.
Renat Künzi, swissinfo.ch
Der starke Franken dämpft die Erwartungen der Schweizer Exporteure nur bedingt.
Seit Jahresbeginn haben sich die Erwartungen der Unternehmen auf breiter Front verbessert, wie eine Umfrage der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) bei 7500 Unternehmen ergab.
In den meisten Branchen habe sich das Wachstum im ersten Quartal beschleunigt, die Produktion erhöhe sich.
Speziell in der Industrie ist es laut KOF zu einem markanten Anstieg der Kapazitätsauslastung gekommen.
«Mit den spezialisierten Produkten der Schweizer Industrie besteht auf den Märkten teilweise fast eine Monopolsituation», sagte KOF-Leiter Jan-Egbert Sturm zur Exportindustrie.
Stärker unter dem Franken-Hoch leide dagegen das Gastgewerbe. Dadurch werden Ferien für ausländische Gäste in der Schweiz teurer.
7. Dezember 2009. Die Rating-Agentur Standard & Poor’s stuft Griechenland zurück. Ausschlaggebend ist eine Budetkrise.
6. Januar 2010. Ein Mitglied der Europäischen Zentralbank (EBZ) beklagt sich, dass nicht alle EU-Länder bereit sind, «für die Rettung Griechenlands zum Portemonnaie zu greifen». Jetzt reagiert die Börse mit Kursverlusten.
Mitte Januar. Die Wirtschaftsminister der Euro-Zone erklären, die EU werde nicht akzeptieren, dass Griechenland den IWF um Hilfe bittet. Athen kündigt drastische Sparmassnahmen, nachdem es verdächtigt wurde, die Zahlen seines Budgetdefizits gefälscht zu haben. Die Banken trauen Griechenland nicht und erhöhen den Leitzins auf über 6%. Auch Portugal kommt in den Strudel der Märkte.
28. Januar. Der Euro erreicht gegenüber dem Dollar den tiefsten Stand seit sechs Monaten. Spekulanten sind der Ansicht, dass die griechische Situation auch auf Spanien zutrifft. Die «Financial Times» beziffert die Spekulation gegen den Euro auf 8 Mrd. Dollar.
Mitte Februar. Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel verlangt, dass alle EU-Länder ihren Haushalt nach denselben Richtlinien aufstellen.
Anfang März. Merkel erklärt einem europäischen Rettungsplan eine Absage. Athen legt auf Druck von Brüssel ein weiteres Sparpaket vor. Die EBZ betont, dass die Euro-Zone gesund sei.
2. Mai. 2010: Griechenlands Regierung legt ein 30-Mrd.-Sparprogramm bis 2013 vor.
Die EU und der IMF lösen den Mechanismus zur Zahlung von 110 Mrd. Euro aus.
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