Die Schweiz und Aserbaidschan: Keine Korruption, stattdessen Kooperation
Durch "Kaviar-Diplomatie" kaufte sich Aserbaidschan die Gunst europäischer Politikerinnen und Politiker. In der Schweiz war das nicht nötig – denn man hatte gemeinsame strategische Interessen.
Der neueste Skandal in Deutschland ist eigentlich ein alter: Politikerinnen und Politiker der CDU/CSU-Union kommen unter Druck, weil sie von Aserbaidschan grosszügige Geschenke oder Geldbeträge erhalten haben. Das Thema sorgte bereits 2012 für Schlagzeilen, als der Think-Tank «European Stability Initiative» aufdeckte, wie Aserbaidschan im Europarat Parlamentarierinnen und Parlamentarier korrumpierte, die im Gegenzug für das Land im Kaukasus Partei ergriffen. Die Vorgänge wurden unter dem Schlagwort «Kaviar-Diplomatie» bekannt.
Seither werden immer wieder Fälle von Korruption bekannt, denn auch Politikerinnen und Politiker aus anderen europäischen Ländern liessen sich gerne vor den aserbaidschanischen Karren spannen. So laufen unter anderem in Italien und Spanien Verfahren in Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen.
In der Schweiz ist es nie zu Ermittlungen oder Verurteilungen in Zusammenhang mit der «Kaviar-Connection» gekommen. Aber auch Schweizer Politiker wie die Freisinnigen Doris FialaExterner Link und Dick MartyExterner Link, die beide phasenweise im Europaparlament sassen, haben öffentlich über Geschenke und andere Avancen gesprochen, die ihnen von aserbaidschanischen Delegationen gemacht wurden.
Der langjährige parlamentarische Vertreter der Schweiz im Europarat und erste europarätliche Rapporteur von Aserbeidschan, Andreas Gross, erinnert sich an diese Zeiten und die offensichtlichen Beeinflussungs- und Korruptions-Versuche. «Ich selber hatte immer wieder grosse Auseinandersetzungen mit Eduard Lintner, der alle Verletzungen der Menschenrechte durch den aserischen Diktator übersehen wollte», sagt Gross. Der deutsche CSU-Abgeordnete Lintner war Teilnehmer von Wahlbeobachtermissionen in Aserbaidschan, an denen auch Gross teilnahm. Der Schweizer, der das Land dutzende Male besucht hat, machte keinen Hehl aus seiner Überzeugung, dass Wahlen manipuliert wurden. Das führte zu schweren Konflikten mit Lintner, der als eine der wichtigsten Figuren der «Kaviar-Connection» gilt. Momentan laufen in Deutschland deshalb Ermittlungen gegen ihn.
Politisch verbandelt…
Unabhängig von den Vorgängen im Europarat kamen sich die Schweiz und Aserbaidschan nach Beginn der 2000er-Jahre näher. Ein Grund dafür war das Erdgas: Die Schweiz wollte ihre Energiequellen diversifizieren, sprich: ihre Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren. Damit war sie auf europäischer Linie. Die EU wollte zu der Zeit den «südlichen Gaskorridor» errichten, der Erdgas von Aserdbaidschan über die Türkei nach Südeuropa transportiert.
Einen Teil davon deckt die Trans Adriatic Pipeline (TAP), eine 878 Kilometer lange Pipeline, die aserbaidschanisches Erdgas durch Griechenland und Albanien nach Italien führt und die seit Ende 2020 läuft. Bis 2013 trieb die Schweizer Diplomatie das Projekt energisch voran: Ein Dutzend Mal wurden aserbaidschanische Delegationen durch Bundesräte empfangen, in der gleichen Zeit reisten neunmal Bundesräte ins Land am Kaspischen Meer. Dazu kamen zahlreiche Treffen auf tieferer Stufe. Das ist ziemlich viel diplomatische Unterstützung für ein privates Projekt. Und zeigt: Die Realisierung von TAP war ein aussenpolitisches Ziel der Schweiz.
Von den Bemühungen um gute Beziehungen profitierte auch die Schweizer Firma Stadler Rail. 2014 erhielt sie einen 120 Millionen Franken-Auftrag aus Baku. Als die Zeitung «Blick» Firmenchef Peter Spuhler auf die politische Lage in Aserbaidschan ansprach antwortete dieser: «Wir können uns in den Verhandlungen nicht auch noch um Menschenrechte kümmern.»
Kurz zuvor, im Juni 2013 hatte bereits TAP den Zuschlag der Schweiz für den Erdgas-Transport erhalten. Zu dem Zeitpunkt hielt der Schweizer Energiekonzern Axpo 42,5% an TAP, einer Schweizer Firma mit Sitz im Kanton Zug. Bereits einen Monat später stiess Axpo den Grossteil ab und hält seither 5% der TAP-Aktien.
Das sich die Schweiz dermassen dafür einsetzte, sorgte für Verwunderung – auch im Parlament. In einer InterpellationExterner Link von 2013 etwa wollte der grüne Nationalrat Bastian Girod vom Bundesrat wissen, weshalb die Schweiz «solche Projekte, die nicht nur äusserst klimaschädlich, sondern auch in Bezug auf Menschenrechte, Sozialstandards und Korruption äusserst fragwürdig sind», unterstütze. «Meine kritische Haltung teile ich natürlich nach wie vor», sagt Girod heute auf Anfrage. Auch aus klimapolitischer Sicht, würde doch der Aufbau neuer Infrastruktur für fossile Energien dem Ziel der 2-Grad-Erwärmungsgrenze entgegenlaufen.
Eng arbeitete die Schweiz mit Aserbaidschan auch auf der multilateralen Ebene zusammen: Beim Internationalen Währungsfonds und bei der Weltbank bilden die beiden Länder gemeinsam mit anderen zentralasiatischen Ländern die Stimmrechtsgruppe «Helvetistan». Diese kam auf Betreiben der Schweiz zustande, die ihren Sitz in den Leitungsorganen sichern wollte und dazu auf Partner angewiesen war.
…und wirtschaftlich eng verbunden
Mittlerweile ist weithin bekannt, dass Aserbaidschan viele Merkmale klassischer Diktaturen aufweist: Politische Gefangene, unterdrückte OppositionExterner Link, gegängelte MedienExterner Link. In praktisch allen relevanten Indizes schneidet das Land seit jeher schlecht ab. Als die Schweiz das Projekt TAP aufgleiste, war Aserbaidschan in westlichen Medien jedoch kaum präsent. Und Kritik von Bern an Baku gab es keine nennenswerte.
Das lässt sich auch über andere europäische Staaten sagen. Mit den wenigsten hat aber Aserbaidschan so enge wirtschaftliche Verflechtungen wie mit der Schweiz. Das hat vor allem mit der Rolle der Schweiz als Drehscheibe im Energiesektor zu tun: Das staatliche Energieunternehmen Socar hat mehrere Tochterfirmen in der Schweiz. Diese decken einerseits den einheimischen Markt ab, was kürzlich relativ brachial ins öffentliche Bewusstsein gerückt wurde.
Die Migros kooperiert seit 2012 mit Socar, welches damals sämtliche Esso-Tankstellen übernommen hatte. Migros betreibt die Läden ihrer Tankstellen. Die Zusammenarbeit ist zwar profitabel, aber hat für den Detailhändler auch eine Kehrseite: Als Socar während des Kriegs zwischen Armenien und Aserbaidschan im Herbst 2020 auf ihren sozialen Medien Kriegspropaganda betrieb, übten Schweizer Politiker heftige Kritik an der MigrosExterner Link. Am Geschäftsmodell hat sich jedoch nicht geändert. Socar ist als Hauptsponsor des Montreux Jazz Festival auch im Schweizer Kultursponsoring eine Grösse geworden.
Die @migrosExterner Link hat da definitiv ein Problem mit dem Partner, der unverblühmt Kriegspropaganda betreibt.
— Stefan Müller-Altermatt (@MullerAltermatt) October 7, 2020Externer Link
Ich tanke definitiv nicht bei Socar. Und für nächste Woche organisiere ich ein Treffen der Migros mit den Armeniern in der Schweiz. Da braucht‘s viel Erklärung. pic.twitter.com/ERgudgZO8kExterner Link
Andererseits – und das ist weitaus wichtiger – sind Tochtergesellschaften von Socar auch für den Handel aserbaidschanischen Öls und Gases auf dem Weltmarkt zuständig. Gewinne aus dem Verkauf fossiler Energie wurden zu einem bedeutenden Teil auch in die militärische Aufrüstung gesteckt, ohne die der Krieg nicht möglich wären, wie der Machthaber Aliyev kürzlich in einer Rede unterstrichExterner Link. Der Sieg über den verhassten Feind Armenien hat ihm einen grossen Popularitätsschub gegeben. Und damit fällt auch die Zurückhaltung: Ein Bild von Aliyev, der in Militärkleidung in einem neu eröffneten «Military Trophy Park» durch Reihen aufgehängter Helmen gefallener armenischer Soldaten geht, spricht Bände.
Azerbaijani President Ilham Aliyev today, at a newly opened exhibition displaying the helmets of Armenian soldiers killed in last year's Second Karabakh War pic.twitter.com/MKM20EsS15Externer Link
— Neil Hauer (@NeilPHauer) April 12, 2021Externer Link
Hier geht es zum Bericht «Caviar Diplomacy – How Azerbaijan silenced the Council of EuropeExterner Link» des Think-Tanks European Stability Initiative
In einer früheren Version dieses Artikels wurde der frühere Bundesrat Hans-Rudolf Merz versehentlich Friedrich Merz genannt.
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