Wie der Schweizer Müll nach Gold gefiltert wird. Mit Erfolg.
Die Schweiz ist weltweit führend in der Metallrückgewinnung. Die lohnt sich und erlebt international Interesse. Besuch der Pionieranlage zusammen mit einer Delegation aus Japan.
Daniel Böni greift in den Container. «Die findet man immer», sagt er und greift nach. Die eine wäre zu rostig, mit der anderen könnte man ein Spiel noch wagen, insgesamt findet er drei: Bocciakugeln. Im Schweizer Abfall landen Bocciakugeln, weil sie Menschen in der Schweiz in ihren Müll werfen. Das ist ein Schlag für ein Land, das auf seine Recyclingquoten in vielen Bereichen stolz ist.
Böni ist Geschäftsführer dieser Entsorgungs- und Verwertungsanlage. Heute führt er eine Delegation aus Japan über das Gelände. Die KEZO Hinwil ist Pionierin in der Metallrückgewinnung. Sie filtert den Müll von Schweizer Haushalten und Unternehmen. Der Schweizer Haushaltsmüll wird verbrannt – in der Asche interessieren aber eigentlich nicht die Bocciakugeln, sondern Metalle wie Aluminium, Platin und Gold.
«Manchmal finden wir auch eine Goldkette oder einen ganz kleinen Barren», sagt Böni, «Die kommen vielleicht davon, wenn die Grossmutter etwas zu gut versteckt hat. Das landet dann bei der Haushaltsräumung im Müll.» Der wirkliche Grund, weshalb sich die Metallrückgewinnung lohnt, ist der Elektroschrott: In ihm finden sich Partikel wertvoller Metalle.
Ein lohnendes Geschäft
«Bei dem Goldpreis jetzt ist es super», freut sich Böni. Auch insgesamt zahlt es sich wohl aus: «Wenn ich statt einem Lohn nur die Gewinne aus dem Metallverkauf genommen hätte, wäre ich viel besser gefahren.» Doch die Metallrückgewinnung ist gemäss dem Geschäftsführer nicht nur wirtschaftlich interessant, sondern auch ökologisch bedeutend. Sie sei mindestens so wichtig, wie die Nutzung der Energie, die beim Abfallverbrennen entsteht.
Als die KEZO vor 15 Jahren gestartet ist, war nicht sicher, ob der Ansatz funktioniert. Heute gibt es in der Schweiz fünf Anlagen mit diesem System, zwei weitere sind geplant. Bald wird das Gold aus allem Schweizer Abfall gefiltert. International ist das die Ausnahme. «So wie wir es machen, machen sie es sonst nirgends», sagt Böni und lässt wenig Zweifel zu, dass er vom Ansatz überzeugt ist.
Die Kehrichtverbrennung als Sonderfall
Die Hauptaufgabe der KEZO Hinwil ist das Verbrennen von allem Müll, der nicht recyclet wird. Die «Kehrichtverbrennung» ist in der Schweiz normal – im globalen Vergleich aber ein Spezialfall: Gemäss der Weltbank wird global nur etwa 11% der Siedlungsabfälle verbrannt. Beispielsweise in Nordamerika ist dieser Wert kaum höher. Auf dem nordamerikanischen Kontinent landet mehr als die Hälfte des Mülls in Deponien. Japan ist da näher bei der Schweiz: Nur 1% der Siedlungsabfälle wird in Deponien verfrachtet, 80% werden verbrannt. Diese Angaben hat die Weltbank im Buch «What a Waste 2.0» aufgegliedert. Die Betriebsbesucher:innen von der Firma Hitachi Zosen sind mit dem Prinzip also bereits vertraut.
Böni nennt aber die Vorteile des Verbrennens im Bezug auf die Metallrückgewinnung: «Das Metall schrumpft dabei und die einzelnen Metalle lassen sich leichter trennen.» Alufolienstücke ziehen sich zusammen und bilden kleine Klümpchen.
Eindringlicher betont er gegenüber den Besucher:innen die Trockenverarbeitung der Kehrichtasche. Die Filtermaschinen verstopfen, wenn die Rohstoffe auch nur etwas feucht sind.
Trockenasche ohne Staub
Gegen den trockenen Umgang mit Asche gibt es Vorbehalte in der Entsorgungsbranche. Trockene Grundasche, so das Vorurteil, verursache überall Staub – ein Gesundheitsrisiko für die Mitarbeiter:innen. In Hinwil scheinen keine Partikel durch die Guckfenster zu dringen. Die Anlage ist, wie die Besucher:innen auf Bönis Betonen nickend bestätigen, sauber. Dass die Asche trocken verarbeitet wird, ist die Ausnahme. In der Schweiz gibt es bisher fünf Anlagen, zwei weitere kommen dazu. Schweden hat eine, und in Italien sind es sechs. «Italien setzt darauf, um Wasser zu sparen», erklärt Böni.
Als erstes wird alles eisenhaltige Metall mit einem Magnet aus der Müllasche entfernt. Im zweiten Schritt fischen Menschen die Bocciakugeln und Staubsaugermotoren von Hand aus der Asche. Ab da geht das Material in eine automatische Anlage ein. Das System aus Förderbändern und Maschinen mit immer feiner filternden Sieben führt durch mehrere Gebäude und Stockwerke. Laut ist es während all diesen Verarbeitungsschritten, die Motoren dröhnen überall gleich. Doch der Klang der Partikel, wenn sie gegen Rohre und Scheibe fliegen, geht immer mehr in ein Rieseln über – je feiner die Partikel werden.
Keinen Topf voll Gold
«Es ist ein Produktionsprozess», sagt Böni. «Wir produzieren Metall.» Am Tag entsteht so ein 1,2-Tonnen Sack von reinem Aluminiumgranulat. Da das Aluminium leichter als andere Metalle ist, können die Maschinen die Aluminiumstücke durch das Gewicht trennen. Die Edelmetallausbeute beträgt etwa 540 Tonnen pro Jahr. Im offenen Container mit den Edelmetallen glitzert es – die Besucher:innen greifen rein, vorsichtig, schöpfen sich vom kantigen Material probeweise auf die Hand. Einiges glitzert. Ist es wirklich Gold?
Einen Topf voll Gold gibt es in Hinwil nicht. Die KEZO verkauft die Edelmetalle als Mix weiter. Wertvoll in diesem Mix sind etwa Kupfer, Palladium und eben Gold. Die Marktpreise von diesem Metallmix und von Aluminium sind denn auch für das Geschäft entscheidend. «Manchmal bist du mitten im Paradies, manchmal umgeben von Problemen», sagt Böni. Die Metallpreise sind für die wirtschaftliche Seite wichtig. Ökologisch betrachtet, sagt der Geschäftsführer, sei es so, dass diese Art der Metallverarbeitung auch CO2-Äquivalente einspare. Da die Rückgewinnung weniger energieintensiv als der Abbau der Metalle sei.
Allerdings: Jene Aschereste, die am Ende übrigbleiben, werden auch in der Schweiz in Deponien vergraben. Simon Retailleau, der in den Zürcher Büros von Hitachi Zosen arbeitet, findet das kritikwürdig: «Man könnte die Überreste, wie es in anderen Ländern geschieht, etwa in der Zementverarbeitung oder im Strassenbau verwenden.» Warum das nicht passiere, ist für Retailleau schwierig zu verstehen. Darauf angesprochen heisst es beim Schweizer Bundesamt für Umwelt Bafu, dass die Überreste der Kehrichtverbrennungsanlage die Grenzwerte zur Verwendung in der Zementproduktion überschreiten würden. Verdünnen dürfe man sie auch nicht. «So sind Deponien in der Schweiz unvermeidlich, um zu verhindern, dass verunreinigte Materialien (…) in die Umwelt gelangen», so das Bundesamt auf Anfrage. Das Bafu erklärt aber auch, dass in der Schweiz jährlich sechs Millionen Tonnen «Rückbauabfälle» und 12 Millionen Tonnen «Aushubmaterial» auf Deponien lande, die die Grenzwerte nicht überschreiten und im Bauwesen verwendbar wären.
Filtert auch Japan irgendwann das Gold aus dem Müll?
Während der Tour durch die Anlage hört man von den Besucher:innen von Hitachi Zosen oft, wie interessant das alles sei. In verschiedenen Steigerungsformen – von «interesting» bis «very, very interesting».
Sachiko Oochi führt die Delegation aus Japan an. Sie leitet die Forschungsabteilung des Unternehmens in Japan. Oochi sagt nach der Führung, sie habe hat diese Dimensionen nicht erwartet: «Die Grösse der Anlage hat mich überrascht.» Sie habe einiges gelernt. Die Inhalte der Abfallasche seien in Japan Andere als in der Schweiz. «Es bedarf sorgfältiger Untersuchung, ob in Japan derselbe Weg eingeschlagen werden kann. Doch meiner Meinung nach, ist es eine Überlegung wert.» Ob auch Japan bald im eigenen Abfall nach Gold schürft, bleibt offen.
Editiert von Marc Leutenegger
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