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Und wenn wir statt 2°C mehr, 2°C weniger hätten?

Eine Hand auf einem Thermostat
Im Unterschied zu Italien gibt es in der Schweiz kein Gesetz, das eine maximale Raumtemperatur in Wohnungen vorschreibt. GARO/PHANIE

Die internationale Gemeinschaft will den globalen Temperaturanstieg auf 2 Grad begrenzen. Allerdings wird in der Schweiz am häufigsten mit fossilen Brennstoffen geheizt – was dem Klima schadet. Würden wir die Temperatur in unseren Häusern auch nur geringfügig senken, wie würde sich das auf das Klima auswirken?

Zu heiss? Zu kalt? Mit dem Empfinden von Temperaturen ist es ein bisschen wie bei der physischen Schönheit: Es ist subjektiv. Wer hat noch nie mit Kollegen oder Familienmitgliedern darüber gestritten, ob das Fenster offenbleiben oder geschlossen werden soll? In einem Punkt sind sich jedoch alle einig: Um Wärme zu produzieren, braucht es Energie. Und je mehr man heizt, desto höher ist der Energieverbrauch.

Natürlich gilt auch das Umgekehrte: Um Strom zu sparen, haben die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB)Externer Link die Temperatur bestimmter Züge im Zürcher S-Bahn-Netz von 22 auf 20°C gesenkt. Falls die Passagiere die Massnahme während der einmonatigen Testphase positiv aufnehmen, werden die SBB möglicherweise die Temperatur in allen Zügen des Zürcher Regionalverkehrs senken. Gemäss Berechnungen der SBB könnten damit etwa 3,7 GwH Strom gespart werden, was dem Verbrauch einer Gemeinde mit 2200 Einwohnern entspricht.

Das Vorhaben der SBB hat nur eine begrenzte Auswirkung auf das Klima: Das Netz wird grösstenteils mit erneuerbaren Energien betrieben. Anders sieht es bei den Heizungen von Häusern aus, die für etwa 30% des gesamten Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen im Land verantwortlich sind. Laut Bundesamt für StatistikExterner Link werden in der Schweiz fast zwei Drittel aller Gebäude mit fossilen Energieträgern (Heizöl und Gas) geheizt. Warum tragen wir also nicht zur Bekämpfung der globalen Erwärmung bei, indem wir die Temperatur zu Hause senken?

Welche Temperatur im Haus?

EnergieSchweizExterner Link empfiehlt unterschiedliche Innentemperaturen je nach Raum: 23°C im Bad, 20 im Wohnzimmer und 17 im Schlafzimmer.

T-Shirt statt Pullover

Im Unterschied zu Ländern wie Italien, wo höchstens auf 20°C (mit einer Toleranz von 2 Grad) geheizt werden darf, gibt es in der Schweiz kein nationales Gesetz, das die Temperatur in Gebäuden festlegt. «Es gibt aber Standards für Bauherren, die als Rechtsgrundlage für die Energiepolitik in den Kantonen dienen», sagt Luca Pirovino, Experte für erneuerbare Energien beim Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIAExterner Link).

Gemäss diesen Normen sollte die Temperatur in Wohnungen und Büros 20°C betragen. «Wir haben allerdings festgestellt, dass die tatsächliche Temperatur meist 2 bis 3 Grad höher ist.» Robert Diana, Verantwortlicher für Heizung beim Gebäudetechnikverband suissetecExterner Link, stellt ebenfalls fest, dass die durchschnittliche Raumtemperatur im Winter ansteigt. «Aber nicht unbedingt, weil mehr geheizt wird», betont er.

Während auf der einen Seite die Komfortansprüche steigen – «früher trug man einen Pullover, heute wollen wir auch im Winter im T-Shirt bleiben» – entwickeln sich andererseits auch die Bautechniken weiter. «Manche Neubauten sind so gut isoliert, dass die Wärme der Sonnenstrahlen im Innern eingeschlossen bleibt und die Umgebung aufwärmt. Auch Lampen und Haushaltsgeräte geben Wärme ab», erklärt Diana.

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Wie gesagt, es gibt keine «richtige» Temperatur. Der Begriff von Komfort ist individuell und hängt von verschiedenen Faktoren ab (Gesundheitszustand, Alter, Aktivitäten…). Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass eine Reduktion der Raumtemperatur um nur ein Grad bereits eine grosse Wirkung haben kann. Auf die Heizrechnung wie auch auf das Klima.

+ Lesen Sie Expertentipps zur Verbesserung der Energieeffizienz von Häusern

2°C weniger, um sich wie auf den Malediven zu fühlen

Bei Häusern, die vor dem Jahr 2000 gebaut wurden (was auf 85% der Schweizer Immobilien zutrifft), würde eine Reduzierung der Innentemperatur um 1°C den Energieverbrauch um 6% senken, sagt Olivier Meile von EnergieSchweizExterner Link, einem Programm des Bundesrates zur Förderung der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien. «Das gleiche gilt auch für CO2-Emissionen durch Diesel und Erdgas», sagt Elmar Grosse Ruse, Verantwortlicher für Klima und Energie beim WWF Schweiz.

Auf Basis des schweizerischen TreibhausgasinventarsExterner Link 2015 hat Grosse Ruse berechnet, dass allein durch Regulierung des Thermostats der CO2-Ausstoss pro Jahr um 762’000 Tonnen reduziert werden könnte. Wenn man die Temperatur in Wohnungen um 2° C senken würde, könnte man mehr als 1,5 Millionen Tonnen CO2 einsparen, was den gesamten Emissionen von Ländern wie Sierra Leone oder den Malediven entspricht.

Diesel in Häusern verbieten

Das wäre ein nicht unerheblicher Beitrag, wenn man bedenkt, dass sich die Schweiz im Rahmen des Pariser Klimaabkommens dazu verpflichtet hat, ihre CO2-Emissionen bis 2030 um rund 20 Millionen Tonnen pro Jahr zu reduzieren. «Aus unserer Sicht ist es eine gute Idee, die Temperatur in den Wohnungen zu senken, vorausgesetzt, dass niemand unter der Kälte leidet. Doch das alleine reicht nicht», sagt der WWF-Experte.

Als grösstes Klimaproblem der Schweiz stuft die Umweltschutzorganisation die mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerke ein und fordert deren Ersetzung durch umweltfreundlichere Systeme. Eine Umwandlung, die bereits im Gange ist, besonders dank der Verbreitung von Thermopumpen. Gemäss Prognosen des Bundesamtes für Energie wird sich die Zahl der Wärmepumpen verdreifachen und bis 2020 auf 400’000 ansteigen.

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Steuer auf fossile Brennstoffe

Um den Verbrauch von Heizöl, Erdgas und Kohle einzuschränken, hat die Schweiz 2008 eine Steuer auf fossile Brennstoffe eingeführt. Falls die Zwischenziele zur Reduktion der Emissionen nicht erreicht werden, wird die Steuer automatisch erhöht. Am 1. Januar 2018 stieg sie von 84 auf 96 Franken pro Tonne CO2.

Die Einkünfte aus der CO2-Abgabe (1,17 Milliarden im Jahr 2016) werden an die Bevölkerung und Unternehmen verteilt. Etwa ein Drittel fliesst in das so genannte Gebäudeprogramm, das energetische Sanierungen sowie erneuerbare Energien fördern soll. Laut Schätzungen sind mehr als zwei von drei Häusern in der Schweiz (rund eine Million Immobilien) sanierungsbedürftig.

Die CO2-Abgabe wird jedoch nicht auf Kraftstoffe (Benzin oder Diesel) erhoben.

Quelle: Bundesamt für Umwelt

Übertragung aus dem Italienischen: Sibilla Bondolfi

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