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Klimaanlagen: Eine Abkühlung, die den Planeten erhitzt

Klimageräte an der Wand
Rund 10% der Wohnungen in der Schweiz sind mit einer Klimaanlage ausgestattet. Istvan Balogh / Alamy Stock Photo

Immer häufigere und intensivere Hitzewellen erhöhen den Gebrauch von Klimaanlagen, selbst in Ländern mit gemässigtem Klima wie der Schweiz. Doch je kühler die Gebäude, desto heisser der Planet.

Der Sommer wird heisser sein als sonst. Die Vorhersage des Bundesamtes für Meteorologie und Klimatologie von Ende Mai (selbst schon ein Monat mit Temperaturrekorden) hat sich bereits Mitte Juni bestätigt. Eine aussergewöhnliche Hitzewelle hat mehrere Regionen der Schweiz betroffen, mit Werten nördlich der Alpen von bis zu 37°C.

Aufgrund des Klimawandels steigen die Temperaturen überall auf der Welt an, und Ereignisse, die wir als «aussergewöhnlich» bezeichnen, werden zur Norm werden. Vielerorts in der Schweiz hat sich die Zahl der Sommertage mit mehr als 25°C seit Beginn der Messungen praktisch verdoppelt, und der gleiche Trend wurde auch bei den Tropentagen mit 30°C und mehr festgestellt. Der diesjährige Juni war der zweitwärmste seit Beginn der Messungen im Jahr 1864, berichtet MeteoSchweiz.

Mit den Temperaturen steigt auch der Bedarf, Gebäude mit Klimaanlagen zu kühlen. Eine logische und nachvollziehbare Entwicklung, die jedoch zu einem höheren Stromverbrauch und höheren globalen Treibhausgasemissionen führt. Ein Teufelskreis, der schädliche Folgen für den Planeten und die menschliche Gesundheit haben könnte.

Zwei Milliarden Klimageräte weltweit

Nach AngabenExterner Link der Internationalen Energieagentur (IAE) sind weltweit rund zwei Milliarden Klimaanlagen in Betrieb. Die meisten von ihnen befinden sich in Gebäuden in den USA, Japan und vor allem in China, wo seit 2010 das stärkste Wachstum zu verzeichnen ist. Auch in Indien und Indonesien ist ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen.

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Eine kürzlich von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Kommission, veröffentlichte StudieExterner Link zeigt, dass der Bedarf an Raumkühlung in Europa in den letzten 40 Jahren gestiegen ist.

In den EU-Ländern haben sich die so genannten «Kühlgradtage» – ein Index für den Energiebedarf von Gebäuden auf der Grundlage der Wetterbedingungen – zwischen 1979 und 2021 fast verdreifacht. Dies bedeutet, dass die Nutzung von Klimaanlagen zugenommen hat, so Eurostat. Umgekehrt gingen die Heizgradtage um 11% zurück.

Klimaanlagen in jeder zehnten Schweizer Wohnung

Auch in der Schweiz steigt der Absatz von Klimageräten. Obwohl es keine landesweiten Statistiken gibt, die alle festen und mobilen Geräte erfassen, bestätigen von uns befragte Installateure und Expert:innen einen wachsenden Markt seit Anfang der 2000er-Jahre.

«Die Nachfrage hat auch wegen der Zunahme der Tropennächte [Nächte, in denen die Mindesttemperatur nicht unter 20°C fällt, Anm. d. Red.] zugenommen», sagt Simone Anelotti, Leiter von Neoservice, einem Unternehmen für Sanitär-, Heizungs- und Klimaanlagen in Lugano. «Für manche Menschen, die nachts kaum schlafen können, ist die Klimaanlage zu einer Notwendigkeit geworden.»

Laut einer kürzlich veröffentlichten StudieExterner Link der Universität Kopenhagen verlieren wir aufgrund von übermässiger Hitze in der Nacht durchschnittlich 44 Stunden Ruhezeit pro Jahr. Schlafmangel kann sich negativ auf kognitive Fähigkeiten, Produktivität und das Immunsystem auswirken, heisst es in der Studie.

Auch viele ältere Menschen, für welche die Hitze mehr als nur lästig sein kann, benötigen eine Klimaanlage, sagt Massimo Moretti, der seit 40 Jahren in der Branche tätig ist. Im Allgemeinen, so fügt er hinzu, reagieren die Menschen instinktiv und interessieren sich nur in Zeiten von Hitzewellen für Klimaanlagen. «Wir sind vom Wetter abhängig. Neulich [20. Juni] waren es 36 Grad, und ich wurde mit Anrufen überhäuft. Am nächsten Tag regnete es und niemand rief an.»

Während der ersten Hitzewelle des Jahres in der Schweiz, vom 13. bis 19. Juni, sind die Verkäufe von mobilen Klimageräten und Ventilatoren sprunghaft angestiegen, wie eine von der Gratiszeitung 20 Minuten durchgeführte UmfrageExterner Link bei grossen Haushaltsgerätegeschäften zeigt. Eine Online-Verkaufsseite meldete einen Anstieg um 450%.

Fest installierte Klimaanlagen, für die eine Baugenehmigung erforderlich ist, sind jedoch in der Minderheit. Marco Von Wyl, Direktor des Schweizerischen Vereins für Kältetechnik, schätzt, dass 10% der Wohnungen mit einer Klimaanlage ausgestattet sind. Diese Zahl berücksichtigt allerdings nicht die Wohngebäude mit einer reversiblen Wärmepumpe, die im Sommer die Innenräume kühlen kann.

In Europa liegt der Durchschnitt bei etwa 20%. In Mittelmeerländern wie Frankreich (25%) und Italien, wo jeder zweite Haushalt eine Klimaanlage besitzt, ist der Anteil natürlich höher. In Deutschland werden nur 1-2%Externer Link der Wohnfläche gekühlt.

Weltweit liegen Japan, die USA und Südkorea mit Anteilen von über 80% an der Spitze, so die IEA-Daten von 2018.

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Klimaanlagen verschmutzen mehr als Flugzeuge

Die IEA sagt voraus, dass aufgrund des steigenden Lebensstandards, der wachsenden Weltbevölkerung und der häufigeren und intensiveren Hitzewellen die Zahl der installierten Klimaanlagen und Klimageräte bis 2030 um 40% steigen könnte.

Das ist gut für den Handel – ein fest eingebautes Klimagerät für ein Schlafzimmer kostet in der Schweiz rund 3000 Franken. Aber schlecht für die Umwelt und das Klima: Klimaanlagen und Ventilatoren verbrauchen 10% des StromsExterner Link, der in der Welt verbraucht wird. Ausserdem sind sie zusammen mit anderen Geräten der Kühlindustrie, zum Beispiel Kühlschränken, für etwa 10% der weltweiten CO2-EmissionenExterner Link verantwortlich. Das ist viel mehr als der Anteil des Luft- oder Seeverkehrs.

Diese Geräte enthalten Kältemittelgase, die zum Treibhauseffekt beitragen. Die heute am weitesten verbreiteten sind die teilhalogenierten Fluorkohlenwasserstoffe (FKW), die seit Ende der 1980er-Jahre schrittweise die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) und die teilhalogenierten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (H-FCKW) ersetzt haben, die am meisten zur Zerstörung der Ozonschicht beigetragen haben.

Aber auch HFKW sind nicht harmlos. Ihr Erderwärmungspotenzial ist bis zu tausendmal höher als das von CO2. Das Pariser Klimaabkommen und internationale Verträge wie das Montreal-Protokoll und insbesondere das Kigali-Amendment, das auch von der Schweiz ratifiziert wurde, zielen auf eine drastische Reduzierung von HFKW bis Mitte des Jahrhunderts ab.

Die Alternativen sind CO2, Ammoniak und Propan, sagt Simone Anelotti. «Sie sind die Kältemittelgase der Zukunft. Ihr Einsatz ist jedoch derzeit noch durch ihre hohen Kosten, ihre Gefährlichkeit und ihre geringere Effizienz eingeschränkt.»

Übertragung aus dem Italienischen: Giannis Mavris

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