Konzept für Schweizer Holocaust-Denkmal eingereicht
Dass auch Hunderte Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer Opfer des NS-Regimes wurden, ist einer breiten Öffentlichkeit nicht bekannt. Das soll sich ändern: Organisationen und Prominente haben heute dem Bundesrat ein Konzept für ein Holocaust-Denkmal überreicht.
Alles begann mit einem Artikel: Die Zeitschrift Beobachter berichtete im Dezember 2017 über den Schweizer KZ-Häftling Albert Mülli. Dieser war von der Gestapo verhaftet worden, weil er kommunistische Flugblätter nach Wien schmuggeln wollte. Mehr als drei Jahre verbrachte er im KZ Dachau.
Laut Beobachter wurden mindestens 206 Schweizerinnen und Schweizer in deutschen Konzentrationslagern erschossen, erschlagen oder vergast. Etwa 1000 KZ-Häftlinge hatten einen Bezug zur Schweiz. 723 von ihnen überlebten Hunger und Zwangsarbeit – wie Mülli.
Doch die Schweizer Öffentlichkeit weiss kaum etwas über das Leiden der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, die von der offiziellen Schweiz im Stich gelassen wurden. Im Unterschied zu anderen Ländern erinnern in der Schweiz keine Denkmäler oder Museen an die Opfer des Nationalsozialismus.
Die Auslandschweizer-Organisation (ASO) war erschüttert über diese Ignoranz, von der sie aus dem Beobachter-Artikel erfuhr. Zusammen mit jüdischen Organisationen und wissenschaftlichen Kreisen gründete sie eine Arbeitsgruppe. Diese hat nun dem Bundesrat ein Konzept für ein Memorial vorgelegt.
Dieser Artikel brachte die Sache mit dem Memorial ins Rollen:
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Die vergessenen Schweizer Opfer
Dieses sieht nicht nur die Errichtung eines Denkmals vor, sondern enthält drei Elemente:
- Gedenkort: In der Stadt Bern soll ein künstlerisches Denkmal erstellt werden. Dafür soll ein Kunst- und Architekturwettbewerb ausgeschrieben werden.
- Bildungsarbeit: Es braucht laut der Arbeitsgruppe nicht zwingend ein neues Museum, aber in Zusammenarbeit mit einer bestehenden Institution soll eine Dauerausstellung eingerichtet werden. Wechselausstellungen, Tagungen und Vorträge sollen für das Thema sensibilisieren.
- Opferdatenbank: In dieser sollen sämtliche Schweizer Opfer erfasst werden, nicht nur jene, die in Konzentrationslagern inhaftiert waren.
SRF, Echo der Zeit vom 25.05.2021, Gedenkort für Schweizer Holocaust-Opfer:
Von der Schweiz im Stich gelassen
Albert Müllis Tochter erzählte an der Pressekonferenz, ihr Vater sei nach der Befreiung durch die amerikanischen Truppen in KZ-Häftlingskleidung in die Schweiz zurückgereist. Die Schweiz habe sich kaum für ihn eingesetzt.
Laut den damaligen Schweizer Behörden sei ihr Vater selbst schuld gewesen, im KZ gelandet zu sein. «Für uns ist es traurig, dass er von der Schweiz nie rehabilitiert wurde, ganz im Unterschied zu Deutschland», sagte die Tochter.
Ein Gedenkort würde ihrer Meinung nach daran erinnern, wie es sich für Menschen anfühlt, aus der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen zu werden – das sei auch heute aktuell. Während des Wiederaufflammens des Nahost-Konflikts kam es in Europa jüngst zu antisemitischen Ausschreitungen.
SRF, Tagesschau vom 25.05.2021, Organisationen reichen Konzept für eine Holocaust-Gedenkstätte ein:
Der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG), Ralph Lewin, äusserte sich zudem besorgt über Rassismus und Antisemitismus in den sozialen Medien. «Dieser Hassrede müssen wir entschieden entgegentreten», sagte er. Dabei sei ein Memorial hilfreich, denn: «Wer die Vergangenheit kennt, kann den Herausforderungen der Gegenwart besser begegnen.»
Breite Unterstützung
Mit ihrem Vorschlag rennt die Arbeitsgruppe offene Türen ein: Über 100 Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben ähnliche Vorstösse im Parlament unterstützt. Und Prominente wie die jüdische Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss oder der italienische Sänger Pippo Pollina unterstützen das Vorhaben.
Jetzt liegt der Ball bei der Regierung. Diese wird in den nächsten Tagen zu den parlamentarischen Vorstössen Stellung nehmen. Grundsätzlichen Widerstand gegen das Vorhaben ist von ihr nicht zu erwarten.
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