Kosovo-Schweiz: Das Lachen der Diaspora
Humor kennt nicht nur eine Richtung. Am Beispiel der kosovarischen Diaspora in der Schweiz zeigt die Sprach- und Sozialwissenschaftlerin Shpresa Jashari im Interview die Bedeutung von Witzen in transnationalen Familien.
Seit den 1990er-Jahren wurde «der Albaner» in der Schweiz zum Klischee gemacht: In politischen Kampagnen verfemt als Messerstecher und Drogendealer, in Sketches dargestellt als machoistischer Nichtsnutz auf der Couch, der grosse Reden schwingt. Humor arbeitet oft mit der Gegenüberstellung von Minderheiten gegenüber der Norm der Mehrheit.
Die Sprach- und Sozialwissenschaftlerin Shpresa Jashari hat da eine andere Spur verfolgt: Sie hat sich mit dem Humor beschäftigt, in dem sich die Daheimgebliebenen mit der Diaspora beschäftigt, mit dem Humor, der zwischen den Räumen der Migration kursiert.
SWI swissinfo.ch: Wer lustig sein will, braucht Klischees, heisst es oft.
Shpresa Jashari: Klischees sind sehr praktisch für Humor. Alle können etwas damit anfangen. Aber es gehen dabei halt die Nuancen verloren. Die Autorin Chimamanda Ngozi Adichie warnt, dass sich eine «single story» durchsetzt. Es ist eine Gefahr, dass die gleiche Geschichte immer und immer wieder erzählt wird. Stereotype blenden aus, dass Menschen komplex sind.
Was ist die «single story», die in der Schweiz über Kosovo-Albaner:innen erzählt wird?
Eine Geschichte über Männlichkeit und Kriminalität, eine über Ausländer:innen, die den Staat als Sozialschmarotzer ausnutzen. Aber auch über sogenannt «bildungsferne» Eltern, die ihre Kinder zu viel fernsehen lassen.
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Sie haben dem Fernsehen ihrer Kindheit eine wissenschaftliche Arbeit gewidmet und haben Comedy-Sketches über Albaner:innen analysiert – aber solche, in denen sich albanische Comedians unter anderem über die albanische Diaspora in Europa lustig machten. Warum?
Ich wollte zeigen, dass es ausserhalb dessen, was in der Schweiz an Stereotypen kursiert, immer schon einen anderen Blick auf das Phänomen Migration gab. Als ich ein Kind war, schauten wir am Sonntag, etwa wenn wir Gäste hatten, Videos mit albanischen Sketchs.
Die stillten auch ein Bedürfnis nach der Kultur des Herkunftslands meiner Eltern, das heutige Nordmazedonien, da war auch immer Musik drauf, Sketchs folgten auf Liebes- und Kriegslieder. Cima und Leci, gespielt von Rasim Thaçi und Ibrahim Krajkova, gehörten für die zu den bekanntesten kosovo-albanischen Comedians damals. Aber es gab einen grossen transnationalen Markt, in dem Comedy auf VHS-Videokassetten für Albaner:innen in der Diaspora produziert und vertrieben wurde.
Wo hat man diese Videokassetten gekauft?
Die hat meist irgendwer mitgebracht aus dem Urlaub, eine Zeit lang konnte man die sogar in Reisebüros hier in der Schweiz kaufen oder in sogenannten «Balkan-Lädeli».
Worum ging es da?
Das ging von regionalen Dingen wie Witzen über albanische Dialekte – mein eigener Dialekt hat einen besonders schlechten Ruf – bis zur politischen Situation in den Herkunftsländern, in Nordmazedonien, Kosovo, Albanien, Südserbien. In den kosovarischen Sketchs wurde das Verhältnis zwischen den Serb:innen und Albaner:innen thematisiert, in den späten 1990er-Jahren der Krieg. Aber auch das Verhältnis zu den Regierungen und zu Europa, das Asylsystem und die Migration waren Thema.
Man soll ja eigentlich keine Witze nacherzählen – können Sie trotzdem einen Sketch beschreiben?
Ein Sketch, den ich als Kind immer sehr mochte, zeigt ein albanisches Paar, das zu Hause in Deutschland sitzt und Raki trinkt und gleichzeitig im Fernsehen schaut, wie das grosse Festtagsgebet in einer Moschee im Herkunftsland vorbereitet wird. Gleichzeitig sind sie sehr nervös, weil sie den deutschen Chef eingeladen haben, zur Feier von Bayram. Immer wenn es klingelt, setzt sich der Mann auf den Gebetsteppich, macht sich eine kleine Gebetsmütze auf den Kopf und die Frau räumt den Schnaps weg.
Denn, so stellt man gegen Ende des Sketches fest, man will die Erwartungshaltung des Chefs – ein Deutscher – nicht enttäuschen. Die Message war: Europa, das Minderheitenschutz auf dem Balkan fordert, wünscht, dass die Albaner:innen ihre Religion frei ausüben! Und bei dieser Ausübung will sich das Paar nun präsentieren – als gute Albaner:innen, die keinen Raki trinken, sondern beten. Darüber konnten sowohl die Menschen in der Diaspora lachen als auch die Verwandten, die im Herkunftsland geblieben sind. Im heutigen europäischen Islamdiskurs ist solch eine Perspektive komplett verschwunden.
Die Diaspora war also öfters Thema – wie kam die Schweiz weg?
Zur Schweiz gibt es auf einer Silvester-Special-Sendung zur Jahrtausendwende einen Sketch. Darin gerät Leci in Probleme, weil er eine Schweizer Kuh gekauft hat. Auf Kredit, er hat sich für sie auf Jahre hinaus verschuldet. Er erklärt seiner Frau Fisnike, die Kuh sei ganz besonders, sie fresse nur Erlesenes, Halm um Halm, es fehle nur noch, dass sie mit Messer und Gabel esse. Zudem sei sie mit dem Flieger angekommen.
Seine Frau glaubt ihm nicht, also soll er die Kuh auf «Deutsch» befragen. Leci radebrecht, aber er kann kein Deutsch, er kann «nur», wie seine Frau höhnisch aufzählt, Serbisch, Romani, Türkisch und diverse albanische Dialekte. Da treten englische Übersetzer in merkwürdiger Kleidung auf den Plan, die übersetzen und unter anderem den Wunsch der Schweizer Kuh äussern, vor dem Melken doch bitte gefüttert, gewaschen, gekämmt zu werden.
Die verwöhnte Kuh: Ist das ein Kommentar zur Schweiz als Ort übertriebenen Wohlstands, wo auch viele Kosovo-Albaner:innen leben?
Möglicherweise. Es ist aber auch Ausdruck der Irritationen, die in der Begegnung mit dem «international staff» aus Europa entstanden, der ganz andere Standards kannte als die lokale Bevölkerung. Was das Verhältnis zwischen der Diaspora und den Daheimgebliebenen angeht, so war und ist sicher ein Problem, dass man innerhalb der Familie ökonomische Ungleichheiten hatte. Das wurde schon auch thematisiert. Ein Bruder ist in der Schweiz, ein anderer pflegt die Eltern im Herkunftsland, die immer älter werden.
Und wenn die Verwandten aus der Schweiz einmal im Jahr vorbeikommen, ist er der grosse Star, der vermisst wurde und allen Geschenke und Geld mitbringt. Das sieht man ja auch in albanischen Memes, Bild-Wort-Witzen, die heute im Netz im Umlauf sind. Eines zeigt zum Beispiel eine Frau, die weint, weil die Verwandten ihr nichts aus der Schweiz mitgebracht haben.
Was ist die Funktion dieser Witze über die Diaspora?
Man kann dieses Gefälle zwischen Herkunftsland und Diaspora ja untereinander nicht offen besprechen, das steht zwischen einem. Humor kann das besser ansprechen, sei das nun in einem Sketch oder einem Meme: Ja, ihr habt ja das Gefühl, wir warten hier das ganze Jahr nur drauf, dass ihr vorbeikommt und uns irgendwie Schokolade bringt. Humor ist ein Ort, wo man gemeinsam darüber lachen kann, wenn ich so kitschig formulieren darf.
Wie hat sich dieser Humor zwischen der Ära der Videokassetten und heute verändert?
Man hat nicht mehr diese ganz grossen gemeinsamen Stars der VHS-Phase. Clips auf YouTube zum Beispiel werden nicht mehr auf die gleiche Art und Weise konsumiert. Comedians arbeiten auf einer völlig anderen ökonomischen Grundlage. Die Stars meiner Kindheit, Cima und Leci, lebten von diesem Beruf, waren international unterwegs, in der Schweiz, in Deutschland, in den USA, verdienten gut Geld. Es gibt sie zwar immer noch, diese transnational tätigen Comedians, aber ich würde sagen, in einem anderen Format. Auch sind ja mittlerweile die öffentlich-rechtlichen Sender der betreffenden Länder an die Stelle des früheren informellen Marktes getreten.
Der Humor auf Social Media generiert weit weniger Geld. Das erschwert meiner Meinung nach eine differenzierte Comedy. Die Abhängigkeit von massenhaftem Publikumszuspruch ist viel grösser und Künstler:innen müssen sich stärker am Mainstream orientieren. Das führt auch dazu, dass selbst albanische Comedians in der Schweiz für Ethnic Comedy dann ähnliche Klischees reproduzieren wie die Mehrheitsgesellschaft.
Denn dafür gibt es einen Markt, der Druck erzeugt, die Vorurteile auch ein bisschen zu bestätigen. Was es mehr braucht, sind Leute, die solche Vorstellungen nutzen, um sie in den Raum zu stellen, zu hinterfragen und darüber zu lachen. Comedy, die die Situation der Menschen ernst nimmt, und nicht nur ihre Abziehbildchen nochmal vorführt.
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