Kreative Ukraine: Auslandschweizer fördert Hilfsinitiativen
Er ist einer der wenigen Auslandschweizer:innen, die in der Ukraine geblieben sind. Er will helfen. Mit seinen Porträts von Ukrainer:innen sammelt der Filmemacher Marc Wilkins nun Geld.
Marc Wilkins flüchtete am ersten Tag der russischen Invasion in die Ukraine mit seiner Frau nach Berlin. Dort angekommen, hielten es die beiden aber nicht lange aus und entschieden sich, in die Ukraine zurückzukehren. Nach fünf Wochen in Lwiw lebt das Ehepaar jetzt wieder in ihrem Landhaus südlich von Kiew. Zu gross war das Heimweh nach ihrem Zuhause.
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«Wir sind unter Schock gestanden», sagt Wilkins über die ersten Tage zurück in der Ukraine. Erst konnte er sich alles vorstellen, um dem Land seiner Frau und seiner Wahlheimat in dieser Kriegssituation zu helfen. «Ich wollte der Armee beitreten, mit meinem Auto Leute aus Charkiw evakuieren oder ganz viel auf den Sozialen Medien arbeiten – aber in erster Linie fühlte ich mich verloren und wusste nicht was tun.»
Die Rettung
Nach ein paar Tagen kontaktierte ihn seine Schweizer Produktionsfirma. «Marc, wir wollen was machen» hätten sie gesagt. «Damit haben sie mich gerettet.» Es entstand das Projekt #u4UkraineExterner Link – das nicht nur ein Spendenaufruf sein soll, sondern auch eine persönliche Verbindung zwischen den Spender:innen und der Zivilgesellschaft in der Ukraine herstellen will.
Marc Wilkins porträtiert Persönlichkeiten, «die seit Kriegsbeginn ihre Sachen nicht mehr machen können, jetzt aber Unglaubliches leisten.» Die Idee: Hilfe zur Selbsthilfe – durch Direktspenden und nicht durch Altkleider und Konservenbüchsen.
«Es ist mein erster Krieg.»
Marc Wilkins
«Es ist mein erster Krieg», sagt der Auslandschweizer. Er habe keine Vergleiche. Jedoch habe er von vielen Seiten gehört, dass es aussergewöhnlich sei, wie viele starke Initiativen in der Bevölkerung entstünden, um sich für die eigenen Leute einzusetzen. «Es müssen Voraussetzungen geschaffen werden, damit die Menschen in der Ukraine bleiben können», ist er überzeugt.
Bisher zwei ukrainisches Jahresgehälter gesammelt
Die Protagonist:innen in Wilkins Filmen sind fast ausschliesslich Freunde des schweizerisch-ukrainischen Ehepaars. Bis heute konnte er fast 25’000 Franken sammeln. Im Vergleich zur Spendensumme eines Schweizer Hilfswerks scheine dies zwar nicht viel, in der Ukraine komme dies jedoch zwei Jahresgehälter gleich. «Es konnte schon ganz viel damit gemacht werden.»
Zum Beispiel ist da Kseniia, die mitten in Kiew einen eigenen Blumenladen mit einem Kaffee betrieben hat. Als Wilkins und seine Frau bei Kriegsbeginn die Flucht ergriffen, blieb sie in der ukrainischen Hauptstadt. Sie wollte ihre Stadt verteidigen.
Sie fing sofort an, Spenden zu sammeln. Rüstete die freiwilligen Verteidiger mit warmen Kleidern und Schuhen aus, kaufte im Baumarkt Gasbrenner, um in den U-Bahnstationen Küchen einzurichten. «48 Stunden nach der Publikation ihres Porträts, konnte Kseniia mit dem Spendengeld von #u4Ukraine für ein Geburtsspital mehrere dringend benötigte Waschmaschinen kaufen.»
Oder die Maskenbildnerin Khatia, die als Georgierin schon ihren dritten Krieg mit Russland erlebt. Im Moment befindet sie sich in Chust, im äussersten Westen der Ukraine. Dort hatte sie ein Studentenwohnheim entdeckt, das überfüllt war mit Flüchtlingen aus der Ostukraine.
Das Gebäude sei jedoch in einem so desolaten Zustand, dass es kaum würdevoll bewohnbar sei. So sammelt Khatia Spenden, um das Studentenwohnheim so einzurichten, dass es in erster Linie für die vielen Kinder aushaltbar wird, dort zu wohnen. «In Chust konnte ich das erste Mal mit Menschen sprechen, die sich tagelang in ihren Kellern vor Bomben versteckten. Das hat mich wahnsinnig bewegt», sagt Wilkins.
Und Misha, der vier hippe asiatische Restaurants in Kiew betreibt. Jetzt kocht er mit seinen Angestellten für die Armee, für Krankenhäuser und Altersheime. Bei Kriegsausbruch rief dieser seinen Vater an, der in Russland lebt. Er erzählte ihm, was in der Ukraine gerade passiert.
Sein Vater widersprach, die Russen seien auf Friedensmission in der Ukraine. So wurde Misha klar, dass er eine Aufklärungskampagne für Ukrainer:innen mit russischen Verwandten initiieren muss. Die Kampagne «Papa, believe meExterner Link» soll dabei helfen, die russische Propaganda zu widerlegen. «Wenn die Menschen erkennen, was wirklich vor sich geht, kann der Krieg beendet werden», so Mishas Überzeugung.
Aus Protest weitermachen
Wilkins beschreibt die Ukrainer:innen als ein kreatives, junges und willensstarkes Volk. «Aus Protest versuchen sie, so viel Alltagsroutine wie möglich aufrechtzuerhalten.» Der Auslandschweizer selbst fühlt sich sicher südlich von Kiew und geht derweil auch wieder seiner gewohnten Arbeit nach.
Am vergangenen Wochenende reiste er mit seiner Frau sogar in die Hauptstadt, um in ihren Wohnungen im Herzen von Kiew zum Rechten zu schauen. «Dort übernachten würden wir aber nicht», viel zu exponiert wären sie in seiner Dachwohnung direkt neben der Sophienkathedrale, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.
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