Was bringt eine Erklärung des Parlaments zu Syrien?
Der Nationalrat, die grosse Kammer des Schweizer Parlaments, entscheidet heute Montag über eine Erklärung mit dem Namen "Stopp der Kriegsverbrechen in Syrien". Laurent Goetschel, der Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace, sieht darin kein Problem für die Neutralität des Landes.
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
4 Minuten
SRF News, Andrea Christen
English
en
What’s the point in a parliamentary declaration on Syria?
SRF News: Was bringt eine Syrien-Erklärung des Nationalrats?
Laurent Goetschel: Diese Erklärung bringt dem Parlament eine gewisse Sichtbarkeit einer wichtigen Frage der Aussenbeziehungen.
SRF News: Dann ist es nicht mehr als aussenpolitische Selbstprofilierung des Parlaments?
L.G.: Ich würde das nicht so sehen. Ich denke, dass damit auch das Parlament bestrebt ist, dem Bundesrat – also der Regierung – in dieser Angelegenheit den Rücken zu stärken. Und den Bundesrat vielleicht sogar zu ermutigen, gewisse Schritte zu unternehmen.
Laurent Goetschel ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel und Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace in Bern. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Friedens- und Konfliktforschung sowie die europäische Integration.
SRF News: Sie haben es angesprochen: Die Erklärung soll auch den Bundesrat zum Handeln auffordern, er solle mehr tun, um einen Friedensprozess in Gang zu bringen. Tut denn die Schweiz in Syrien zu wenig?
L.G.: Es ist zurzeit recht schwierig, sich zu überlegen, wie ein Land wie die Schweiz mehr machen könnte, und was sie machen könnte. Die Schweiz ist durchaus engagiert: sie ist im humanitären Bereich tätig – vor allem auch indirekt, in dem sie Organisationen wie das IKRK und andere Nichtregierungs-Organisationen unterstützt.
«Die Erklärung des Parlament könnte den Bundesrat vielleicht sogar ermutigen, Schritte zu unternehmen.»
Sie ist auch im Umfeld des sogenannten Genfer Prozesses tätig, wo jetzt schon seit vielen Jahren vonseiten der UNO aus versucht wird, die verschiedenen Kriegsparteien an einen Tisch zu bringen. Das alles hat bisher wenig gefruchtet – im Hinblick auf das, was tatsächlich in Syrien passiert. Aber ich denke nicht, dass man das nun einer zu wenig aktiven Schweizerischen Aussenpolitik anlasten könnte.
SRF News: Die Erklärung richtet sich an alle Kriegsparteien. Und doch: Eine Minderheit in der Aussenpolitischen Kommission hatte neutralitätspolitische Bedenken, dass die Schweiz gegen die Neutralität verstossen könnte. Sehen Sie das auch so?
L.G.: Ich sehe darin kein Problem für die Neutralität. Die Neutralität ist definiert als eine Position in Bezug auf einen Konflikt zwischen zwei Parteien. Wenn man die eine Seite bevorzugen würde, dann wäre das neutralitätspolitisch gesehen nicht konform. Hier ermutigt das Parlament die Schweiz, in Bezug auf eine Sache Stellung zu beziehen. Es geht um Kriegsverbrechen, um den Schutz der Menschenrechte und den Einsatz für den Friedensprozess.
SRF News: Eine Partei wird in dieser Erklärung dann doch noch namentlich erwähnt: Die Kurden, so die Erklärung, sollten auch in den Friedensprozess einbezogen werden. Wenn da nun die Kurden herausgepickt und genannt werden, ergreift die Schweiz nicht doch auch Partei?
L.G.: Ich glaube nicht, dass das ganze Andere in Mitleidenschaft zieht. Man kann sich allerdings schon fragen, warum jetzt ausgerechnet die Kurden? Nicht weil es sich um die Kurden handelt, sondern wieso jetzt eigentlich ein bestimmter Akteur hier erwähnt wird. Ich kann mir vorstellen, dass es damit zu tun hat, dass die Problematik der Kurden und der Türkei in der Schweiz auch sonst und schon seit längerem in der innenpolitischen Arena auch präsent ist.
SRF News: Der Nationalrat greift selten zum politischen Mittel der Erklärung. Das letzte Mal war das 2013, als es um den Steuerstreit mit den USA ging. War so eine Erklärung in der Vergangenheit je mehr als reine Symbolik?
L.G.: Symbolik spielt in der Aussenpolitik auch eine gewichtige Rolle. Wenn das Parlament Stellung bezieht, dann zeigt das das Interesse des Parlaments an wichtigen aussenpolitischen Fragen. Es gehört sicher grösstenteils in den Bereich der Symbolik. Aber wie gesagt: Das heisst nicht, dass es deswegen unwichtig wäre.
Externer Inhalt
Meistgelesen Swiss Abroad
Mehr
Freiburger gründet «Tinder der Berge» für die Liebe in der Höhe
Soll der Verkauf von Rohmilch verboten werden oder sollen Konsumentinnen und Konsumenten selbst entscheiden?
In der Schweiz verbietet das Lebensmittelgesetz den Verkauf von Rohmilch zum direkten Verzehr. Ein Schlupfloch erlaubt dies jedoch in 400 Rohmilchautomaten.
Ist eine Reform des Schweizer Rentensystems noch möglich, und wenn ja, wie?
Es müssen noch Lösungen gefunden werden, um die Herausforderung einer alternden Bevölkerung zu bewältigen und die Renten von Geringverdienenden, mehrheitlich Frauen, zu verbessern.
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch
Mehr lesen
Mehr
«Die Schweiz könnte mehr tun für Syrien»
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Sara A. lebt seit 25 Jahren in der Schweiz. In Syrien hat sie Naturwissenschaften studiert und ist in die Schweiz gekommen, um ihr Doktorat zu machen. Hier lernte sie ihren späteren Mann kennen, liess sich nieder und gründete eine Familie. Mit Politik beschäftigte sie sich zuvor nicht. Jedes Jahr besuchte sie ihre Familie und Freunde…
«Die Hilfe für Syrien muss in gute Hände gelangen»
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Das Observatorium für Menschenrechte, eine in London beheimatete NGO, beziffert die Zahl der Gewaltopfer in Syrien auf 36’000 seit März 2011. In dieser Zahl sind die Tausenden von Verschwundenen, für die das Regime von Bashar al-Assad verantwortlich gemacht wird, sowie die durch Rebellengruppen Hingerichteten noch nicht mitgezählt. Der vor 30 Jahren aus Syrien ins Exil…
«Das IKRK muss täglich beweisen, dass es total neutral ist»
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) plant gewisse Dienste von seinem Genfer Sitz nach Serbien und auf die Philippinen zu verlegen. Der Sozialplan, der für die betroffenen Mitarbeiter abgeschlossen wurde, tritt am 1. Januar 2015 in Kraft. Die Reorganisation erfolgt über vier Jahre. 49% der Mitarbeiter am Genfer Sitz sind Schweizer Staatsangehörige. Insgesamt arbeiten…
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
In Ägypten haben die Proteste gegen den zunehmend isolierten Präsidenten Hosni Mubarak auch am Donnerstag angehalten. Dies obwohl die Regierung der Opposition ein Angebot zu einem Dialog machte und bekanntgab, dass auch der Sohn Mubaraks bei den Wahlen von kommendem September nicht antreten werde. In der Hauptstadt Kairo waren am Nachmittag Schüsse zu hören. Erstmals…
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Dass das IKRK als Schweizer Privatagentur mit speziellem Status im internationalen öffentlichen Recht derzeit gut funktioniert, scheint nach Ansicht von David Forsythe auf den ersten Blick widersprüchlich. Forsythe ist Autor von zwei Büchern über das IKRK. «Ein weiteres Paradox ist, dass das IKRK liberale Ziele, aber konservative Mittel hat», sagt er gegenüber swissinfo.ch. «Das heisst,…
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Präsident Bachar el-Assad könnte sich in die alevitischen Berge zurückziehen, sagt Mohammed-Reza Djalili. Der emeritierte Professor am «Institut des hautes études et du développement» befürchtet, dass Syrien in einen dauerhaften Bürgerkrieg versinken könnte. Im Gespräch mit swissinfo.ch erklärt er die komplexen Zusammenhänge des Aufstands in Syrien und was für die einzelnen Regionen und die internationale…
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Laut dem UNO-Sondergesandten für Syrien, Lakhdar Brahimi, lässt das internationale Recht keine Zweifel offen, dass für jede militärische Aktion als Antwort auf den angeblichen, tödlichen Anschlag mit chemischen Waffen in Damaskus von letzter Woche die Zustimmung des UNO-Sicherheitsrats erforderlich ist. Westliche Regierungsvertreter haben aber deutlich gemacht, dass sie auch ohne diese Zustimmung dazu bereit seien.…
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Der Energiewirtschafts-Experte und ehemalige Direktor der Stiftung Forschungszentrum Golf, Giacomo LucianiExterner Link, weist die Hypothese zurück, wonach Riad Öl ins Feuer giesse, um den Ölpreis in die Höhe zu treiben. «Es könnte auch einfach akzeptieren, die Produktion zu reduzieren», meint er. swissinfo.ch: Auf der einen Seite Saudi-Arabien, die Wiege der Sunniten, auf der anderen Seite…
«Mit Assad verhandeln, wie man es mit Milosevic tat»
Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht
Carla Del Ponte, die heute 69 Jahre alte ehemalige Bundesanwältin (1994-1999) und frühere Anklägerin der Internationalen Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda (1999-2007), die jüngst in Zürich war, prangert nach wie vor die Straflosigkeit für die Kriegsverbrecher in Syrien an. Sie zieht Parallelen mit dem Krieg im früheren Jugoslawien, betont dabei aber einen…
Ihr Abonnement konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Fast fertig... Wir müssen Ihre E-Mail-Adresse bestätigen. Um den Anmeldeprozess zu beenden, klicken Sie bitte den Link in der E-Mail an, die wir Ihnen geschickt haben.
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch