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Krise nein, weiter sehr instabile Wirtschaftslage ja

Hiobsbotschaft: Die knapp 450 Angestellten der Cellulosefabrik Borregaard im Kanton Solothurn erfahren 2008, dass ihr Betrieb die Tore schliessen wird. Keystone

Internationale Wirtschafts- und Schuldenkrise, Steuerstreit, starker Franken: Schweizer Unternehmen weht auch 2013 ein steifer Wind entgegen. Was heisst dies punkto Sicherheit der Arbeitsplätze? Darüber sind die Meinungen geteilt.

2012 verschwanden in der Schweiz rund 10’000 Stellen. Am meisten schenkten dabei die Restrukturierungen von Grossunternehmen ein. Allein die UBS war mit der Streichung von 2500 Jobs für einen Viertel verantwortlich.

Die Arbeitslosenquote stieg lediglich von 2,8% auf 2,9%. Abgefedert wurde der Stellenverlust auch durch Firmen, die 2012 zahlreiche neue Arbeitsplätze schufen.

Yves Flückiger, Wirtschaftsprofessor an der Universität Genf, nennt zwar keine Zahlen, geht aber davon aus, dass auch 2013 Stellenabbau in grösserem Ausmass bringen wird. Bisher habe die Schweiz von der Diversität ihrer Absatzmärkte und einer konsequenten Produktivitätssteigerung profitieren und so den teuren Franken auffangen können.

«Jetzt aber sind die Reserven praktisch aufgebraucht. Wenn sich die Weltwirtschaft in den kommenden Monaten nicht erholt, werden wir vor allem Massenentlassungen sehen», sagte Flückiger zum Jahreswechsel in der Westschweizer Zeitung L’Hebdo.

Im Herbst ist bei Unternehmen häufig eine Welle von Entlassungs-Ankündigungen zu beobachten.

Ein Stellenabbau wird oft gleichzeitig mit den Geschäftszahlen für das III. Quartal angekündigt.

«Restrukturierungen sollen ja auch Optimismus verbreiten, gerade in Bezug auf die Anleger», sagt Wirtschaftsberater Klaus J. Stöhlker.

Firmen suchten aber auch «Windschutz»: Sie warten mit der Ankündigung ihres Stellenabbaus, bis eine andere Firma mit ihrer Restrukturierung die Aufmerksamkeit der Medien erregt.

Firmen möchten einen Stellenabbau auch deshalb möglichst ruhig kommunizieren, um die Mitarbeiter nicht zu verunsichern. «Schliesslich will das Unternehmen ja die besten behalten», so Stöhlker.

«KMU in der Krise» 

Klaus J. Stöhlker, einer der führenden Kommunikations- und Unternehmensberater der Schweiz, geht in seiner Aussage einen Schritt weiter. 2012 sei nur der Anfang des Schreckens gewesen, sagt Stöhlker und stützt sich dabei auch auf seine Kontakte zu Schweizer Wirtschaftsführern. «2013 wird punkto Arbeitsplatzabbau einiges dramatischer», so Stöhlker gegenüber swissinfo.ch.

Als Gründe nennt er Entlassungen infolge von Restrukturierungen, die Auslagerung von v.a. Dienstleistungseinheiten, etwa IT-Abteilungen, vor allem nach Osteuropa, und hier insbesondere Polen oder Bulgarien, während China nicht mehr so attraktiv sei.

Aber es gibt noch einen vierten Punkt, der Stöhlker Sorgen bereitet: «Die Krise im Gewerbe bei den KMU ist viel grösser, als nach Aussen durchdringt. Sehr viele schrammen der Pleite entlang. Diese Krise wurde bisher völlig übersehen!», sagt der Wirtschaftsberater. Zu all den Unabwägbarkeiten komme, dass es völlig unklar sei, wie es mit der UBS weitergehe.

Schwächelt die europäische Wirtschaft weiter, drückt das via Konsumrückgang auch auf die Schweizer Exporte, die zu 60% in die EU-Länder fliessen. Stöhlker weist insbesondere auf die Risiken für die Schweizer Zulieferer der Automobilindustrie hin, eine Branche mit immerhin rund 60’000 Beschäftigten im Land.

Er ist sich aber bewusst, dass das Niveau immer noch hoch ist, gerade im Vergleich mit anderen europäischen Ökonomien. «Die Aussichten für die Schweizer Wirtschaft sind insgesamt gut», relativiert er.

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«KMU gut im Schuss- grundsätzlich» 

Von einer Krise bei den KMU, wie sie der Wirtschaftsberater Stöhlker sieht, will Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes, nichts wissen. Er rechnet für 2013 mit einem leicht gesteigerten Wachstum der Schweizer Wirtschaft  auf 1,2 bis 1,5%. 2012 hatte das Bruttoinlandprodukt 1% zugelegt.

«Wir haben Vollbeschäftigung, die Stimmung bei den KMU ist grundsätzlich gut», sagt Bigler gegenüber swissinfo.ch. Die kleinen und mittleren Unternehmen mit bis 249 Beschäftigten, die sein Verband vertritt, machen 99,7% aller Betriebe in der Schweiz aus.

Zwar gebe es Betriebe hart am Abgrund oder solche, die aufgeben müssten. «Man darf aber aus solchen Einzelfällen nicht eine Krise herbeireden. KMU würden in Rezessionen auch proportional weniger Stellen abbauen als grössere Betriebe.

«Sie seuchen sich lieber mit ihrem Fachpersonal durch und erhalten so ihre Flexibilität aufrecht. So können sie dann bei einem Aufschwung mit alter Kompetenz wieder voll produzieren.» KMU fungierten deshalb in wirtschaftlich schwierigen Zeiten als Konjunkturpuffer, sagt der SGV-Direktor.

Bruttoinlandprodukt und Arbeitslosenquote (2. Zahl). Vergleich 2012: +1% und 2,9%.

Seco: +1,3% und 3,3%.

KOF ETH Zürich: +1,2% und 3,2%.

BAK Basel: +1,2% und 3,2%.

Credit Suisse: +1,5% und 3,0%.

UBS: +0,9% und 3,2%.

Economiesuisse: +0,6% und 3,3%.

OECD: +1,1% und 4,1%.

Privatkonsum: +1,3% (Durchschnittswert aller Prognosen, 2012: +2,1%.

Konsumentenpreise: +0,4% (Durchschnittswert aller Prognosen, 2012: -0,7%.

Franken abgeschwächt, aber… 

Auch Thomas Daum, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes (SAV), taxiert 2012 hinsichtlich Entlassungen als «kein schlimmes Jahr». Und auch für 2013 erwartet er «keine dramatischen Entwicklungen». Er betont vielmehr, dass ein Arbeitsmarkt mit 4,5 Mio. Erwerbstätigen immer in Bewegung sei. «Da muss man sich hüten, bei einer Massentlassung, – und solche wird es sicherlich geben -, gleich auf eine generelle Verschlechterung zu schliessen.»

Daum geht wie das Staatssekretariat für Wirtschaft davon aus, dass die Arbeitslosenquote 2013 leicht nach oben klettern wird. Das Seco rechnet im laufenden Jahr mit 3,3% Arbeitslosen, nach 2,9% im letzten Jahr.

Trotz vorsichtigem Optimismus sieht Daum das gesamte Wirtschaftssystem nach wie vor in einem «äusserst instabilen Zustand», Stichwort Euro- und Schuldenkrise, Rezessionsängste und starker Franken, auch wenn sich dieser seit Anfang Jahr abgeschwächt hat.

Die grössten Risiken bestehen laut Daum für die Exportwirtschaft und den Tourismus, während die stabilsten Verhältnisse im Binnenmarkt herrschten.

Industriesektor weiter unter Druck

Ähnlich tönt es beim Sozialpartner, dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund. SGB-Chefökonom Daniel Lampart erwartet 2013 Stellenverluste in der Maschinen-, Druck-, Textil- und Metallindustrie. Betroffen werde auch der Finanzsektor, die Informatik und die Hotellerie. Dabei wird es sich laut Lampart teilweise um die Umsetzung angekündigter Massnahmen handeln. «Im Bau dürfte der Stellenaufbau auslaufen. Der Detailhandel wird nur zurückhaltend Personal einstellen», so Lampart weiter.

Grösster Treiber der Schweizer Wirtschaft ist der nach wie vor brummende Binnenkonsum. Dennoch hängt die Zukunft von vielen Stellen im Land davon ab, ob und vor allem wie rasch die Länder Europas die Wirtschafts- und Schuldenkrise in den Griff bekommen.

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