Künstliche Süssstoffe: Doch lieber ohne «Zero»?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät von der Verwendung künstlicher Süssstoffe ab. Welche Möglichkeiten bleiben nun Lebensmittelunternehmen und Konsument:innen noch?
Vor knapp 15 Jahren wurde in zwei Schweizer Zoos ein seltsames Experiment durchgeführt. In Gefangenschaft lebende Wildtiere aus den Zoos Zürich und Rapperswil erhielten während 24 Stunden Zugang zu zuckerhaltigem Wasser, das sechs natürliche und sechs künstliche Zucker enthielt. Nur eine Tierart zeigte eine Vorliebe für künstlichen Zucker: Rote Pandas. Der Fall ging um die WeltExterner Link.
«Es ist der erste uns bekannte Fall, in dem eine Nicht-Primatenart Aspartam erkennt und eifrig konsumiert», sagten die Forscher:innen in der Studie, die 2009 im Journal of HeredityExterner Link veröffentlichten wurde.
Dieser Artikel ist Teil unserer Berichterstattung über die Entwicklungen in der Lebensmittelindustrie aus Sicht der Konsument:innen. Trotz ihrer geringen Grösse ist die Schweiz bedeutend im globalen Lebensmittelmarkt. Sie beherbergt Lebensmittel- und Agrargiganten wie Nestlé und Syngenta sowie wichtige Akteure in den Bereichen Schokolade und Milchprodukte.
Das Land positioniert sich auch als Food-Tech-Hub mit vielen Start-ups und einem eigenen Inkubator in Form des Swiss Food and Nutrition Valley im Kanton Waadt.
Die Schweiz ist auch eine europäische Drehscheibe für viele Rohstoffunternehmen, die mit Lebensmitteln wie Soja, Kakao, Kaffee und Palmöl handeln.
Die eifrigsten Konsument:innen von Aspartam und anderen künstlichen Süssstoffen, auch bekannt als zuckerfreie Süssstoffe (NSS), sind natürlich wir Menschen. Zu unserem Leidwesen hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) allerdings kürzlich von diesen Süssstoffen abgeraten.
«Die Empfehlung stützt sich auf den Ergebnissen einer systematischen Überprüfung der verfügbaren Belege, die darauf hindeuten, dass die Verwendung von NSS keinen langfristigen Nutzen bei der Reduzierung des Körperfetts bei Erwachsenen oder Kindern bringt. Die Ergebnisse der Überprüfung deuten auch darauf hin, dass die langfristige Einnahme von NSS potenziell unerwünschte Auswirkungen haben kann, wie etwa ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Sterblichkeit bei Erwachsenen», hiess es in einer Pressemitteilung der WHO im März.
Die WHO rät ab von allen «synthetischen und natürlich vorkommenden oder modifizierten nicht-nutritiven Süssstoffen, die nicht als Zucker eingestuft werden». Dazu gehören beliebte Süssstoffe wie Acesulfam K, Aspartam, Advantam, Cyclamat, Neotam, Saccharin, Sucralose, Stevia und Stevia-Derivate.
Weiter hat die WHO vor der möglichen krebserregenden Wirkung von Aspartam auf Menschen gewarnt. Um gefährdet zu sein, müsste man allerdings mindestens 12 Dosen Diätlimonade pro Tag trinken.
Was bedeutet das für die Konsument:innen?
Die Empfehlungen der WHO gelten als bedingt. Das bedeutet, es ist «weniger sicher, dass die erwünschten Folgen der Umsetzung der Empfehlung die unerwünschten überwiegen, oder wenn der erwartete Nettonutzen sehr gering ist».
Der Bericht warnt zwar vor einem erhöhten Risiko von Frühgeburten bei Frauen, die während der Schwangerschaft oft zuckerfreie Süssstoffe konsumiert haben. Dies beruht aber auf «Beweisen mit geringer Sicherheit».
Wer kein Risiko eingehen will, hat noch ein paar Möglichkeiten. Dazu gehören Zucker aus natürlichen Quellen, die weniger verarbeitet sind, wie Kokosnussblüten, Ahorn oder Agave.
Auch gegen Zuckeralkohole wie Sorbitol, Maltitol, Erythritol und Xylitol hat die WHO noch nichts einzuwenden. In einer aktuellen Studie, die dieses Jahr publiziert worden ist, wurde allerdings ein Zusammenhang zwischen dem Verzehr dieser Produkte und Blutgerinnseln festgestellt.
Gibt es einen einfachen Ausweg für Konsument:innen mit einer Vorliebe für Süsses?
Das Schweizer Beispiel
Die Lebensmittelhersteller haben aus unserem Wunsch, Kalorien zu reduzieren und überflüssiges Gewicht zu verlieren, Kapital geschlagen. Zusätzlich stehen sie unter dem Druck, den Zuckergehalt in ihren Produkten zu reduzieren, da sie sonst mit staatlichen Vorschriften rechnen müssen.
Während das Schweizer Parlament bisher Versuche abgelehnt hat, eine Zuckersteuer einzuführen, drängt die Regierung die Unternehmen, dies auf freiwilliger Basis zu tun. Eine solche Initiative ist die vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) 2015 lancierte Mailänder Erklärung.
Diese fordert eine zehnprozentige Senkung des Zuckergehalts in Produkten wie Erfrischungsgetränken, Joghurts und Frühstücksflocken bis Ende 2024. 24 Unternehmen haben sich der Initiative angeschlossen. Und es scheint zu funktionieren.
«Im Durchschnitt ist der Gehalt an zusätzlichem Zucker in Joghurts seit 2018 um 5% und in Frühstücksflocken um 13% gesunken», hiess es im Februar in einer Pressemitteilung des BLV.
In der 2021 durchgeführten Überprüfung heisst es, dass diese Reduzierung durch die Neuformulierung von Rezepturen, die Entfernung von Produktlinien mit hohem Zuckergehalt und die Einführung neuer, weniger zuckerhaltiger Produktreihen erreicht worden sei.
Weiter steht im Bericht: «Alle Reduzierungen wurden ohne den Einsatz von künstlichen Süssungsmitteln oder Zuckeraustauschstoffen erreicht.»
Das Schweizer Beispiel zeigt, dass es möglich ist, Zucker zu reduzieren, ohne auf künstliche Süssstoffe zurückzugreifen.
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Übertragung aus dem Englischen: Claire Micallef
Übertragung aus dem Englischen: Claire Micallef
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