Die Crowd ist nicht immer ein verlässlicher Partner
Die Kultur zählt in der Schweiz zu den grossen Gewinnern des Crowdfunding. Doch längst nicht alle Projekte sind erfolgreich. Es gibt auch immer wieder solche, die scheitern. Wer nicht gut in den Sozialen Medien vernetzt ist, hat keine Chance. Auch wenig populäre Kunstformen haben es schwierig. Zwei Beispiele aus der Schweiz.
Im 2015 steckten Schweizer User per Crowddonating rund sechs Millionen Franken in über 500 kulturelle Projekte, obwohl Crowdfunding in der Schweiz noch in den Kinderschuhen steckt. «In den USA hat das private Mäzenatentum eine grössere Tradition als hier», sagt Melina Roshard (34), die eines der ersten Crowdfunding-Projekte der Schweiz begleitet hat und heute Geschäftsführerin der in der Schweiz führenden Plattform Wemakeit ist. «Doch in der Musik und im Film hat sich Crowdfunding in den letzten vier Jahren gut etabliert, und wir denken, dass auch andere Bereiche noch stark wachsen werden.»
Crowdfunding in der Schweiz
- 2015 wurden 27,3 Millionen Franken für 1342 Kampagnen vermittelt
- 75% aller Projekte stammen aus urbanen Regionen
- Fast 50% davon sind Crowdsupporting-Projekte
- Initiantin und Supporter wohnen im Schnitt nur 12 km voneinander entfernt
- Die Erfolgsquote von Crowdsupporting-Projekten liegt bei 65%
- Stärkste Crowdsupporting-Kategorien: Musik/Festivals, Technologie/Start-up, Soziales/Gesellschaft
- Bekannteste Plattformen: Wemakeit, 100days
Tatsächlich geht es rasch vorwärts: Im vergangenen Jahr steckten laut einer StudieExterner Link der Hochschule Luzern 90’000 Personen 27,3 Millionen Franken in Projekte – mehr als doppelt so viel wie noch 2013. Tendenz: steigend.
Im Netz kursieren unzählige Anleitungen, wie man eine erfolgreiche Kampagne lanciert – in den USA und in Grossbritannien hat sich gar eine eigene Beratungsindustrie entwickelt. «Es bedeutet eine Menge Arbeit», sagt der Zürcher Journalist, DJ und Hobbymusiker Markus Krucker. Zusammen mit einem Freund hat er im Juli die erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne «Fred&WaltExterner Link» lanciert: Während drei Jahren liessen die beiden ihre eigenen Songs von verschiedenen Zürcher Musikerinnen und Musikern interpretieren. Das so entstandene Album wollten sie auf Vinyl pressen – und brauchten dafür Geld.
Also wandten sie sich an die Crowd: Fred&Walt drehten ein lustiges VideoExterner Link, organisierten attraktive Gegenleistungen, waren auf Social-Media-Kanälen unterwegs. Zudem hatten sie den Startvorteil, dass viele Künstler aus der gleichen Stadt an ihrem Projekt beteiligt sind – gute lokale Netzwerke sind für Crowdfunding-Aktionen Gold wert.
Nicht ohne die persönliche Bitte
Dennoch war die Kampagne kein Selbstläufer: «Wir merkten bald, dass PR über Social Media alleine nicht reicht. Du musst die Leute persönlich angehen», sagt der 40-Jährige. Deshalb verteilten sie zusätzlich Papierflyer und schrieben viele Mails. Die persönliche Bitte – dies bestätigen auch andere Kampagnenmacher – hat noch immer klar den grössten Effekt. Am Ende kamen sogar mehr als die angestrebten 7700 Franken zusammen.
Fast gleichzeitig wie Markus Krucker in Zürich schaltete 25 Kilometer nördlich in Eglisau die Chorleiterin Helene Haegi ihr Projekt «Heimatliche KlängeExterner Link» auf. Ihr Ziel: Zwei Männerchöre singen eine Jodlermesse und der Erlös geht an gemeinnützige Organisationen. Trotz Video, guter Vernetzung und kreativen Gegenleistungen erreichte Haegi nur 1700 der angestrebten 10’000 Franken.
«Ich hatte den Betrag zu hoch angesetzt», sagt Haegi. Die Chorleiterin hatte zudem das Problem, dass ihr Publikum wenig online-affin ist: «Unsere Vereinsmitglieder sind super vernetzt, aber nicht übers Internet.» Einige ihrer Chorsänger haben zwar einen Facebook-Account und posteten die Kampagne mehrmals – aber erreichten damit niemanden. «Zudem sind viele ältere Leute skeptisch gegenüber Online-Zahlungen.» Den Generationengraben hat Crowdfunding also noch nicht überwunden.
Grenze zwischen Promotion und Belästigung
Besonders schwierig fand es Haegi ausserdem, die Grenze zwischen Promotion und Belästigung zu finden: «Du musst permanent betreuen, anfragen, nachhaken. Nichts darf einem zu viel sein. Manchmal traute ich mich gar nicht mehr, nochmals zu betteln.» Das Verdikt ist klar: Je mehr Leute aktiv hinter einer Kampagne stehen, desto einfacher. Mit dieser und mit anderen Einsichten möchte es Haegi künftig wieder versuchen.
Crowdfunding ≠ Crowdfunding
- Crowdsupporting: User spenden einem Projekt Geld und erhalten dafür Güter oder eine Dienstleistung (üblich bei Kultur- und Sozialprojekten).
- Crowddonating: Wenn User auf eine Gegenleistung verzichten.
- Crowdinvesting: User beteiligen sich an Unternehmen in Form von Eigenkapital und erhalten bei Geschäftserfolg eine Gewinnbeteiligung.
- Crowdlending: User geben einem Projekt ein Darlehen und erhalten dafür Zins.
Die Beispiele zeigen: Crowdfunding ist eine abenteuerliche Art, Geld zu sammeln. Es kann viel ermöglichen, aber wenig populäre Kunstformen haben einen schwierigen Stand, und ohne gute Vernetzung in den sozialen Medien hat man keine Chance. Die bestehende Kulturförderung von Staat und Stiftungen kann Crowdfunding also keinesfalls ersetzen. Aber: es kann Lücken füllen, Aufmerksamkeit erregen und Trends anzeigen. So wird Crowdfunding in der Schweizer Kulturwelt oft auch als Marktbarometer und Vorverkaufskanal genutzt.
Neue Modelle – Kultur rückt näher zum Konsumenten
Hierzulande noch recht unbekannt ist Matched Crowdfunding, also die verknüpfte Finanzierung von Förderinstitutionen und Usern. So kann sich zum Beispiel eine Stiftung verpflichten, den Betrag zu verdoppeln, wenn eine Crowdfunding-Kampagne erfolgreich ist. In England etwa fördert die Non-Profit-Plattform Creative EnglandExterner Link mit solchen Modellen gezielt die kreative Industrie, und in Rotterdam entstand mit der LuchtsingelExterner Link-Fussgängerbrücke die erste über Matchfunding finanzierte öffentliche Infrastruktur.
In der Schweiz sind erste Schritte in diese Richtung erkennbar. So fördert etwa die Swisscom in ihrem Projekt Music BoosterExterner Link Schweizer Bands über Matchfunding. Diesen Frühling entstand in Zürich ausserdem die Plattform DonxtExterner Link: Wie beim US-Vorbild PatreonExterner Link unterstützt die Crowd hier keine Produkte, sondern die Künstler selbst, und zwar in Form eines monatlichen Beitrags. Laut den Betreibern ist Donxt erfolgreich gestartet – man rechnet mit starkem Wachstum. Das Interesse am Kunst-Abo bestätigt den Trend: Die Kulturproduktion rückt immer näher zu den Konsumenten. Ob mit 5 oder 10’000 Franken – heute kann jeder Mäzen sein.
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