Wenn Traktor und Mähdrescher auf einmal Roboter sind
Drohnen, Melkroboter, führerlose Fahrzeuge, intelligente Sensoren: Digitale Technologie erobert mit hoher Geschwindigkeit die Landwirtschaft. Der Schweizer Wirtschaftsminister fordert deshalb eine veritable "digitale Revolution", eine Landwirtschaft 4.0. Doch Experten sind skeptisch. Sehr skeptisch.
Krankheiten entdecken und den exakten Bedarf von Nährstoffen für Anbau-Kulturen schätzen: Das und noch viel mehr können Drohnen mit Kameras in der Landwirtschaft.
Oder Salate, die Hors Sol spriessen, gespiesen von einer Wolke von zu 100Prozent biologischen Nährstoffen. Oder ein mit Solarenergie angetriebener Roboter, der nur jene Pflanzen mit Schutzmitteln besprüht, die von Schädlingen befallen sind. Und der so mithilft, giftige Pestizide zu reduzieren.
Nein, das ist nicht Science Fiction: Neue, hochpräzise Instrumente sind bereits heute unverzichtbar in den Bemühungen der Landwirte, ihre Betriebe stets effizienter zu bewirtschaften.
Selbstfahrende Traktoren
Auf den Schweizer Strassen fahren noch keine führerlosen Fahrzeuge. In der Landwirtschaft dagegen halten Taktoren mit Autopilot mehr und mehr Einzug.
Die Technologie basiert auf GPS-Orientierung und Prozessautomatisierung. Sie ermöglicht zentimetergenaues Fahren.
So können Fahrwege jedes Jahr leicht verschoben werden, um z. B. eine zu starke Verdichtung des Bodens zu vermeiden.
Die oben erwähnten Innovationen, alle in der Schweiz entwickelt, sind aber nur die Spitze des Eisbergs: die digitale Revolution hat weltweit die Landwirtschaft erreicht.
«Die wahre Revolution geschieht bei Erhebung und Verwaltung der landwirtschaftlichen Daten. Ich spreche nicht von einer fernen Zukunft, sondern von einer Veränderung, die in der Schweiz im nächsten Jahr passieren wird», sagt Francis Egger, Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizer Bauernverbandes. Der SBV zählt zu den mächtigen Lobbys in der Schweizer Politik.
Weniger Papierkram
Cédric Romon sitzt bequem in der klimatisierten Kabine seines Mähdreschers, einem Ungetüm mit Selbstfahrsystem. Der Chef eines Landwirtschafts-Unternehmens hat eine genaue Vorstellung davon, was die riesigen Datenmengen, die er selber täglich gewinnt, bringen sollen.
«Ich kann den Landwirten den genauen Zustand eines jeden ihrer Felder sagen, dies aufgrund der Qualität und des Feuchtigkeitsgehalts der geernteten Getreidekörner.»
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An Bord des Hightech-Mähdreschers
Weiterer Vorteil: die drastische Reduktion der Zeit, welche die Bauern mit Papierkram im Büro verbringen. «Meine Mitarbeiter senden ihre Daten betreffend Zeitpunkt, Bodenoberfläche, Erntemenge etc. per Smartphone direkt einem zentralen System. So können sie mehr Zeit draussen verbringen und sich auf das konzentrieren, was für sie am wichtigsten ist – den Kontakt mit der Natur», sagt Romon.
Auch Francis Egger hofft, dass die Digitalisierung die Bauern von einem Grossteil der Arbeit im Büro befreit. Für sie sei der Verwaltungsaufwand heute «an der Grenze des Erträglichen», so Egger.
Sein Ziel ist eine Plattform, die alle öffentliche Daten aus dem gesamten Landwirtschaftsbereich vereint. Dieser umfasst etwa die Rückverfolgbarkeit eines jeden Nutztiers, die Abwicklung der Direktzahlungen aus der Bundeskasse, die ökonomische und technische Verwaltung der Bauernbetriebe sowie die Vernetzung mit anderen Akteuren der Branche inklusive dem Staat.
«Man muss um jeden Preis verhindern, dass der Schweizer Bauer zum einfachen Arbeiter eines globalen Agrar-Multis wird.» Francis Egger, Schweizer Bauernverband
Feldarbeiter in Diensten von Agrarmultis?
Diese Entwicklung ist jedoch nicht ohne Risiken, wie Francis Egger sagt. «Wer Daten besitzt, hat die Fähigkeit, den Markt zu kontrollieren, und das kann zu einer vertikalen Integration der Landwirtschaft führen. Am Ende haben die Konsumentinnen du Konsumenten die Möglichkeit, einen Betrieb praktisch selbst zu verwalten – ein Phänomen, das bereits teilweise im Bereich der Geflügelzucht zu beobachten ist. Aber wir wollen vermeiden, dass der Bauer zum einfachen Arbeiter im Dienst eines Unternehmens wird.»
Das Risiko der Abhängigkeit besteht auch gegenüber den globalen Riesen in den Bereichen Nahrungsmittel,Elektronik und Lebensmittel, die stark in die Landwirtschaft 4.0 investieren. Der amerikanische Landmaschinen-Multi John Deere etwa bietet integrierte Managementsysteme an, die Wartung der Maschinen, Buchhaltung, Haushaltsbudget und Optimierung der Produktivität umfassen – alles in ein Paket geschnürt. «Bund, Kantone und landwirtschaftliche Organisationen müssen rasch handeln. Sie müssen verhindern, dass die Bauern zu Gefangenen dieser multinationalen Unternehmen werden, die eine marktbeherrschende Stellung haben», sagt Francis Egger.
Optimistischer Agrarminister
Eggers Warnung, erfolgt im Rahmen der internationalen Landwirtschaftsmesse in Paris von letztem März, richtete sich vor allem an den Schweizer Wirtschafts- und Argrarminister Johann Schneider-Ammann. «Ob man will oder nicht: die Revolution ist schon im Gang. Die Landwirtschaft wird sich aufgrund der Digitalisierung erneuern, und sie wird mit gestärkter Wettbewerbsfähigkeit daraus hervorgehen», sagte der Bundesrat im Frühling in einem Interview im Fachmagazin «Terre et Nature» («Erde und Natur»).
Als überzeugter Anhänger einer liberalen Landwirtschaft weigert sich Schneider-Ammann, strenge Regeln zur Nutzung landwirtschaftlicher Daten vorzuschreiben. «Es braucht Zeit und grösstmöglichen Raum, um erste Erfahrungen zu sammeln und daraus Schlüsse zu ziehen», so seine Haltung. «Seien Sie mutig und innovativ und engagieren Sie sich für die Digitalisierung», richtete der Minister einen flammenden Appell an die Bauern.
«Will man die schweizerische Landwirtschaft wirklich retten, gibt es viel wichtigere Baustellen als die digitale Revolution.» Cédric Romon, Agrarunternehmer
Einer, der gegenüber dieser Tech-Eurphorie grosse Skepsis äussert, ist Yvan Droz, Dozent am Institut für internationale Studien der Universität Genf und 2014 Mit-Autor eines Buches über die Krise der Landwirtschaft («Malaise en agriculture»). «Man ist daran, eine veritable Büchse der Pandora zu öffnen, ohne über die sozialen und psychologischen Auswirkungen dieser neuen Technologien auf die Bauern Bescheid zu wissen», sagt Droz.
Technologie, die isoliert
In einer Umfrage, die Droz und zwei Forscherkollegen bei Bauern in der Schweiz, Frankreich und im kanadischen Quebec durchführten, zeigten die Antworten ein starkes Gefühl der Vereinsamung, das die Produzenten zunehmend erfasst. «Die Technologie ist ein Faktor, der isoliert. Die Bauern verbringen viel Zeit mit Radio hören oder fernsehen in der Kabine ihres selbstfahrenden Traktors. Kontakte mit Kollegen werden seltener», erklärt Droz.
Weitere Folge dieser zunehmenden Automatisierung: die Bauern büssen an direktem Kontakt mit dem Boden, also der Erde, ein. Auch die Beziehung Mensch-Tier wird distanzierter. Verantwortlich dafür sind gerade auch die Melkroboter in den Kuhställen. Seit diese das Melken von Hand abgelöst haben, erfuhr die emotionale Verbindung von Bauer und seinem Vieh eine Entfremdung, stellten die Forscher fest.
Die Technologie kann zudem starken Stress verursachen. «In der Einführungsphase ist der Roboter direkt mit dem Smartphone des Bauern verbunden. Gibt es im Melkstand ein Problem, sei es auch mitten in der Nacht, wird der Bauer alarmiert. Zur körperlichen Schwerarbeit geselle sich so psychischer Druck, sagt Yvan Droz. Das könne den Bauern, die sich bereits in einem wirtschaftlich sehr schwierigen Umfeld bewegten, vollends den Boden unter den Füssen wegziehen.
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«Die Verzweiflung vieler Bauern wird unterschätzt»
Auch Cédric Romon, ein Pionier einer effizienzgesteigerten Landwirtschaft, ist skeptisch, was die Hoffnungen Schneider-Ammanns in die digitalisierte Bewirtschaftung angeht. «Wäre ich nicht persönlich an neuen Technologien interessiert, hätte ich den Schlüssel zu meinem Betrieb schon lange abgegeben», gesteht der Agro-Unternehmer aus dem Kanton Waadt.
Er hält die Investitionen, welche die Landwirtschaft 4.0 erfordern, im gegenwärtigen Umfeld für schlicht unrealistisch. «All meine Kollegen stehen unter einem fürchterlichen finanziellen Druck, viele denken ans Aufhören. Will man die schweizerische Landwirtschaft wirklich retten, gibt es viel wichtigere Baustellen als die digitale Revolution», sagt Romon.
Nicht nach amerikanischem Modell
Auch wenn neue Technologien immer mehr den Alltag der Bauern prägen, sind sie noch weit davon entfernt, die Schweizer Landschaften zu kolonisieren. In den grossen Anbau-Nationen USA, Brasilien und Australien sind die Vorteile schon längst bekannt, die selbstfahrende oder halbautonome Maschinen, Drohnen zum Spritzen von Schädlingsbekämpfungsmitteln oder automatisiertes Silo- Management bringen. In der Schweiz sind die Agrarexporte zu gering und das Terrain ist zu uneben, um eine Entwicklung nach US-Modell zu erlauben.
«Im Management von Grosskulturen verfolgt die Schweiz die technologischen Entwicklungen im Ausland. Profilieren hingegen kann sich unser Land, was die Automatisierung und Digitalisierung von Prozessen innerhalb von Gebäuden (Ställe, usw.) betrifft», sagt Francis Egger vom Schweizer Bauernverband.
Melk- oder Futterdosierungs-Roboter werden in der Schweiz immer beliebter, ebenso Sensoren für die Milchkuhhaltung: So hat etwa die Berner Firma Anemon einen intravaginalen Sensor entwickelt, der Informationen über Temperatur und Puls einer Milchkuh misst sowie per GPS ihre Position durchgeben kann. Die Früherkennung höherer Temperaturen bei Milchkühen ist in der Tat ein wichtiger Faktor für die Wirtschaftlichkeit eines Milchviehbetriebes.
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(Übertragen aus dem Französischen: Renat Kuenzi)
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