Langsame Fortschritte im Kampf gegen die internationale Korruption
In den letzten fünf Jahren sind in der Schweiz elf Personen und sieben Unternehmungen wegen Bestechung ausländischer Amtsträger verurteilt worden. Diese Zahlen sind nicht hoch, liegen aber doch etwas höher als in der Vergangenheit. Die OECD ist zufrieden mit dieser Entwicklung; einige Experten warnen aber vor Mängeln im System.
Ein Tag im Juni 2021. Im Gerichtssaal des Bundesstrafgerichts (BStG) in Bellinzona beantwortet Banker M.G. aus Bahrain Fragen des Richters, des Staatsanwalts sowie der Anwälte der National Oil Corporation Libyens (NOC). Der Vater des Beschuldigten leitete von 2006 bis 2011 die NOC, die nationale Ölgesellschaft Libyens und war damals ein Schlüsselmann des libyschen Regimes von Mohamed Gaddafi. M.G. wird von der Bundesanwaltschaft wegen Beihilfe zur passiven Bestechung ausländischer Amtsträger angeklagt.
Im Mittelpunkt des Verfahrens steht eine Zahlung von 1,5 Millionen US-Dollar, die 2007 auf das Schweizer Konto einer seiner Offshore-Firmen eingegangen ist. Laut Bundesanwaltschaft handelt es sich um Bestechungsgelder. Er habe diesen Betrag dafür erhalten, dass er – über seinen Vater – ein Joint Venture zwischen der NOC und dem norwegischen multinationalen Unternehmen Yara eingefädelt habe. Dieses wollte in Libyen ein Werk errichten.
Aus Sicht der Verteidigung ist der Angeklagte als unschuldig zu betrachten: Einerseits hätte er sich einzig als Berater betätigt, andererseits sei die Schweiz aus territorialen Gründen gar nicht zuständig für die Verfolgung dieses Falles. Das Urteil wird für den 1. Juli erwartet.
Sollte der Angeklagte für schuldig befunden werden, wäre der Banker eine der wenigen Personen, die in der Schweiz verurteilt wurden, seit der neue Strafartikel zur Bestechung ausländischer Amtsträger im Jahr 2000 in Kraft getreten ist. Eine Verurteilung wäre folglich ein seltenes Ereignis, auch wenn in den letzten Jahren ein leichter Anstieg der Fallzahlen zu verzeichnen war.
Hohes Bestechungsrisiko
«Die Schweiz hat eine führende, manchmal dominante Position in bestimmten ökonomischen Sektoren, die eine entscheidende Rolle für ihre eigene Volkswirtschaft spielen, aber gleichzeitig einem relativ hohen Bestechungsrisiko im Ausland ausgesetzt sind», heisst es im Anti-Korruptionsbericht der OECD von 2018Externer Link über die Schweizerische Eidgenossenschaft. Zu den Branchen mit hohem Risikopotential gehört der Rohstoffsektor. Denn Unternehmen, die im Rohstoffhandel tätig sind, pflegen Beziehungen zu Behörden und staatlichen Unternehmungen besonders gefährdeter Länder.
Auch die Finanzbranche ist exponiert, wie die Verwicklung mehrerer Schweizer Banken in Korruptionsskandale von internationalen Dimensionen aufzeigt. 2019 veröffentlichte die interdepartementale Koordinationsgruppe zur Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung (KGGT) einen BerichtExterner Link, der zum Schluss kam, dass in der Schweiz ein erhöhtes Geldwäschereirisiko aus internationaler Korruption existiert. Der Bericht zeigt auf Grundlage von Risikoindikatoren das erhöhte Geldwäschereirisiko auf, «das die Vortat Korruption, insbesondere die internationale Korruption, für den Finanzplatz Schweiz darstellt.»
Nur wenige Verurteilungen
Trotz dieser Befunde wurden in der Schweiz seit dem Jahr 2000 weniger als zwanzig Personen wegen Bestechung ausländischer Amtsträger verurteilt. «Das ist ein echtes Problem, denn die realen Zahlen für Korruption liegen viel höher», meint Martin Hilti, Direktor von Transparency International Schweiz. Für den Vertreter dieser Nicht-Regierungsorganisation (NGO) gibt es eine Reihe von Gründen für diese unbefriedigende Situation: «Korruption ist eine versteckte Praxis und nur schwer aufzudecken; Staatsanwälten fehlt oft der Anfangsverdacht, um eine Strafuntersuchung einzuleiten. Darüber hinaus ist es nicht einfach, den Straftatbestand der Korruption zu beweisen, insbesondere in einem internationalen Streitfall, der internationale Rechtshilfe erfordert. Dieses Rechtsmittel funktioniert mit den beteiligten Ländern häufig nicht.»
Eine Analyse der erfolgten Schuldsprüche zeigt auf, dass sich unter den Verurteilten einige Führungskräfte schweizerischer oder ausländischer Unternehmungen, ein Vermittler, ein Wirtschaftsanwalt, ein Finanzunternehmer und ein Händler von Rohöl befinden. Zu den am stärksten involvierten Branchen gehört der Rohstoffhandel, insbesondere der Handel von Rohöl. David Muhlemann, Experte bei der NGO Public Eye, ist von diesem Befund nicht überrascht: «Die Rohstoffbranche ist ein Hochrisikosektor, aber die Statistik der wenigen Verurteilungen spiegelt dies nicht wirklich. Eine Besonderheit am Straftatbestand der Korruption ist, dass alle Beteiligten ein Interesse an deren Geheimhaltung haben.»
Neben Einzelpersonen hat die Bundesanwaltschaft (BA) auch die Strafverfolgung von Unternehmen intensiviert. Es geht um Unternehmen, die Korruption nicht verhindert haben. Nach einer ersten Verurteilung von Alstom Network Schweiz im Jahr 2011 folgten weitere Schuldsprüche: Nitrochem, Odebrecht, Dredging Environmental and Marine Engineering, KBA Notasys, Gunvor und Andrade Gutierrez.
Andere Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, darunter diejenigen gegen einige Banken und multinationale Unternehmen wie Glencore, Sicpa und SBM Offshore. Auch hier stösst das Vorgehen des BA nicht nur auf Zustimmung: «Bei juristischen Personen sind die Probleme ähnlich wie bei natürlichen Personen, aber die Situation ist eigentlich noch schlimmer», kritisiert Martin Hilti. Laut dem Direktor von Transparency International Schweiz – einer Organisation, die kürzlich in diesem Zusammenhang einen BerichtExterner Link über die strafrechtliche Verfolgung natürlicher Personen veröffentlicht hat – «sind die Staatsanwälte aufgrund der Schwierigkeit, die notwendigen Beweise zu sammeln, oft auf die Zusammenarbeit schuldiger Unternehmen angewiesen, um diese zur Rechenschaft zu ziehen.»
«Und die Behörden nutzen die gesetzlichen Möglichkeiten noch nicht ausreichend, Unternehmen zu einer Selbstanzeige zu bewegen», meint Hilti. Diese Kritik findet sich auch im letzten OECD-Bericht. Patrick Moulette, Leiter der Korruptionsbekämpfung bei der OECD, weist zudem darauf hin, dass die Schweiz nach wie vor aufgefordert wird, «die Höchststrafe für Unternehmen, die sich der internationalen Korruption schuldig gemacht haben, zu erhöhen». Dieser Betrag beläuft sich derzeit auf 5 Millionen Franken.
Lobende Worte der OECD
Von den analysierten Verurteilungen sind elf in den letzten fünf Jahren ergangen. Im OECD-Bericht 2020 über die Schweiz und die Korruption wird eine positive Entwicklung im Vergleich zur Vergangenheit hervorgehoben: Die Expertinnen und Experten zeigen sich «zufrieden» mit der erfolgten Anzahl an Verurteilungen. Zugleich verweisen sie aber auch auf die hohe Zahl der eingestellten ErmittlungenExterner Link im Vergleich zur Zahl der laufenden oder abgeschlossenen Untersuchungen. Die OECD- Arbeitsgruppe hebt «die konstante Tätigkeit der Bundesanwaltschaft» positiv hervor, fordert die Schweiz aber auf, «ihre Bemühungen zur Strafverfolgung internationaler Korruptionsfälle zu verstärken».
Patrick Moulette, Leiter der OECD-Abteilung für Korruptionsbekämpfung, bekräftigt diese Einschätzung gegenüber swissinfo.ch: «Wir haben die Anstrengungen der Schweiz im Bereich der länderübergreifenden Korruption wiederholt anerkannt. Dank der Arbeit der Bundesanwaltschaft ist die Schweiz eines der aktivsten Länder in diesem Bereich.» Dennoch weist Moulette darauf hin, dass der Bund seine Bemühungen noch verstärken und einige Empfehlungen der Arbeitsgruppe umsetzen müsse, darunter etwa die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz von Whistleblowern.
Keine abschreckende Wirkung
Die OECD-Spezialisten haben zudem darauf hingewiesen, dass die gegen Einzelpersonen verhängten Strafen in Fällen von Bestechung ausländischer Amtsträger «ernsthafte Zweifel an ihrem wirksamen, verhältnismässigen und abschreckenden Charakter aufkommen lassen». David Muhlemann meint: «Wenn es überhaupt zu einer Verurteilung kommt, fällt das Strafmass in der Regel sehr gering aus und entfaltet kaum abschreckende Wirkung.» Laut Strafgesetzbuch beträgt die Höchststrafe für die Bestechung ausländischer Amtsträger fünf Jahre Gefängnis. Doch Fälle, in denen Beschuldigte zu effektiven Gefängnisstrafen verurteilt werden, sind sehr selten; die Regel sind bedingte Freiheitsstrafen oder Geldstrafen.
» Praxis stellen wir bei Finanzdelikten fest, welche Personen betreffen, die zum ersten Mal vor Gericht stehen. Ein Grund dafür ist auch die Tatsache, dass die meisten Verurteilungen wegen Bestechung ausländischer Amtsträger mittels eines Strafbefehls durch die Bundesanwaltschaft erfolgen – also ohne Prozess. Dadurch ist das Strafmass begrenzt», erklärt Katia Villard, Dozentin an der Universität Genf.
Für die Expertin ist die Verurteilung auf der Grundlage von Strafbefehlen ohne eine Verhandlung in einem Gerichtssaal ein zweischneidiges Schwert: «Einerseits erfolgt die Strafverfolgung auf diese Art und Weise schneller und kostengünstiger, andererseits wirft das, was manchmal als ‹informelle Vereinbarung› zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten bezeichnet werden kann, Probleme in Bezug auf die Transparenz auf. Damit entfällt ein gewisser Abschreckungseffekt dank eines Prozesses und der damit einhergehenden Medienpräsenz.» David Muhlemann hält seinerseits diese nur auf einem Strafbefehl basierenden Verurteilungen «aus rechtsstaatlicher Sicht für bedenklich».
Ermittlungen dauern zu lange
Die Strafuntersuchungen zu Geldwäscherei und Korruption sind sehr schwierig und zeitaufwendig. Der Genfer Anwalt Grégoire Mangeat ortet zudem ein grundsätzliches Problem: «Die abnorm lange Dauer dieser Verfahren erklärt sich auch durch ein systematisches Defizit bei den Ermittlungen zur Entlastung der Beschuldigten, insbesondere seit der Abschaffung des Untersuchungsrichters. Die Staatsanwälte verharren zu oft in der Logik der Bestätigung ihrer Vorurteile. Sie sind wahrscheinlich der Meinung, dass Zweifel und Tiefgang keine Tugenden mehr sind, sondern einen Mangel an Effizienz darstellen. Das ist wohl eine Zeiterscheinung.»
Für Martin Hilti liegt die Schwierigkeit, Korruption effektiv zu verfolgen, auch an internen Unzulänglichkeiten der Bundesanwaltschaft: «Sie hat eindeutig zu wenig Ressourcen, um komplexe Verfahren zu führen. Dazu kommen organisatorische Probleme. Der freiwillige und erzwungene Abgang erfahrener Staatsanwälte hat schliesslich in den letzten Jahren zu einem erheblichen Verlust an Know-how geführt.»
Kurzum: Die Fälle von internationaler Korruption sind komplex und ihre Strafverfolgung kann Jahre dauern. Das gilt auch für den aktuellen Fall vor Bundesstrafgericht, in dem für heute das Urteil erwartet wird: Die Vorgänge, für die sich der Banker von Bahrain vor Gericht verantworten muss, reichen ins Jahr 2007 zurück. Die Ermittlungen begannen 2012.
Zu Verzögerungen des Verfahrens führten auch mehrere Beschwerden durch die Verteidigung. Bei den Beschwerden respektive Einsprachen handelt es sich um ein legitimes rechtliches Mittel, das von den Verteidigern oft aber nur benutzt wird, um Zeit zu schinden. Und das ist ein weiteres Problem.
Das höchste Strafmass für die Bestechung ausländischer Amtsträger wurde dieses Jahr im Kanton Genf verhängt. Im Januar dieses Jahres wurde der französisch-israelische Milliardär Beny Steinmetz zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Die Untersuchung – durchgeführt von der Staatsanwaltschaft des Kantons Genf – konzentrierte sich auf eine Zahlung von 8 Millionen Dollar an die vierte Frau des verstorbenen guineischen Diktators Lansana Conté. Dieser Bestechungsbetrag war eine Gefälligkeit für eine Konzession für eine der grössten Eisenerzminen der Welt. Die von Genf aus verwaltete Beny Steinmetz Group Resources (BSGR) erhielt diese Konzession im Jahr 2011.
Gerhard Lob
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