Letztes Wort über billige «Swiss Made»-Uhren ist noch nicht gesprochen
In den letzten zwei Jahrzehnten steig das Preisniveau der Schweizer Uhrenindustrie an – parallel brach die Produktion von Einstiegsmodellen ein. Doch nach einem beispiellosen Marketing-Coup der Swatch halten einige Marken weiterhin an der Idee einer erschwinglichen "Swiss Made"-Uhr fest.
In fast völliger Stille und einer sorgfältig orchestrierten Choreografie wiederholen rund 50 Mitarbeiter:innen von Mondaine fast endlos die gleichen Handgriffe, um «Swiss Made»-Uhren zu fertigen. Von der Montage der Zeiger bis zum Anbringen der winzigen Leuchtstoffröhren, mit denen man nachts die Zeit ablesen kann, werden in der Solothurner Fabrik der Schweizer Uhrenmarke noch immer viele Aufgaben von Hand ausgeführt.
André Bernheim, Miteigentümer des Konzerns, der unter anderem Armbanduhren im Design der berühmten SBB-Bahnhofuhren sowie Zeitmesser für Entdecker und Abenteurer (Luminox) herstellt, sagt: «Trotz der rasanten Fortschritte in der Robotik können manche Handgriffe von Maschinen einfach nicht so präzise ausgeführt werden.»
Bei Mondaine ist man jedoch weit entfernt von der Welt der grossen Luxusmarken, die das Bild der Handarbeit und Tradition bis zum Äussersten vermarkten. Hier ist die Automatisierung von Produktionsprozessen kein Tabu.
Bernheim zögert auch nicht, uns in das riesige Lager zu führen, in das die für die Uhrenherstellung benötigten Ersatzteile gebracht werden, von denen ein Grossteil aus Asien stammt. Diese Transparenz steht im Kontrast zum Geheimhaltungskult, wie er in der Branche sonst üblich ist.
Kein «Bling-Bling»
Mondaine ist mittlerweile eine seltene Spezies in der Schweizer Uhrenlandschaft, die in den letzten zwanzig Jahren einen spektakulären Anstieg des Preisniveaus erlebt hat. Die Zahl der exportierten Uhren mit einem Verkaufspreis von weniger als 500 Franken hat sich von 22,8 Millionen im Jahr 2000 auf 8 Millionen im Jahr 2021 mehr als halbiert, während sich die Zahl der Luxusuhren (zu Preisen über 7500 Franken) im selben Zeitraum von 488’000 auf 1,7 Millionen Stück fast vervierfacht hat.
Zusammen mit Victorinox, Festina, Raymond Weil, Swatch und Tissot gehört Mondaine zu den wenigen Uhrenmarken, die noch «Swiss Made»-Uhren für Normalbürger:innen herstellen.
Der Familienkonzern, der 1951 von Erwin Bernheim, dem Vater der heutigen Miteigentümer André und Ronnie, gegründet wurde, ist seinen Werten treu geblieben – nämlich robuste Uhren für einige Dutzend oder Hundert Franken anzubieten.
«In der Familie mögen wir kein ‹Bling-Bling'», antwortet André Bernheim auf die Frage, warum er nicht auch versucht hat, von der Begeisterung für hochwertige «Swiss Made»-Uhren zu profitieren.
Es bleibt festzuhalten, dass das ohnehin kränkelnde Einstiegssegment durch die Einführung der Apple Watch und anderer Smartwatches Mitte der 2010er-Jahre stark erschüttert wurde.
«Die Smartwatches hatten einen starken psychologischen Einfluss auf die Kunden», räumt Bernheim ein, der keine Angaben zur Umsatzentwicklung seines Unternehmens macht. «Wir hatten ohnehin nicht die finanziellen und technologischen Möglichkeiten, um auf diesem Markt gegen die amerikanischen oder asiatischen Tech-Giganten anzutreten.»
Das grüne Argument
Während er uns durch die hochmodernen Räumlichkeiten seiner Fabrik führt, in der Temperatur und Luftfeuchtigkeit sorgfältig kontrolliert werden und Staub mithilfe eines Überdrucksystems beseitigt wird, zeigt Bernheim dennoch einen unerschütterlichen Optimismus.
Er ist überzeugt, dass die beiden Hauptmarken seines Konzerns, Mondaine und Luminox, in Asien, Europa und Nordamerika noch ein grosses Wachstumspotenzial haben.
«Heutzutage trägt man nicht mehr nur die Uhr, die man zur Konfirmation oder zur Hochzeit geschenkt bekommt. Viele Menschen besitzen mehrere Zeitmesser, die sie je nach ihren Aktivitäten austauschen. Ich bin davon überzeugt, dass eine solide, langlebige und preiswerte Uhr mit der Garantie eines zuverlässigen Kundendienstes sich ganz natürlich in allen Kollektionen der neuen Generation durchsetzen wird.»
Mondaine besitzt ein ikonisches Produkt, die originalgetreue Nachbildung von Schweizer Bahnhofuhren in Miniaturausführung. «Allerdings ist die Marke in einem Einzelproduktsegment eingeschlossen, ähnlich wie Audemars Piguet mit seiner Royal Oak», sagt Olivier Müller, Gründer der Agentur Luxeconsult.
Die Herausforderung für die Marke besteht also darin, immer wieder neue Derivate desselben Produkts zu kreieren. «Mondaine gelingt das ziemlich gut», meint der Uhrenexperte.
Als Chief Sustainability Officer (CSO) setzt Bernheim auf ein Verkaufsargument, das bei seinen Kunden auf der ganzen Welt immer mehr ankommt: die Nachhaltigkeit seiner Produkte. Mondaine brachte 1973 seine erste analoge Solaruhr auf den Markt und ist somit seit fast 50 Jahren ökologisch engagiert, sagt Bernheim. Mondaine ist stolz darauf, ab 2020 ein kohlenstoffneutrales Unternehmen zu sein, einschliesslich seiner gesamten Lieferkette.
«Wir sind wahrscheinlich eines der umweltfreundlichsten Uhrenunternehmen der Welt», behauptet unser Gesprächspartner und scheut sich nicht, nebenbei die Luxusgüterindustrie zu tadeln, der er vorwirft, «wenig zu diesem Thema zu tun, aber jedes noch so kleine Detail zu kommunizieren».
Swatch als Vorbild?
Die neusten StatistikenExterner Link des Verbands der Schweizer Uhrenindustrie lassen für Bernheim und die anderen im Einstiegssegment tätigen Uhrmacher einen Silberstreif am Horizont erkennen. Nach Jahren des Rückgangs sind die Volumen in diesem Jahr wieder leicht gestiegen. Dieses Wachstum ist hauptsächlich auf den Erfolg der «MoonSwatch» zurückzuführen, einer erschwinglichen Version (ca. 250 Franken) der Speedmaster Moonwatch von Omega, die seit diesem Frühjahr von Swatch vertrieben wird.
Mit einem Marketing-Coup, der von fast allen Uhrenexperten gefeiert wurde, verhalf Swatch den Quarzuhren zu neuem Glanz. Die Bilder von Tausenden von Menschen, die vor den Swatch-Geschäften Schlange standen, erinnerten an die besten Zeiten der Marke, die zu ihrer Blütezeit in den 1990er-Jahren fast 20 Millionen Uhren pro Jahr verkaufte (heute sind es 3 Millionen).
Während Bernheim sich nicht zu der von einem unmittelbaren Konkurrenten durchgeführten Operation äussern möchte, betont Müller den «phänomenalen kommerziellen Erfolg» der «MoonSwatch». Trotz Verzögerungen bei der Produktion dürften von der Keramikuhr in diesem Jahr 500’000 Exemplare verkauft werden und 2023 wahrscheinlich doppelt so viele, schätzt der Uhrenexperte.
«Abgesehen vom Erfolg dieses Modells profitiert die gesamte Swatch-Palette von der Begeisterung für diese Uhr, denn sie hat in den Boutiquen der Marke einen Kundenverkehr ausgelöst, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich ihn noch einmal sehen würde», sagt Müller.
Was bedeutet das für die Uhrenfirmen, die in diesem Preissegment tätig sind? «Dank dieser Initiative wird eine konventionelle Uhr für Kunden, die es sich nicht mehr gewohnt waren, sie zu tragen, wieder attraktiv. Ich glaube jedoch nicht, dass es über die punktuelle Zusammenarbeit zwischen zwei Marken hinaus zu einem neuen Boom im unteren Preissegment der konventionellen Uhren kommen wird», relativiert Müller.
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