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Der Banker, der sich vor den USA in der Schweiz versteckte

Ehemaliger UBS-Präsident steigt in ein Londoner Taxi ein.
Andrea Orcel, der ehemalige Chef der Investmentbank UBS (Union Bank of Switzerland), steigt 2013 in ein Taxi, nachdem er vor der parlamentarischen Bankenuntersuchung zu den Libor-Zinssätzen in London, Grossbritannien, ausgesagt hat. Keystone / Facundo Arrizabalaga

Ein ehemaliger Schweizer Finanzhändler beschreibt sein jahrelanges Verstecken in der Schweiz vor der US-Staatsanwaltschaft als "kafkaesk". Ende letzten Monats wurden schliesslich alle Anklagen gegen ihn fallengelassen.

Der ehemalige UBS-Banker Roger Darin gehörte zu einer Reihe internationaler Händlerinnen und Händler, die 2012 beschuldigt wurden, die Libor-Zinssätze in betrügerischer Weise manipuliert zu haben.

Die Schweizer Grossbank UBS gehörte zu zahlreichen internationalen Banken, die wegen der Manipulation der Libor-Zinssätze zu hohen Geldstrafen verurteilt wurden. Auf dem Libor basieren Billionen von Dollar an Krediten, einschliesslich Hypotheken und Kreditkarten.

Die Banken melden täglich die London Interbank Offered Rate (Libor), um die Kosten für die Kreditaufnahme bei anderen Banken zu ermitteln. Der Libor-Zinssatz beeinflusst nicht nur die Kosten von Krediten weltweit, sondern spielt auch eine entscheidende Rolle im Derivatehandel.

Die USA, Grossbritannien und andere Länder beschuldigten Händlerinnen und Händler, die Libor-Sätze manipuliert zu haben, um auf betrügerische Weise grössere Gewinne aus diesen Geschäften zu erzielen.

Die spektakulärste Anklage wegen Libor-Manipulation betraf den ehemaligen UBS-Händler Tom Hayes, der fünfeinhalb Jahre lang im Gefängnis sass. Dies, nachdem ihn ein britisches Gericht der Libor-Manipulation für schuldig befunden hatte.

Roger Darin
Roger Darin beharrt darauf, dass er als Händler nie gegen das Gesetz verstossen habe. Nun wurde die Strafanzeige gegen ihn fallengelassen. Roger Darin

Auch das US-Justizministerium war gegen Hayes und Darin vorgegangen. Doch letzte Woche hat ein New Yorker Gericht die Anklage gegen Hayes fallengelassen und die Staatsanwaltschaft gezwungen, ihre Anklage gegen beide Männer zurückzuziehen.

«Eine Horrorgeschichte»

«Es war eine kafkaeske Erfahrung», sagt Darin gegenüber swissinfo.ch, wenn er das letzte Jahrzehnt beschreibt, während dem er in seinem Heimatland Zuflucht suchte. Die Schweiz liefert ihre Bürgerinnen und Bürger im Allgemeinen nicht an andere Länder aus.

Bei einer Reise ins Ausland hätte ihn das gleiche Schicksal ereilen können wie den ehemaligen UBS-Topmanager Raoul Weil. Dieser wurde 2013 in Italien aufgrund eines US-Haftbefehls in einem anderen Fall verhaftet.

«Ich wusste nicht, was passieren würde, wenn ich die Schweizer Grenzen überschreiten würde. Verhaftet zu werden und in einem ausländischen Gefängnis zu sitzen, wäre eine Horrorgeschichte gewesen», sagt Darin.

«Ich habe Verwandte in Österreich, die verstorben sind, und ich wäre gerne bei den Beerdigungen dabei gewesen», sagt er. «Das kam aber nicht in Frage, weil man nicht weiss, welches Risiko man dabei eingeht.»

Das Libor-System wurde inzwischen reformiert und in der Schweiz sogar durch eine neue Methode zur Ermittlung der Interbanken-Zinssätze ersetzt.

Darin hat immer darauf bestanden, dass er nichts Falsches getan habe und die weltweite strafrechtliche Verfolgung politisch motiviert gewesen sei. Er weigerte sich, sich seinen Anklägern vor einem US-Gericht zu stellen, nachdem er zum ersten Mal in den Fernsehnachrichten von der Anklage gegen ihn erfahren hatte.

«Ich dachte nicht, dass ich die Mittel hätte, mich zu verteidigen. Es hätte mich wahrscheinlich Millionen an Anwaltskosten gekostet, einen fairen Prozess gegen eine Regierung zu führen, die buchstäblich über unbegrenzte Mittel verfügt», sagt er.

Und da er auf der Flucht war, hätte er seinen Fall nur vor Gericht bringen können, indem er der Aufforderung eines Richters nachgekommen wäre, sich den US-Behörden zu stellen.

Reise nach Washington

«Mir wurde geraten, nicht in die USA zu reisen, es sei denn, man würde mir Immunität vor Strafverfolgung anbieten. Das wurde mir nicht angeboten, also bin ich nicht hingereist», sagt er.

«Bis zum heutigen Tag frage ich mich, ob die Dinge anders gelaufen wären, wenn ich hingeflogen wäre. Eine Reihe von Leuten, die hingegangen sind und die in der Libor-Geschichte eine ähnliche Rolle wie ich gespielt haben, wurden nicht angeklagt.»

Ein Versuch, seine Anklage durch den Obersten Gerichtshof der USA aufzuheben, wurde im Jahr 2016 abgelehnt.

Nachdem er die UBS verlassen hatte, erschwerte seine Situation als Flüchtiger seine Bemühungen, bei einer anderen Bank eine neue Stelle zu finden. «Banken sagten mir, dass ich für bestimmte Positionen nicht eingestellt werden könnte. Das hat mich Chancen gekostet.»

In den letzten sechs Jahren hat Darin Banken und andere Finanzunternehmen zu neuen Formen des digitalen Finanzwesens mit Blockchain beraten.

Nun, da die Anklage aufgehoben wurde, kann Darin die Schweiz verlassen, ohne eine Verhaftung befürchten zu müssen. Sein erstes Reiseziel wird Washington DC sein. Um mit seinem Anwalt Bruce Baird in den USA zu feiern.

Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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