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«Seine Aufführungen kopierten nicht die Realität, sie erfanden diese neu»

Luc Bondy bei der Verleihung des Nestroy-Theaterpreises 2013 in Wien. Keystone

Seit langem krank, hatte sich Luc Bondy tapfer gegen den Tod gewehrt. Nun ist der Schweizer Regisseur, Direktor des Odéon-Theaters in Paris, am 28. November im Alter von 67 Jahren gestorben. Hommage an eine Schlüsselfigur des europäischen Theaters.

Luc Bondy hatte schon lange mit Krankheit gelebt und gelernt, dem Tod mit Humor ins Auge zu sehen. Er hatte das Scherzen sogar so weit getrieben, sich ein Interview mit sich selbst vorzustellen, das in «La fête de l’instant» (Das Fest des Augenblicks) veröffentlicht wurde. Das Buch enthält neben eigenen Texten Gespräche Bondys mit dem französischen Essayisten und Dramaturgen Georges Banu sowie weitere Essays und wertvolle Zeugnisse über Bondys Arbeit als Regisseur.

In dem Interview, in dem man sich Luc Bondy im Hotel Waldhaus in Sils Maria, im Graubünden, vorstellen muss, stellt er sich folgende Frage: «Was fürchtest Du im nächsten Jahr am meisten?» Und antwortet: «Das, vor dem ich nicht mehr jeden Tag Angst habe: den Tod.»

Das war in den 1990er-Jahren. Viel Zeit ist seither vergangen. Luc Bondy wehrte sich gegen die Krankheit, und Hilfe erhielt er dabei vom «Fest», das er auf den Theater- und Opernbühnen beharrlich immer wieder feierte, zwei Kunstwelten, in denen er ein unbestrittener Meister war, gefragt an den renommiertesten Bühnen Europas.

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«Ich habe Angst vor dem Altern»

Luc Bondy starb am 28. November in Zürich, der Stadt, in der er 67 Jahre früher das Licht der Welt erblickt hatte. Er war nicht alt, und in einem gewissen Sinne war das wohl besser für diesen Mann, der eingestanden hatte: «Ich habe auch Angst vor dem Altern.» Doch was ist nun tun, wo ihn der Tod ereilt hat? Den Vorhang senken? Nein, im Gegenteil, der Vorhang soll sich heben, so hoch wie möglich, Bühne frei!

Platz nun für Erinnerungen, die jeweils etwas wie Blitze auftauchen, wenn man vom Tod einer Person hört, die man gekannt hatte. Ich habe Luc Bondy getroffen bei einem Interview im Januar 1993, im Théâtre de Vidy in Lausanne. Als wär es gestern gewesen. Noch höre ich ihn sagen: «Entschuldigen Sie mich, ich muss jetzt gehen, ich muss essen, es ist wegen dem Insulin.» Eine Viertelstunde später sahen wir ihn wieder auf der Bühne. Bei Proben für «John Gabriel Borkman» von Henrik Ibsen, das wenige Tage später zur Aufführung kommen würde.

Kulturszene trauert um Bondy

Auch Frankreichs Präsident François Hollande verneigte sich vor dem Schweizer.

Hollande würdigte Bondy als grossen europäischen Künstler und als Kämpfer bis zuletzt: «Obwohl ihn Krankheit seit der Jugend begleitete, liess er nicht nach, arbeitete unermüdlich und litt, aber schuf unverdrossen weiter.»

«Mit ihm verliert die Theaterwelt einen Avantgardisten und künstlerischen Freigeist», sagte Österreichs Kulturminister Josef Ostermayer in Wien, wo Bondy jahrelang die Wiener Festwochen geleitet hatte.

Frankreichs Kulturministerin Fleur Pellerin zeigte sich auf Twitter bestürzt über Bondys Tod. Er sei einer «der grössten europäischen Regisseure» gewesen.

«Die Theaterstadt Berlin trauert um Luc Bondy», liess der Regierende Bürgermeister Michael Müller mitteilen. «Sie hat ihm viel zu verdanken.»

Stärke und Zerbrechlichkeit

So war Luc Bondy, eine Verbindung aus Stärke und Zerbrechlichkeit. Zwei Komponenten, die man auch bei den Charakteren fand, die er auf die Bühne brachte: Borkman, der mit Pleite konfrontierte reiche Bankier, aber auch die vier himmlischen Clochards aus Becketts «Warten auf Godot», oder Hippolytos und Aricia aus Racines Stück «Phädra», das Liebespaar, dem das Leben übel mitspielt. Drei Stücke, die im Théâtre de Vidy-Lausanne zu sehen waren, unter vielen weiteren, die Bondy auf die Bühnen brachte, in der Schweiz, in Frankreich, Deutschland, Belgien, Österreich…

«Luc war der Regisseur, der es am besten verstand, die Subtilität der Psychologie der Charaktere zu erfassen. Er wusste, wie die geheimen Beziehungen zwischen Menschen aufzudecken sind», erklärt Georges Banu am Telefon kurz nach dem Tode Bondys. Der französische Essayist, der den Zürcher während langer Zeit bei seiner Arbeit begleitete, versteckt seinen Schmerz nicht.  

«Mit ihm verschwindet eine Schlüsselfigur der europäischen Bühnenwelt. Seine Aufführungen kopierten nicht die Realität, sie erfanden sie neu, mit einer unglaublichen poetischen Kraft», sagt Banu. Eine «Kraft», die auch genährt wurde von zwei Kulturen, der deutschen und der französischen. «In den deutschsprachigen Ländern brachte Luc den französischen Geist mit ein, in Frankreich die Kunst, die Schauspieler zu führen, die typisch ist für deutsche Regisseure.» So habe Bondy immer die jeweilige Kultur des Gastlandes bereichert, in dem er arbeitete.

Zweiköpfiger Janus

Luc war der Sohn von François Bondy, einem intellektuellen Juden, der aus Zentraleuropa stammte und sich in Zürich niederliess, um den Nazis zu entkommen. Dank seinem Vater wird Luc in die französische Welt der Kultur und Kunst eingeführt. In den 1960er-Jahren reist er nach Paris, wo er Theaterkurse bei Jacques Lecoq nimmt. Seine Liebe für die Welt der Bühne geht auch auf seinen Grossvater Fritz Bondy zurück, der in Prag ein Theater geleitet hatte.

Georges Banu bezeichnet Luc Bondy heute als «zweiköpfigen Janus»: «Er hatte zwei Gesichter, und beide intervenierten gleichzeitig bei seiner Arbeit.» Diese beiden Seiten hätten es Bondy ermöglicht, eine glänzende internationale Karriere zu verfolgen.

Dabei hatte er unter anderem für die Schaubühne in Berlin gearbeitet und war in den 1980er-Jahren eine ihrer Galionsfiguren. Von 2003 bis 2013 leitete Bondy die Wiener Festwochen. Seit 2012 war er Direktor des nicht weniger berühmten Théâtre de l’Odéon in Paris, das manchmal auch Théâtre de l’Europe genannt wird. Ein Zeichen des Schicksals für diesen Künstler, der sich nie als Schweizer, als Franzose oder Deutscher sah, sondern sich immer als Europäer betrachtete.

Luc Bondy

Theater- und Opernregisseur, geboren 1948 in Zürich.

Seine Kindheit verbrachte er in Frankreich.

In den 1960er-Jahren besuchte er die Pantomime-Schule vonJacques Lecoq in Paris. Seine ersten Berufserfahrungen machte er am internationalen Théâtre universitaire, ebenfalls in Paris.

1969 begann Bondys Zusammenarbeit mit grossen deutschen Theatern, darunter das Thalia in Hamburg und die Schaubühne in Berlin.

1984 begann sich Bondys Karriere auch in Frankreich zu entfalten, als er von Patrice Chéreau eingeladen wurde, «Das weite Land» (Terre étrangère) von Arthur Schnitzler zu inszenieren, ein Stück, für das er den deutschen Kritikerpreis erhielt.

Zu seinen weiteren berühmten Inszenierungen gehörten unter anderem:  «Don Giovanni», «Cosi fan tutte», «Ein Wintermärchen», «Die Zeit und das Zimmer», «Die Stühle», «Iwanow»…

Seine Lieblingsautoren: Arthur Schnitzler und Botho Strauss. Er inszenierte aber auch viele Stücke von Tschechow, Shakespeare und Pinter.

Seine Lieblingsschauspieler: Bruno Ganz und Michel Piccoli.

Für das Odéon-Theater in Paris arbeitete er an einer Inszenierung von «Othello», die im Januar 2016 auf die Bühne hätte kommen sollen. Nach seinem Tod wurden die Aufführungen nun jedoch auf die Saison 2016-2017 verschoben. Statt «Othello» wird im Odéon «Tartuffe» von Molière zu sehen sein, das Bondy 2014 inszeniert hatte.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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