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Magnitski-Affäre: Schweizer Gericht bestätigt Geldrückgabe nach Russland

Bundesstrafgericht
Das Bundesstrafgericht in Bellinzona hat den grössten Teil der im Fall Magnitski beschlagnahmten Millionen freigegeben. Keystone

Die Schweiz wird das beschlagnahmte Geld an drei russische Staatsbürger zurückgeben, die unter Verdacht stehen, an einem der weltweit bekanntesten Steuerbetrugsfälle beteiligt gewesen zu sein. Das hat ein Schweizer Gericht vor kurzem entschieden. Der Entscheid fällt mitten in die Spannungen zwischen dem Westen und Russland. Das Ansehen der Schweizer Justiz auf internationaler Ebene könnte daher Schaden nehmen.

«Anscheinend ist das Schweizer Justizsystem unfähig, Geldwäsche zu bekämpfen», meint der britische Finanzier Bill Browder, Mitbegründer und CEO der Fondsgesellschaft Hermitage Capital Management mit Sitz in London.

Er bezieht sich auf die jüngste Entscheidung des Bundesstrafgerichts in Bellinzona, die Rückgabe von 14 Millionen Franken an drei russische Staatsbürger zu erlauben, die in den USA und anderen westlichen Ländern sanktioniert sind: Vladlen Stepanov, Denis Katsyv und Dmitry Klyuev.

Die drei Russen sind Protagonisten der sogenannten Magnitski-Affäre. Diese verdankt ihren Namen dem russischen Anwalt Sergei Magnitski, der im Jahr 2009 unter ungeklärten Umständen in einem Gefängnis in Moskau starb, nachdem er einen gigantischen Steuerbetrugsfall aufgedeckt hatte.

Der Fonds Hermitage geht davon, ein Opfer in diesem Betrugsfall zu sein, der eine strafrechtliche Untersuchung in der Schweiz wegen Verdachts auf Geldwäscherei ausgelöst hat. Denn ein Teil der veruntreuten Gelder soll in der Schweiz gelandet sein.

«Wir hatten alle Beweise zusammengetragen, dass wir durch diesen Betrug geschädigt worden sind, aber die Schweizer Behörden haben dennoch einen Weg gefunden, das Geld zurückzugeben», klagt Bill Browder.

Im Interview mit swissinfo.ch nimmt er kein Blatt vor den Mund, wenn er die Entscheidung des Gerichts kommentiert, die Rückgabe der beschlagnahmten Gelder an die drei Russen zu erlauben. Er bezeichnet diese Personen als «russische Kriminelle».

Bill Browder
Bill Browder leitet den Fonds Hermitage Capital Management. AFP

Die Affäre begann 2007 mit der Durchsuchung der Moskauer Büros des Hermitage-Fonds durch die russische Polizei. Damals handelte es sich um einen der grössten ausländischen Investmentfonds in Russland.

Kurz darauf stellte eine Gruppe russischer Bürger – die das US-Justizministerium mittlerweile eine «kriminelle Organisation» nennt – mit gefälschten Dokumenten einen Antrag beim russischen Finanzministerium auf Rückerstattung von Steuern, welche die drei russischen Tochtergesellschaften von Hermitage fälschlicherweise bezahlt hätten.

Steuerbeamte fädelten dann tatsächlich unrechtmässige Rückzahlungen in Höhe von rund 230 Millionen Dollar ein. Das Geld floss über ein dichtes Netz von Scheinfirmen und Nummernkonten nach halb Europa, inklusive Schweiz. Es wurde auf diese Weise gewaschen, so der Verdacht.

18 Millionen Franken eingefroren

Im März 2011 eröffnete die Bundesanwaltschaft (BA) aufgrund einer Anzeige von Hermitage ein Strafverfahren gegen unbekannt; mit Verdacht auf Geldwäschereihandlungen in der Schweiz zwischen 2008 und 2010 nach dem in Russland begangenen Betrug an den russischen Steuerbehörden.

Rund 50 verdächtige Konten wurden identifiziert und die BA fror mehr als 18 Millionen Franken auf Schweizer Konten ein. Fast die Hälfte des Geldes gehört Vladlen Stepanov, einem Geschäftsmann und vor allem Ehemann von Olga Stepanova, der leitenden Moskauer Steuerbeamtin, die mit ihrer Unterschrift die illegalen Transfers genehmigt haben soll.

Das andere beschlagnahmte Geld gehört zwei weiteren Protagonisten der Affäre: Dmitri Klyuev und Denis Katsyv. Klyuev ist ehemalige Eigentümer der russischen Bank, über die der Grossteil der Geldtransfers abgewickelt wurde.

Er gilt als einer der Drahtzieher der gesamten Operation. Kytsyv ist ein Sohn des ehemaligen Vizepräsidenten der Moskauer Regionalregierung und Eigentümer der zypriotischen Prevezon Holdings, einer Unternehmung, die in den USA im Rahmen eines Vergleichs eine Geldbusse in Höhe von 6 Millionen US-DollarExterner Link als Empfänger der Betrugsgelder beglichen hat.

In New York verteidigte Natalya Veselnitskaya die Interessen der Prevezon Holdings. Es handelt sich um eine Anwältin, die 2016 für Schlagzeilen sorgte, weil sie sich mit dem Sohn des damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump traf, um Bill Browder im Namen des Kremls zu diskreditieren.

Gegen Denis Katsyv wurden keine Sanktionen verhängt, während sowohl das Ehepaar Stepanov als auch Dmitry Klyuev in den USAExterner Link, im Vereinigten KönigreichExterner Link, in Kanada und Australien wegen ihrer Beteiligung am Steuerbetrug mit Sanktionen belegt sind.

Einziehung von über 4 Millionen

Zurück in die Schweiz: Am 21. Juli 2021 stellte die zuständige Bundesstaatsanwältin Diane Kohler das Strafverfahren nach 10-jähriger Ermittlung ein. In einer PressemitteilungExterner Link wird die Einstellungsverfügung begründet, «weil kein erhärteter Tatverdacht vorliegt».

Zugleich wird betont, «dass ein Zusammenhang zwischen einem Teil der in der Schweiz beschlagnahmten Vermögenswerte und der in Russland begangenen Straftat nachgewiesen werden konnte.»

Bei diesem «Teil» handelt es sich um etwa vier der acht Millionen, die von der Offshore-Firma Faradine Systems Ltd auf ein Konto der Credit Suisse eingezahlt wurden, eine von Vladlen Stepanov kontrollierte Firma. Die BA ordnete daher die Einziehung von rund 4 Millionen Schweizer Franken an.

Die Einstellungsverfügung der Bundesanwaltschaft, die swissinfo.ch vollständig einsehen konnte, zeichnet den verschlungenen Weg des Geldes nach, das ursprünglich von den drei Niederlassungen der Hermitage stammt: Von Russland über Lettland gelangte das Geld nach Zürich, wo es mit anderen Fondsgeldern vermischt wurde und über vier verschiedenen Konten bei der Credit Suisse lief.

Zusätzlich zu diesen vier Millionen werden weniger als 100’000 Franken eingezogen, welche von den UBS-Konten der Prevezon Holdings und zwei anderen Konten von Denis Katsyv stammen.

Kein Schuldiger

Die Schweizer Ermittlungen zeigten mehrere typische Geldwäschereipraktiken auf: Die Verwendung von häufigen Transaktionen über unterschiedliche Konten sowie die Verflechtungen von Geldern über Scheinfirmen in zahlreichen Ländern.

Es handelt sich für die BA um undurchsichtige Praktiken, «die dazu dienten, die Aufdeckung des kriminellen Ursprungs dieser Gelder zu behindern». Für dieselbe Bundesanwaltschaft ergibt sich jedoch, wie erwähnt, «dass kein erhärteter Tatverdacht vorliegt, der eine Anklage in der Schweiz rechtfertigen würde».

Nur gegen eine einzige Person hegte die Bundesanwaltschaft einen «konkreten Verdacht» auf Geldwäsche. Und genau diese Person ist auf mysteriöse Weise verstorben. Es handelt sich um den Finanzier Alexander Perepilichnyy, der an dem Betrug beteiligt war und selbst mehrere Millionen auf die von Stepanov in Zürich eröffneten Konten überwiesen hatte.

Perepilichnyy hatte Reue gezeigt, die Seiten gewechselt und war nach England geflüchtet. Dort war er zum Informanten von Bill Browder geworden. Mehr noch: Er lieferte Browder die Dokumente, die Grundlage seiner Strafanzeige in der Schweiz bildeten.

Im November 2012, kurz vor einer von der Staatsanwaltschaft anberaumten Gegenüberstellung mit Stepanov, starb Perepilichnyy beim Joggen in einem Londoner Park. Zwei Jahre nach seinem Tod ordnete Perepilichnyys Lebensversicherungsgesellschaft Tests an, bei denen eine Gelsemium-Vergiftung nachgewiesen wurde. Die Einnahme dieses Pflanzengifts kann einen Herzstillstand verursachen.

Freigabe von 14 Millionen Dollar

Nach zehn Jahren Ermittlungen konnten die Schweizer Bundesanwaltschaft trotz der umfangreichen Untersuchungen gemäss eigenen Angaben nicht nachweisen, «dass die Gelder, die Gegenstand des schweizerischen Verfahrens bilden, von einer Straftat herrühren.»

Oder anders gesagt: Der Verdacht der Geldwäscherei von in Russland veruntreuten Geldern, die auf Bankkonten in der Schweiz umgeleiteten worden sind, liess sich nicht erhärten. Einzig die erwähnten 4 Millionen Franken wurden eingezogen.

grafik zum Fall
swissinfo.ch

Die Bundesanwaltschaft beschloss, die beschlagnahmten Gelder zurückzuerstatten. Stepanov erhält 55 Prozent seines beschlagnahmten Vermögens (5,5 Millionen US-Dollar), Klyuev 100 Prozent (38’000 USD) und Katsyv 99 Prozent (8 Millionen USD). Es handelt sich um einen höchst umstrittenen Entscheid, weil dieser die Frage aufwirft, nach welchen Kriterien die Freigabe der Gelder beurteilt und entschieden wurde.

Generell stellt sich die Frage, was zu tun ist, wenn Betrugsgelder über verschiedene Konten geflossen sind und mit weiteren Geldern ungewisser Herkunft vermischt wurden.

Auf internationaler Ebene besagt die 2006 in der Schweiz in Kraft getretene Palermo-KonventionExterner Link gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität: «Sind Erträge aus Straftaten mit aus rechtmässigen Quellen erworbenen Vermögensgegenständen vermischt worden, so können diese Vermögensgegenstände unbeschadet der Befugnisse in Bezug auf Einfrieren oder Beschlagnahme bis zur Höhe des Schätzwerts der Erträge, die vermischt worden sind, eingezogen werden.» (Art.12 Abs.4)

Die BA entschied sich jedoch für die so genannte «proportionale Berechnungsmethode». Es handelt sich um eine Methode, welche für die Staatsanwaltschaft «den Vorteil hat, keine der beiden Parteien zu begünstigen».

Eine Methode, die von Fachleuten wie dem Basler Strafrechtler und Antikorruptionsexperten Mark Pieth kritisiert wird: «Diese Methode begünstigt tendenziell Geldwäscher, die über ihre Strukturen illegale Erlöse durch Transkationen dutzendfach verwässern.»

Hermitage als Privatklägerin ausgeschlossen

Mit der Einstellungsverfügung vom Juli 2021 beschloss die Bundesanwaltschaft auch, Hermitage nicht länger als Privatklägerin in diesem Strafverfahren zuzulassen, da sie den britischen Fonds nicht als geschädigte Partei im russischen Steuerbetrugsfall dingfest machen konnte.

Während der langjährigen Schweizer Ermittlungen hatte sich Browder nicht mit Kritik an der Arbeit der Schweizer Staatsanwälte zurückgehalten. Er bezichtigte die helvetische Justiz, zu langsam und zu zögerlich vorzugehen. Er beschuldigte sie sogar, von den russischen Behörden korrumpiert worden zu sein.

Der Korruptionsvorwurf betrifft insbesondere einen Bundespolizisten, einen Vertrauensmann der Bundesanwaltschaft für Ermittlungen im Zusammenhang mit Russland, der entlassen und später verurteiltExterner Link wurde, weil er die Einladung des stellvertretenden russischen Generalstaatsanwalts zu einer Bärenjagd in Sibirien angenommen hatte.

Wie sich im Prozess gegen diesen Mann vor Bundesstrafgericht herausstellte, diskutierte er während seines Aufenthalts in Russland über den Fall Magnitski und darüber, wie sich die Schweizer Ermittlungen versanden liessen. Insbesondere diskreditierte er die Arbeit des ehemaligen Nationalrats Andreas Gross, der einen Bericht zum Thema für den Europarat verfasst hatte.

Und nicht nur das: Der Ermittler traf auch Natalya Veselnitskaya, die Anwältin von Denis Katsyv. Für Bill Browder war das Agieren des Bundespolizisten entscheidend für den negativen Ausgang der Ermittlungen. Die Bundesanwaltschaft lehnte es jedoch ab, ihn als Zeugen einzuberufen, wie von Hermitage beantragt. Die BA bezeichnete seine Rolle in diesem Fall als «marginal».

Der Ausschluss von Hermitage als Privatklägerin vom Juli 2021 hatte zur Folge, dass diese sich nicht gegen die Rückgabe des beschlagnahmten Geldes wehren kann. Bill Browder versuchte, diesen Ausschlussentscheid anzufechten, doch im November 2022 wies die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts seine Einsprache zurück.

Das UrteilExterner Link wurde im Januar 2023 publiziert. Der Entscheid der Beschwerdekammer bestätigt zwei entscheidende Argumente der Bundesanwaltschaft. Zum einen die Tatsache, dass das einzige Opfer des Betrugs in Russland das russische Finanzministerium ist.

Anders als in anderen Ländern gilt Hermitage in der Schweiz nicht als geschädigte Partei und hat daher kein Recht, die Entscheidungen anzufechten. Zweitens hält das Bundesstrafgericht daran fest, dass es sich bei den Betrügern nicht um eine kriminelle Organisation handelt. Diese Auffassung wird auch von den russischen Behörden geteilt.

Nicht ohne Grund: Denn so kann eine Anwendung von Artikel 72 des Strafgesetzbuchs ausgeschlossen werden, der die Beschlagnahmung aller Vermögenswerte einer kriminellen Organisation erlaubt.

Druck auf die Schweiz

Der jüngste Entscheid der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts erhöht den Druck auf die Schweiz in einem heiklen internationalen Kontext, wie er momentan durch den Krieg in der Ukraine geprägt ist.

Der Senator von Mississippi, Roger Wicker, hat sich schriftlich an den US-Aussenminister Anthony Blinken gewandt und ihn gebeten, zu intervenieren, damit die Eidgenossenschaft das Geld nicht an Russland zurückgibt.

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«Mit ihrem Verhalten isolieren sich die Schweizer Behörden, während die meisten anderen westlichen Länder gegen schmutziges Geld aus Russland vorgehen», sagt Bill Browder gegenüber swissinfo.ch.

Der Financier hat Beschwerde beim Bundesgericht gegen den Entscheid der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts eingereicht. So will er den internationalen Druck auf die Eidgenossenschaft erhöhen.

«Wir werden die Angelegenheit an den US-Kongress, die EU, die Regierungen Grossbritanniens und Kanadas herantragen, mit dem konkreten Ziel, andere Regierungen dazu zu bewegen, die Schweiz zu einem Land herabzustufen, das Geldwäsche erlaubt. Das Einzige, was in der Schweiz zu funktionieren scheint, ist Druck von aussen.»

Browder fährt heftiges Geschütz auf, ist selber jedoch alles andere als unumstritten. So zweifelte etwa das deutsche Nachrichtenmagazin Der SpiegelExterner Link seine Glaubwürdigkeit an.

Was ist also das Ziel des Finanziers? Er will die Schweiz auf die schwarze Liste der Financial Action Task Force (FATF)Externer Link setzen lassen, als ein Land, das Geldwäsche fördert. Zudem will er, dass die internationalen Verträge über die Zusammenarbeit in Rechtsfragen mit der Eidgenossenschaft revidiert werden.

Im Interview mit swissinfo.ch hat Bill Browder über seine Motivation gesprochen:

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Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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