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Verzicht auf Baumwolle aus Xinjiang – leichter gesagt als getan

Chinesische Arbeiten in einem Baumwollen-Feld
China ist der grösste Lieferant von Baumwolle weltweit. Alamy Stock Photo/Credit: Imaginechina Limited

Chinesische Baumwolle wird mutmasslich zu einem grossen Teil unter Zwang gepflückt, vor allem durch Uigur:innen. Zwar wollen viele westliche Textilfirmen explizit auf Baumwolle aus Zwangsarbeit verzichten, doch komplexe Lieferketten erschweren die Kontrolle. Das zeigt das Beispiel der Schweizer Outdoor-Marke Mammut.

Die Firma sieht sich selbst als Vorreiterin bei der Nachhaltigkeit: «We Care» heisst das Motto von Mammut. Sie habe keine Produktion in der chinesischen Provinz Xinjiang und verarbeite keine Baumwolle, die aus dieser Region stamme, schreibt die Schweizer Outdoor-TraditionsfirmaExterner Link im Mai 2022.

Wegzuschauen wird für Unternehmen immer schwieriger, während sich die Hinweise auf Zwangsarbeit in Xinjiang verdichten und auch die Politik nicht mehr tatenlos bleibt. Die Uno vermutetExterner Link Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die USA haben ein ImportverbotExterner Link eingeführt, die EU-Kommission strebt ein ähnliches InstrumentExterner Link an. In der Schweiz zieht das Parlament in ErwägungExterner Link, ein eben erst in Kraft getretenes Gesetz auf Zwangsarbeit auszuweiten.

Auch die Kundschaft interessiert sich zunehmend für die Lieferketten. Für Textilfirmen ist das Thema daher ein heisses Eisen: China ist der grösste Baumwollproduzent weltweit, und fast alleExterner Link Felder befinden sich in der Provinz mit den berüchtigten InternierungslagernExterner Link. Es gilt als erwiesenExterner Link, dass Uigur:innen zur Arbeit in der chinesischen TextilindustrieExterner Link gezwungen werden.

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Keine Güter aus solchen Unrechtsbetrieben einzukaufen, ist kompliziert, wie das Beispiel Mammut zeigt: Die Handelswege sind lang und verworren, die Herkunft der Fasern undurchsichtig. «Baumwolle von Xinjiang auszusortieren, ist extrem schwierig»,  sagt Dorothée Baumann-Pauly, Direktorin des Genfer Zentrums für Wirtschaft und Menschenrechte. «Es ist überraschend, wie komplex die Lieferkette von Baumwolle ist. Wichtige Verarbeitungsstandorte wie Bangladesch haben selber gar keine Baumwollproduktion und müssen alles importieren. Rohe Baumwolle wird in Dubai in Ballen gehandelt. Ware verschiedenen Ursprungs wird vermischt.»

Schon 2019 beschriebenExterner Link Forscherinnen aus Washington, wie Fasern aus Xinjiang in die Lieferketten westlicher Firmen gelangen können, auch wenn keine direkte Beziehung zu Fabriken in der Region besteht: Sie würden zu Garnen, Textilien und fertigen Kleidungsstücken verarbeitet und dann aus anderen Provinzen Chinas verschifft. Das Australian Strategic Policy InstituteExterner Link brachte 2020 Dutzende ausländische Unternehmen mit möglicher uigurischer Zwangsarbeit in Verbindung, was zu einer KlageExterner Link gegen vier Modekonzerne in Frankreich führte. Eine StudieExterner Link der britischen Sheffield Hallam University fand letztes Jahr Fabriken in Vietnam und anderen Drittländern, die mit chinesischer Baumwolle Zwischenprodukte herstellten und damit über 100 internationale Marken belieferten.

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Im Mai entdeckten Forschende aus DeutschlandExterner Link Spuren von Baumwolle aus Xinjiang in Kleidungsstücken von Adidas, Puma und Hugo Boss. Auch jene Firmen hatten stets versichertExterner Link, keine Beziehungen zur chinesischen Problemregion zu haben. 

Wie kann also Mammut so sicher sein, dass die eigene Lieferkette sauber ist? Andreas Buchberger, Head of Buying bei der Mammut Sports Group, ist gerade auf Geschäftsreise nach Vietnam, als ihn die Nachfrage erreicht. «Die Herkunft der Baumwolle wird über Zertifikate sichergestellt,» schreibt er. «Daher können wir ausschliessen, dass Baumwolle aus der Region Xinjiang kommt.»

Baumwolle zertifizieren

Mammut setzt auf den Global Organic Textiles Standard (GOTS)Externer Link. Das Label gibt anExterner Link, alle Schritte der Lieferkette unabhängig und vor Ort zu prüfen. Ein Laufzettel begleitet die Baumwolle vom ersten Verarbeitungsschritt bis zum fertigen Produkt.

Noch weiter geht die Schweizer Firma Remei, von der Mammut ebenfalls Baumwollprodukte bezieht. Diese Textilien lassen sich per QR-Code bis zu Kleinbauern in Indien und Tansania zurückverfolgenExterner Link. Die Endabnehmer stehen im Kontakt mit den Plantagen, stellen Saatgut zur Verfügung und garantieren die Abnahme der Ernte.

Der Anteil zertifizierter Baumwolle liege aktuell bei rund 80 Prozent, gibt Mammut an.

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Allerdings erscheinen die chinesischen Zulieferer der Firma nicht auf der Liste der Fabriken, die von Inspektoren von GOTS überprüft wurden. «Sollte ein Hersteller keine nach GOTS zertifizierte Baumwolle verwenden, stellen wir die Herkunft über das Ursprungszeugnis sicher,» erklärt Buchberger dazu. In diesem Fall bestimme seine Firma, wo die eigenen Zulieferer einkauften: «Mammut legt fest, aus welchen Regionen beziehungsweise von welchen Lieferanten Rohwaren zu beziehen sind.»

Im Jahr 2020 kaufte Mammut knapp 50 Tonnen Baumwolle ein. Diese stamme nicht aus China, gibt die Firma an. Selbst für die Baseball Caps, die in China genäht würden, komme die Baumwolle aus Australien. Ohnehin sei Baumwolle für Mammut ein marginaler Rohstoff und mache nur etwa 6 Prozent aller Textileinkäufe der Gruppe aus.

Produziert wird jedoch schwerpunktmässig in Asien. Die Mammut Sports Group publiziert die Liste ihrer direkten ZuliefererExterner Link auf ihrer Internetseite. Darunter sind auch die Namen der Zulieferer aus China, das nach Vietnam die zweitgrösste Menge an Textilien an Mammut liefert.

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Die chinesischen Lieferanten befinden sich allesamt nicht in der Region Xinjiang. Dennoch stellt sich hier die nächste Herausforderung im Zusammenhang mit möglicher Zwangsarbeit.

Arbeitsbedingungen kontrollieren

Im August veröffentlichte die Uno gegen massiven Widerstand ChinasExterner Link ihren Bericht über die Menschenrechtslage in Xinjiang. Im Kapitel zu Arbeitsfragen kommen zwei Risiken zur Sprache: Einweisung in die «Ausbildungszentren» — die berüchtigten Lager — und Arbeitseinsätze nach «Ausbildungsabschluss» in anderen Regionen Chinas. Dabei geht es um Programme, um «überschüssige» Arbeiterinnen und Arbeiter aus armen, ländlichen Gebieten an Orte zu transferieren, wo sie gebraucht werden. Es gebe Hinweise darauf, dass dabei verschiedene Zwangsmethoden zum Einsatz kämen, schreibt die Uno.

Baumann-Pauly vom Genfer Zentrum für Wirtschaft und Menschenrechte sieht eine grosse Schwierigkeit: «Selbst wenn eine Firma ausschliessen kann, dass Baumwolle oder ein Kleidungsstück aus Xinjiang kommt, gibt es immer noch die Möglichkeit, dass uigurische Zwangsarbeiter:innen an der Produktion beteiligt waren.»  Die Uno empfiehlt Unternehmen, ihre Risiken noch sorgfältiger zu prüfen.

Mammut setzt für diese Sorgfaltsprüfung auf die Fair Wear Foundation — einen Zusammenschluss von Unternehmen, Textilverbänden, Gewerkschaften und NGOs, die sogar von globalisierungskritischen Akteuren wie Public Eye gute NotenExterner Link bekommt. Arbeitsbedingungen in den Fabriken werden kontrolliert, Arbeiterinnen können Beschwerden einreichen. Es ist öffentlich einsehbar, was bemängelt wurde und wie die Firma darauf reagierte.

Über die Hälfte der bisherigen Beschwerden an Mammut stammen aus China. Das dominante Thema waren Überstunden. Obwohl Mammut die Vorlaufzeiten von Bestellungen bereits deutlich verlängert habe und die Fabriken früh in die Planung einbeziehe, bleibe exzessive Überzeit ein Problem. Dies war mit ein Grund dafür, dass sich die Firma entschied, die Produktion zunehmend nach Vietnam zu verschieben, wie aus einem Bericht der Fair Wear FoundationExterner Link vom September hervorgeht. 

Grafik der Lieferkette von Baumwolle
Kai Reusser / swissinfo.ch

Risiken im Bereich der Zwangsarbeit fand Mammut allerdings nicht in China, sondern in Litauen und Taiwan. Gastarbeiter würden dort hohe Gebühren an Vermittlungsagenturen zahlen, was gegen internationale Regeln verstosse, aber «leider in vielen Ländern legal» sei, schreibt die FirmaExterner Link.

Angesichts der eigenen globalen Lieferketten zeigt sich eine gewisse Hilflosigkeit. «In vielen Fällen führt der Weg von rohen Fasern zum fertigen Kleid nun durch unzählige Produktionsstätten und mehrere Kontinente,» schreibt MammutExterner Link . «Das Resultat: Enorm viel Arbeit ist nötig, um die Bedingungen, unter denen ein Produkt fabriziert wird, zu kontrollieren.» Einen Teil der Kosten tragen die Kund:innen, die sich mit speziell gekennzeichneten Produkten das Versprechen von Nachhaltigkeit erwerben können.

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Verglichen mit anderen Outdoor- und SportfirmenExterner Link, die sich von der Fair Wear Foundation prüfen lassen, glänzt Mammut nicht — die Gruppe wird als «gut» eingestuft, erreicht aber nicht den «Leader»-Status. Das Personal halte in den Fabriken Augen und Ohren offenExterner Link und verfolge nach, wo produziert werde. Dennoch kam bei einer Ausfuhrkontrolle 2021 ans Licht, dass eine Firma mitgearbeitet hatte, die Mammut nicht kannte.

Die Recherche wurde unterstützt durch ein Stipendium des Reporter:innen-Forums SchweizExterner Link.

Editiert von Mark Livingston

Zahlreiche Länder arbeiten daran, Kleidung, die aus Zwangsarbeit stammen könnte, von ihren Märkten zu verbannen. Einen Überblick über die Massnahmen finden Sie hier:

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