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Marc Walder: «Digitale Kompetenzen sind das Stiefkind der Bildung»

Thomas Buchwalder

In den Bereichen Bildung oder E-Government ist in der Schweiz noch einiges zu tun, sagt Marc Walder, Chef des Medienkonzerns Ringier und Gründer von digitalswitzerland, einer Vereinigung, die die Schweiz zur weltweiten Marktführerin für digitale Innovation machen will. Insgesamt zeigt er sich mit dem Stand der digitalen Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz jedoch zufrieden. 

swissinfo.ch: Wo steht die Schweiz in Bezug auf die digitale Innovation?

Marc Walder: Ich bin Optimist und sehe das Glas halb voll. Gemäss den Länderrankings zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit –  insbesondere jenen des World Economic Forum (WEF) und des International Institute for Management Development (IMD) – stelle ich mit Freude fest, dass die Schweiz durchwegs zu den zehn oder gar fünf besten Nationen der Welt gehört. Und ich vertraue auf die Seriosität dieser Studien, da sie eine Vielzahl an Kriterien berücksichtigen. 

Was sind die wichtigsten Punkte, die verbessert werden müssen?

Zunächst einmal die Schulbildung, insbesondere die Grundschulbildung. Ich sehe das ganz direkt an meiner 13-jährigen Tochter. Das Problem ist, dass digitale Kompetenzen im Unterricht immer noch als Stiefkind behandelt werden. Ich würde mir wünschen, dass Kinder programmieren lernen, da dies ein grundlegendes Fach ist, um die Digitalisierung zu verstehen.

Wie sieht es mit E-Government aus?

E-Government muss verbessert werden, insbesondere die Art und Weise, wie wir mit föderalen oder lokalen Behörden interagieren. Ich erkenne jedoch Fortschritte in diesem Bereich, z.B. mit dem elektronischen Patientendossier oder dem elektronischen Identitätsnachweis (eID).

Gibt es in der Schweiz genügend Investitionen in digitale Start-ups?

Leider ist dies nicht der Fall, da die zahlreichen in der Schweiz ansässigen Family Offices lieber Aktien von etablierte Unternehmen mit Sitz in Shanghai oder Palo Alto kaufen, als in lokale Start-ups zu investieren. Auch institutionelle Investoren –  insbesondere Fonds von Pensionskassen – werden durch die geltenden Gesetze nicht ausreichend ermutigt, in Start-ups zu investieren. 

Marc Walder ist Gründer von digitalswitzerland und Vorsitzender des Steuerungsausschusses des Verbands. Der ehemalige Tennisprofi ist seit 2012 CEO des Medienkonzerns Ringier, der sich unter seiner Führung stark für den digitalen Aufbau engagiert. Marc Walder ist zudem Mitglied des Beratungsgremiums des Bundesrates für die digitale Transformation und hat das Advanced Executive Management Program der Harvard Business School in Boston absolviert. Thomas Buchwalder

Wie schätzen Sie den Digitalisierungsgrad in den wichtigsten Sektoren der Schweizer Wirtschaft ein?

Der Grad der Digitalisierung ist von Sektor zu Sektor sehr unterschiedlich. Die Medien waren einer der ersten Bereiche, in denen eine vollständige Disruption stattgefunden hat. Ich gehe davon aus, dass Schweizer Grosskonzerne wie die TX Group oder Ringier derzeit zu den zehn am weitesten fortgeschrittenen Medien in Europa gehören.

Im Gegensatz dazu kann man nicht behaupten, dass unsere Grossbanken an der Spitze der digitalen Innovation stehen. Was den Einzelhandel betrifft, würde ich sagen, dass die Migros mit ihrer Übernahme von Digitec Galaxus grosses Glück hatte. Die Swisscom ist, so finde ich, ein gutes Vorbild, insbesondere ihr Engagement im Bereich der Start-up-Unternehmen.

Unsere Pharmaindustrie ist führend im Bereich der Datenintelligenz, aber die Digitalisierung könnte die Effizienz der Zulassungsprozesse für die Markteinführung neuer Medikamente steigern. Und zum Schluss noch ein Vorzeigebeispiel: Das Crypto Valley hat sich, nicht zuletzt dank der tatkräftigen Unterstützung von Bundesrat Ueli Maurer, sehr positiv entwickelt.

Kommen wir zurück zur Welt der Medien. Bedeutet die Digitalisierung das Ende der Printmedien, wie wir sie im letzten Jahrhundert kannten?

Ich befürchte das. In der Schweiz sind in den letzten Jahren bereits rund siebzig Titel verschwunden. Zudem ist eine starke Konsolidierung der Redaktionen zu beobachten: So decken beispielsweise die Zürcher oder die Westschweizer Redaktion von TX bereits mehrere Titel dieser Gruppe ab. Da die Werbeeinnahmen immer weiter sinken, ist davon auszugehen, dass sich diese Trends noch verstärken werden.

Ganz zu schweigen von der Konkurrenz durch soziale Netzwerke.

Denn mit den sozialen Netzwerken ist jeder gleichzeitig Produzent und Verteiler von Inhalten. Folglich steigt die Menge an Inhalten sprunghaft an. Mit Anwendungen wie Instagram, Facebook oder TikTok kann ein Fussballstar mehr Zuschauer:innen erreichen als die grössten klassischen Medien, die sich auf diesen Sport spezialisiert haben.

Um sich von den sozialen Netzwerken zu unterscheiden, müssen die traditionellen Medien qualitativ hochwertige, unabhängige Inhalte produzieren.

Darüber hinaus ist ein Teil der von den traditionellen Medien produzierten Inhalte über Suchmaschinen wie Google kostenlos zugänglich.

In diesem Punkt bin ich von der Notwendigkeit überzeugt, die Regeln in der Schweiz nach dem Vorbild europäischer Initiativen zu ändern. Mit anderen Worten: Die traditionellen Medien sollten für ihre Inhalte, die von Unternehmen wie Google weiter verbeitet werden, angemessen entschädigt werden. Glücklicherweise plant der Bundesrat nun eine angemessene Regelung im Rahmen des «Leistungsschutzrechts» zugunsten der journalistischen Medien.

Viele Berufe sind durch die Digitalisierung bedroht. Wie lassen sich weitreichende soziale Probleme vermeiden?

Der Kern des Problems ist, dass Weiterbildungen in der Schweiz nicht ernst genug genommen werden. Jeder von uns sollte etwa zehn Tage pro Jahr für den Erwerb neuer Fähigkeiten aufwenden. Dennoch bin ich nicht besorgt, dass die Digitalisierung zu sozialen Problemen führen könnte. Tatsächlich weisen mehrere Fachberichte, insbesondere die des WEF, darauf hin, dass die Digitalisierung sehr viele neue Arbeitsplätze schafft. Nicht ohne Grund hat Google in Zürich, einem wahren Hub der Digitalisierung, über 5000 Arbeitsplätze geschaffen.

Wie steht es mit den Sicherheitsrisiken für Unternehmen und öffentliche Einrichtungen? Die Swatch Group und die Gemeinde Rolle waren beispielsweise kürzlich Ziele von Cyberangriffen, die in den Medien viel Beachtung fanden.

Dies ist ein wichtiges Thema. Bei Ringier wird dieses Thema in allen unseren Führungssitzungen angesprochen. Und ich möchte nicht verhehlen, dass das Computersystem unserer Druckereien gerade von einem Cyberangriff betroffen war… Ich frage mich sogar, ob dieser Angriff nicht politisch motiviert war. Ganz allgemein befürchte ich, dass die Computersysteme der Bundesbehörden und der Armee nicht ausreichend geschützt sind.

Wie kann man sich konkret gegen solche Cyberangriffe schützen?

Das ist nicht einfach. Grundsätzlich sind drei Dinge erforderlich: spezifische Fähigkeiten, Geld und Innovation. Letzteres ist wichtig, um den Cyberkriminellen immer einen Schritt voraus zu sein.

Sind sich die Bundesbehörden der Herausforderungen der Digitalisierung ausreichend bewusst?

Der Bundesrat ist sich dieser Herausforderungen mittlerweile voll bewusst, und die Führungsrolle von Bundeskanzler Walter Thurnherr ist zu begrüssen. Das Bundesparlament scheint jedoch nicht genügend Dringlichkeit zu haben.

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