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Zug um Zug

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Hinter der Theke bei Cannaflora steht Sandrine. Hier sagen sich alle Du. swissinfo.ch

Man kauft es nun auch an der Tankstelle oder im Lebensmittelladen: Cannabis erlebt in der Schweiz eine noch nie dagewesene Blüte, dank Sorten, die nicht berauschen. Der Boom könnte der Anfang der totalen Liberalisierung sein – die auch den Staat beglücken würde.

Täglich fit mit zwei Gramm Shit. Das steht auf der Werbetafel vor dem Laden Cannaflora in Zürich. Und auf der Hinterseite: Smoke some haze, chill the days. Zu Deutsch: Rauche Gras und geniess die Tage. Kein Zweifel, in diesem schmalen Lädelchen an der Zürcher Ausgangsmeile gibts Cannabis à gogo.

Und nicht nur hier, sondern an immer mehr Orten in der Schweiz. In Tabakläden, Kiosken und grossen Lebensmittelläden wie Coop oder Denner. Man kauft Marihuana vermischt mit Tabak in industriell gerollten Zigaretten, die im Regal neben Marlboro & Co. stehen. Oder auch gleich pur, in verschweissten Tütchen mit grünem Hanfblatt. Spezialisierte Lädelchen wie Cannaflora entstanden in diesem Jahr in jeder Stadt, in fast jedem Dorf. 370 Unternehmen sind bereits im Cannabis-Markt tätig, sei es im Handel oder im Anbau.

Drei Buchstaben sind der Schlüssel zu dieser neuen Schweizer Welle: CBD.

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Im Sommer 2016 lag der Brief auf dem Tisch: Der Schweizer Hanf-Pionier Markus Walther und sein Finanzchef Hans Peter Kunz (r.). swissinfo.ch

Die Luft riecht klebrig süss. Treibhäuser reihen sich aneinander. Durch die milchigen Scheiben zeichnen sich hüfthohe Pflanzen ab. Hier liegt das Zentrum des derzeit grössten Hanfproduzenten der Schweiz – Bio Can. Und hier wurzelt der Cannabis-Boom, der das Land seit gut einem Jahr erfasst hat.

Angefangen hat alles mit einer kleinen Gesetzesänderung.

Die Ernte läuft gerade. Gründer und Pionier Markus Walther hat deswegen wenig Zeit. Tausende Pflanzen werden von den Feldern und aus den Treibhäusern geholt und zentral gesammelt, wo dann die wachteleigrossen Blüten sorgfältig abgeschnitten werden. So bittet Hans Peter Kunz, Leiter Finanzen, zum Kaffee im Haus neben den Treibhäusern. Weiche Ledersofas, Couchtisch und darauf die ganze Produktpalette von Bio Can – vom 10-Gramm-Beutel über Nahrungsergänzungskapseln bis zum Hanföl.

«Angefangen hat alles mit einer kleinen Gesetzesänderung», erzählt Hans Peter Kunz. 2011 entscheidet der Bundesrat, dass Cannabis-Produkte mit einem THC-Gehalt unter einem Prozent nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. THC, also Tetrahydrocannabinol, ist die rauschbewirkende Substanz der Hanfpflanze. Die zweite zentrale Substanz ist Cannabidiol, kurz CBD. CBD ist nicht berauschend, soll aber zahlreiche beruhigende, entzündungshemmende wie entkrampfende Wirkungen zeigen. Die Studien dazu laufen noch.

Markus Walther wittert in dieser leichten Gesetzesänderung seine Chance. Er ist bereits in den 1990er-Jahren und Anfang der 2000er-Jahre im Hanfbusiness tätig. Damals, als sich der Cannabismarkt in der Schweiz zaghaft liberalisiert. In vielen Schweizer Städten werden Hanfläden eröffnet, die berauschendes Cannabis verkaufen – nachlässig getarnt als Badezusatz oder Duftsäckli, die am Ende selbstredend nicht der Raumparfümierung dienen. 

Tabakersatz – die zündende Idee 

Die Schweiz steht kurz davor, das erste Land der Welt zu werden, das den Cannabismarkt per Gesetz regeln will. Drei Jahre lang dominiert die Diskussion die politischen Räte und die Öffentlichkeit. Am Ende lehnt es das Parlament aber doch ab, das Betäubungsmittelgesetz zu revidieren. Die schätzungsweise 200 Hanfläden, die bis dahin entstanden sind, werden ab Juni 2004 polizeilich geschlossen.

Walther lässt sich nicht beeindrucken. So startet das komplexe Bewilligungsverfahren. Vier Jahre lang werden Gesuche gestellt, Abklärungen gemacht.

Debattiert wurde in der Öffentlichkeit aber weiter über das Thema, auch dank einer Volksinitiative zur Liberalisierung von Cannabis. Das Stimmvolk verwarf sie 2008 jedoch mit über 60 Prozent Nein-Stimmen.

Drei Jahre später, 2011, kommt es dann zu diesem erneuten kleinen Liberalisierungsschritt. Markus Walther wendet sich mit seiner Idee des CBD-Tabakersatzes an Anwälte. Doch die winken ab. Ein solcher Stoff müsste vom Bundesamt für Gesundheit bewilligt werden. Und die, so sagen ihm alle, würde nie die Unterschrift unter Cannabis als Raucherware setzen. Walther lässt sich nicht beeindrucken. Er engagiert einen Experten, der sich mit der Zulassung von Pharmazeutika-Produkten auskennt. Und so startet das komplexe Bewilligungsverfahren. Vier Jahre lang werden Gesuche gestellt, Abklärungen gemacht, Abrauch-Analysen vorgenommen.

Im Sommer 2016 liegt dann der Brief auf dem Tisch: Gemäss Tabakverordnung, bestätigt das Bundesamt, handelt es sich um Schnitttabak. Darf also unter ähnlichen Bedingungen wie Tabak verkauft werden. Bio Can legt los –  und schlägt ein. Die erste Ernte beläuft sich noch auf 500 Kilogramm. Heute produziert Bio Can mit ihrer Partnerfirma Blühauf GmbH bereits 5 Tonnen. 10 Gramm CBD-Cannabis von Bio Can kosten 67 Franken. Die gleiche Menge berauschendes Marihuana kostet auf dem Schwarzmarkt 100 Franken. Vertrieben werden die Blüten und Hanfsamen an Händler, aber auch an Grossisten.

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Von Spots beleuchtet in einem weissen Regal; Cannabis-Sorten, mal enthalten sie mehr CBD, mal weniger. swissinfo.ch

Die Bio-Can AG hat mit ihrer Offensive auch anderen Produzenten den Weg bereitet. Seither sind in der ganzen Schweiz diverse Hanf-Start-Ups und Produzenten aus dem Boden geschossen. Beispielsweise die st.gallische Firma Heimat, die gemäss eigenen Angaben die erste Tabak-Hanf-Zigarette der Welt herstellt. Oder die Firma Cannaflora, die seit Juni dieses Jahres den Laden an der Zürcher Langstrasse betreibt.

Der Siff der Kiffershops ist verschwunden

White Widow, Candy Kush, Purple Haze liest man auf durchsichtigen Töpfchen. Von Spots beleuchtet stehen sie in einem weissen Regal. Es sind verschiedene Cannabis-Sorten, mal enthalten sie mehr CBD, mal weniger. Daneben: Hanf-Tee, Hanf-Teigwaren, Hanf-Früchteriegel, Hanf-Sirup, CBD-Öl. Ein Hanfladen, der nichts mehr mit  dem siffigen, übervollen Kiffershop von einst gemein hat. Hinter der Theke bei Cannaflora steht Sandrine, glatter Pferdeschwanz, glitzerndes Piercing in der Unterlippe. Hier sagen sich alle Du.

Eine 50-jährigen Frau mit einem Einkaufstrolley betritt eben den Laden, sie riecht an einem der durchsichtigen Töpfchen. «Ich rauche es, um abends runter zu fahren.» Die Altersspanne der Kundinnen und Kunden im Cannaflor reicht von 18 bis weit über 70 Jahre, sagt Sandrine. Und sie kommen aus allen Ecken der Gesellschaft: Männer und Frauen in Business-Kostümen kaufen hier genauso ein, wie solche in Arbeiterkleidung.

Cannabis statt Sexspielzeug 

Sandrine wendet sich einem weissen Kessel voller Blüten zu, die sie abwägt, verpackt und nach Bern schick – denn dort befindet sich neu eine zweite Filiale von Cannaflora. Weitere sollen folgen. Bis Ende Jahr wird gemäss Geschäftsführer Gregory Nötzli noch ein Shop in Luzern hinzukommen. Später dann auch Filialen in Fribourg, im Wallis und in der Waadt. Neben den Läden und dem Online-Shop hat Nötzli zudem einen weiteren Absatzkanal entwickelt: Er rüstet die Mini-Sexspielzeug-Automaten um, die in vielen Clubs und Bars im Toilettenbereich stehen. Statt Mini-Vibratoren zieht man dann für ein paar Franken eine CBD-Blüte aus dem Automaten. Es sollen an die 200 Automaten in der ganzen Schweiz werden.

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Das junge CBD-Business brummt

Bleibt die Frage, ob sich das Produkt auf dem harten, internationalen Tabakmarkt halten kann. Markus Meury von der Organisation Sucht Schweiz sagt: «Ich denke, das nächste Jahr wird richtungsweisend sein.» Er glaubt, dass die Substanz einerseits wegen ihres «nachweislich entspannenden Effektes» konsumiert wird. Aufwind gebe dem Produkt aber auch das Cannabis-Image. «Viele Konsumenten finden es wohl einfach aufregend zu kiffen, ohne dabei ein grosses Risiko einzugehen.» Das Gefühl einer Grenzüberschreitung – ohne tatsächlich Grenzen zu überschreiten.

Eine Volksinitiative verlangt, dass das Rauchen von berauschendem Marihuana straffrei werden soll.

Es sind Grenzen, die sich gesellschaftlich allmählich verschieben. Seit kurzem wird bereits in den meisten Kantonen ein Entscheid des Bundesgerichts angewendet. Dieser besagt, dass der Besitz von 10 Gramm Marihuana mit erhöhtem THC-Gehalt nicht mehr unter Strafe steht. 10 Gramm sind nicht gerade wenig: Daraus lassen sich gemäss der Organisation Eve&Rave etwa 20 Joints drehen.

Im April hat der Verein «Legalize it» eine Volksinitiative gestartet. Sie verlangt, dass das Rauchen von berauschendem Marihuana in der SchweizExterner Link straffrei werden soll. Die Signale dafür stehen auf Grün: Eine im Sommer veröffentlichte Umfrage ergab, dass 66% der 1200 Befragten einer Liberalisierung zustimmten.

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Ein 800-Millionen-Markt: Cannabis Blüten nach der Ernte. swissinfo.ch

Die Zeitung Le Matin Dimanche verwies kürzlich auf umfragebasierte Schätzungen von Sucht Schweiz, die besagen, dass im vergangenen Jahr etwa 520’000 Menschen Cannabis konsumiert haben, davon 220’000 im letzten Monat, 50’000 würden es jeden Tag nehmen. Der Schweizer Markt würde zwischen 40 und 80 Tonnen oder 800 Millionen Franken pro Jahr betragen, so die Schlussfolgerung.

Damit winkt dem Staat ein Steuersubstrat von mehreren hundert Millionen Franken. Lange sah die Zukunft für das grüne Kraut in der Schweiz nicht mehr so berauschend aus.

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