Angst vor Dominoeffekt nach Gruyère-Urteil in den USA
Ein US-Gericht entschied, dass die Marke Gruyère für den weltbekannten Schweizer Käse nicht geschützt werden kann. Die Sortenorganisation ist besorgt, dass das Beispiel Schule machen könnte.
Der März war ein katastrophaler Monat für die «Swissness». Unternehmen und Produkte, welche die Schweiz repräsentieren, hatten mit grossen Problemen zu kämpfen.
Die Credit-Suisse-Krise ist bekannt. Doch es gibt weitere Beispiele: Die Winzer:innen von Champagne erlitten nach 25 Jahren Kampf für die Erlaubnis, den Namen ihrer Gemeinde auf ihren Etiketten verwenden zu dürfen, eine Niederlage vor dem Bundesgericht.
Anfang März gab es weitere «Bad News»: Toblerone muss das Matterhorn von seiner Verpackung entfernen, und Gruyère wird in den USA nicht mehr als geschützte Marke betrachtet.
Bei den Winzer:innen von Champagne fehlten die finanziellen Mittel – über 40’000 Franken – und die Energie, um den juristischen Kampf in Strassburg fortzusetzen.
Bei Toblerone dürfte die Marke nicht allzu sehr unter den Änderungen leiden. Sie gehört dem US-Lebensmittelmulti Mondelez, der beschlossen hat, einen Teil der Schokolade in der Slowakei herzustellen. Mit der Eröffnung des neuen Produktionsstandorts erfüllt der Schoggi-Hersteller die strengen Swissness-Kriterien nicht mehr.
Das Matterhorn verschwindet
Die 2013 vom Parlament verabschiedete Regelung soll die Werte des «Made in Switzerland» verteidigen. Da die Produktion der dreieckigen Schokoladeriegel ins Ausland zieht, darf Toblerone keine nationalen Symbole wie das Matterhorn mehr zeigen – dieses wird durch einen simplen Berg ersetzt. Aber der Bär auf der Verpackung, der auf die bernische Herkunft Bezug nimmt, darf bleiben.
In Sachen Gruyère ist der Widerstand bei den Hersteller:innen gross. In den USA entschied ein Berufungsgericht, dass die Marke nicht mehr exklusiv für bestimmte Herkunftsregionen reserviert werden darf. De facto können alle Produzent:innen Gruyère-Käse verkaufen.
Bereits vor über einem Jahr hatte ein US-Gericht nach einer Klage der Organisation US Dairy Export Council (USDEC) entschieden, dass US-Unternehmen das Recht haben, «Gruyère» herzustellen, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen.
Zumindest müssen sie sich an die Vorgaben der Food and Drug Administration (FDA) halten, die für die Lebensmittelsicherheit zuständig ist.
Die Behörde hat ihre eigene Definition von Gruyère: ein Käse mit kleinen Löchern, der mindestens 90 Tage gereift sein muss. Die Schweizer Gruyère-Charta sieht übrigens eine Reifezeit von 5 bis 18 Monaten vor.
Allerdings schreibe die FDA nichts in Bezug auf den Herstellungsort des Käses vor, erklärten die Richter:innen. Die USDEC, welche die Interessen der US-Milchbauern und -bäuerinnen vertritt und sich mit anderen Verbänden zusammengeschlossen hat, um gegen die Sortenorganisation «Le Gruyère» und ihr französisches Pendant vorzugehen, freut sich über das Urteil.
Sieg im «Kampf gegen Europa»
«Dies ist ein bemerkenswertes Ergebnis für die Hersteller und Landwirt:innen in den USA», erklärte USDEC-Vorsitzende Krysta Harden in einer Pressemitteilung.
«Es schafft einen bedeutenden Präzedenzfall für das Recht, allgemeine Lebensmittelbezeichnungen in den USA zu verwenden. Jetzt müssen auch andere Länder für das Richtige eintreten und diese Verwendung mit gleichem Nachdruck verteidigen.»
Jaime Castaneda, Direktor des Consortium for Common Food Names, sagte in einer weiteren Erklärung: «Diese Entscheidung betrifft nicht nur den Gruyère. Sie ist Teil unseres Kampfs gegen Europa, das versucht, all diese Bezeichnungen zu konfiszieren.»
Philippe Bardet, Direktor der Sortenorganisation «Le Gruyère», ärgert sich über die Haltung der Amerikaner:innen.
Der Greyerzer-Käse, der seinen Ursprung im 12. Jahrhundert hat und seinen Geschmack den Alpenkräutern der Freiburger Berge verdankt, erhielt 2011 von der EU seine geschützte Ursprungsbezeichnung (AOP).
Dieses Gütesiegel kennzeichnet ein Produkt, bei dem alle Produktionsschritte nach einer bestimmten Prozedur in einem bestimmten geografischen Gebiet durchgeführt werden. Das bedeutet vor allem auch, dass seine Herstellung durch ein Pflichtenheft geregelt ist.
Auch in Frankreich unterliegt das Produkt einem Pflichtenheft und muss sich laut einem Brüsseler Entscheid von 2013 durch kleine Löcher, die während der Reifung aufgrund höherer Temperatur entstehen, von der Schweizer Version unterscheiden.
Seither wird der französische Gruyère mit einem geschützten Siegel für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel gekennzeichnet, die eng mit einem geografischen Gebiet verbunden sind.
Weiterzug ist fraglich
Julien Couval, Präsident des Gruyère-Branchenverbands in Frankreich, findet den Entscheid der USA «unannehmbar». «Wir wollen den Ruf des Gruyère vor widerrechtlicher Aneignung schützen», sagt er.
«Es ist ein wichtiges Thema, das wir mit unseren Schweizer Kolleg:innen teilen.» Wie er die Angelegenheit nun weiterverfolgen will, sagt er aber nicht.
Auch Philippe Bardet will sich nicht äussern. Eine Berufung beim höchsten US-Gericht, dem Supreme Court, könnte teuer werden. Für ihn stellt sich die Frage, ob es das wert ist.
«In den letzten zwei Jahren haben wir 4000 von 32’000 Tonnen in den USA verkauft. Das ist wichtig, macht aber nur 1% des dortigen Käsemarkts aus.»
Die Schweizer Sortenorganisation setzt lieber auf die Aufklärung der Konsument:innen, indem sie über die Qualität und Rückverfolgbarkeit der US-Produkte spricht.
«Die Amerikaner:innen sind nicht dumm. Sie wissen, wie man ein gutes Produkt erkennt. Das aktuelle Problem ist eher auf die Inflation zurückzuführen als auf den Gerichtsentscheid. Weil unser Käse vergleichsweise teuer ist, werden die Konsument:innen einfach weniger davon kaufen und stattdessen zu ‹Fake›-Gruyère greifen.»
Schweizer Gruyère wird in den USA für 50 Franken pro Kilo verkauft und ist damit doppelt so teuer wie ein in den USA hergestellter Gruyère.
Und dieser falsche Gruyère stammt oft sogar aus Europa, aus Ländern wie Deutschland, Dänemark oder Österreich. «Sobald man das europäische Territorium verlässt, gibt es keinen Schutz mehr», sagt Bardet.
So könne ein Land wie Dänemark einen namenlosen Käse herstellen und ihn dann in die USA exportieren, wo er als Gruyère oder «Käse im Alpenstil» verkauft wird. Es gibt keine offiziellen Zahlen über die verkauften Mengen solcher Imitate.
Wie reagiert der Bund? Jonathan Fisch, Sprecher des Bundesamts für Landwirtschaft, erklärt auf Anfrage von swissinfo.ch, dass man den Entscheid der US-Richter:innen bedauere.
Er betont auch, dass die Schweiz die Sortenorganisation Gruyère subsidiär unterstütze, aber es sei momentan die Aufgabe der Vereinigung und ihres französischen Gegenparts, Schritte zur Verteidigung ihres Produkts zu unternehmen.
Zumindest in Europa geschützt
Der Freiburger Landwirt und Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP), Pierre-André Page, der sich für das Thema stark macht, hatte eine Interpellation eingereicht, in der er ein politisches Eingreifen forderte. Leider erfolglos. Wird er nun wieder auf die Barrikaden gehen?
«Ich stehe weiterhin der Sortenorganisation Gruyère zur Verfügung und werde mein Möglichstes tun, um auf politischer Ebene tätig zu werden. Als ich jedoch den Entscheid des Berufungsgerichts las, dachte ich: ‹Das war’s'», gesteht der Parlamentarier.
«Wir haben kein Freihandelsabkommen mit den USA», ergänzt Page. «Aber wir hätten eine Klausel zum Schutz der Marke Gruyère in die Waagschale werfen können, als es um den Kauf der zukünftigen amerikanischen F-35-Kampfflugzeuge ging (Die Schweiz wird 36 Stück für über 6 Milliarden Franken kaufen, Anm. d. Red.). Leider waren die Verträge bereits unterzeichnet.»
Für die Produzent:innen von Gruyère geht es nicht nur um Geld, sondern auch um ihren Ruf und das verwässerte Knowhow. Es ist übrigens schwierig, den durch das Urteil verursachten Gewinnausfall abzuschätzen.
Die Äusserungen von Krysta Harden, die andere Staaten ermutigt, den USA zu folgen, schmerzen Philippe Bardet natürlich. Er möchte klarstellen, dass der Schutz in der EU gewährleistet bleibt. Doch Länder wie Australien oder Neuseeland, in denen viel Käse konsumiert wird, könnten dem Trend aber folgen.
Zudem gibt es noch Lateinamerika. Im Rahmen der Verhandlungen über das Mercosur-Handelsabkommen sollte der Bund versuchen, Produkte wie den Greyerzer zu schützen.
«Aber das ist ins Stocken geraten», bedauert Bardet. «Zum Beispiel habe ich nicht das Gefühl, dass das Thema in Brasilien Priorität hat.» Und es gebe noch ein weiteres Problem: Das so genannte Grossvater-Prinzip.
«Es besagt, dass ein Unternehmen in Lateinamerika, das fünf Jahre lang Gruyère hergestellt hat, ohne sich an irgendwelche Spezifikationen zu halten, dies auch in Zukunft tun kann, ohne dafür belangt zu werden. Ich habe nichts gegen eine Frist von vielleicht 25 Jahren, aber fünf sind schlicht inakzeptabel.»
Übertragung aus dem Französischen: Christoph Kummer
Übertragung aus dem Französischen: Christoph Kummer
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