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Erster Streik in der Geschichte der Schweizerischen Depeschenagentur sda

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Mehr als 200 Personen haben in Bern gegen die angekündigten Sparmassnahmen bei der wichtigsten Schweizer Nachrichtenagentur protestiert. Thomas Kern/swissinfo.ch

Die Journalisten und Journalistinnen der sda haben am Dienstag in Bern ihre Arbeit für drei Stunden niedergelegt. Sie demonstrierten damit gegen den geplanten Abbau von mehr als 35 der insgesamt 180 Stellen in der dreisprachigen nationalen Nachrichtenagentur. Es ist die erste solche kollektive Aktion in der 125-jährigen Geschichte der sda.

Zum ersten Mal und unter den Augen vieler Fernsehkameras sind die sda-Journalisten aus dem Schatten und der üblichen Zurückhaltung herausgetreten, um gegen Restrukturierungs-Massnahmen zu demonstrieren, welche die wichtigste Nachrichtenagentur des Landes hart treffen.

Mit Pfiffen sowie Bannern und Slogans versammelten sich am Dienstag um 14 Uhr über 200 Personen, darunter rund 100 sda-Journalistinnen und Journalisten, am Hauptsitz der Agentur in Bern.

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Die Demonstranten begaben sich darauf in ein nahegelegenes Restaurant, wo sich mehrere prominente Persönlichkeiten aus Politik und Kultur für die Anliegen der Streikenden aussprachen, darunter der ehemalige sda-Chefredaktor und Ex-Bundeskanzler Oswald Sigg sowie der Schriftsteller Alex Capus, auch er ein ehemaliger Mitarbeiter der Agentur.

Sie prangerten ihrerseits einen «inakzeptablen» und «skandalösen» Angriff auf diese Institution an, die sie für den nationalen Zusammenhalt und die freie Meinungsbildung im schweizerischen System der direkten Demokratie für unerlässlich halten.

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Die Schweizer Depeschenagentur ist eine wichtige Informationsquelle in der Schweiz. Thomas Kern/swissinfo.ch

«Äusserst schwierige Situation»

Der Warnstreik, dem weitere Streiks folgen könnten, kommt nach der Ankündigung des sda-Managements vor zwei Wochen, in den nächsten zwei Jahren eine Umstrukturierung vorzunehmen, die zur Streichung von 35 bis 40 der insgesamt 180 Stellen führen wird.

Eine Agentur, die mehr als 100 Jahre alt ist

Die 1894 in Bern gegründete Schweizerische Depeschenagentur (sda) ist die nationale Nachrichtenagentur der Schweiz. Als genossenschaftlich organisierte Aktiengesellschaft ist die sda nicht gewinnorientiert. Ihr Kapital wird von den wichtigsten Printmedien-Verlagen, der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG, Muttergesellschaft von swissinfo.ch) und verschiedenen Organisationen gehalten, die auch die Hauptabonnenten sind. Am 30. Oktober 2017 gab die sda den Zusammenschluss mit der Fotoagentur Keystone bekannt. Das neue Unternehmen wird die Austrian Press Agency (APA) als Hauptaktionärin haben (30%) und damit der Unabhängigkeit der sda ein Ende setzen.

Die sda-Geschäftsleitung rechtfertigt den Sparplan mit der äusserst schwierigen Situation in der Pressewelt. Trotz der Erneuerung der Verträge mit ihren Hauptkunden, die gleichzeitig Eigentümer sind (ein Grossteil der Zeitungen, Radio- und Fernsehsender des Landes), rechnet die sda für 2018 mit einem Umsatzrückgang von 3,1 Mio. Franken auf 29,5 Millionen (-9,6%).

«Wir bestreiten weder die wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei der sda noch die Notwendigkeit, die Art und Weise, wie wir Informationen produzieren, zu überdenken. Doch statt eine gründliche Überprüfung vorzunehmen, setzt das Management einen drastischen und brutalen Personalabbau durch, der sogar die Existenz der Agentur gefährdet», sagt Antoinette Prince, Journalistin und Mitglied der sda-Redaktions-Kommission (ReKo).

Unerbittliche Direktion

Durch die Reduzierung ihres Angebots werde die sda für die Schweizer Medien noch unattraktiver, und es könnte noch schwieriger werden, die Abonnemente zu verkaufen, befürchtet Prince. «Dies ist der Beginn einer vollständigen Demontage der sda. Man hat uns bereits über eine weitere Entlassungswelle orientiert, wenn die Fusion mit der Bildredaktion Keystone in einigen Monaten in Kraft treten wird, erklärt die Personalvertreterin.

Unter den sda-Journalisten herrscht grosser Unmut über die Art und Weise, wie das Management die Angelegenheit handhabt. «Am Ende des Konsultationsprozesses war die Geschäftsleitung unerbittlich und machte nur in kleinen Punkten Zugeständnisse. Sie lehnte jegliche Diskussion über das Ausmass des Personalabbaus und dessen Umsetzung bis Ende Januar ab», so Prince. Der erste Streik in der Geschichte der sda wurde fast einstimmig (117 Ja-Stimmen bei einer Enthaltung) beschlossen.


Seit der Entlassung von Chefredaktor Bernard Maissen durch den Verwaltungsrat Ende letzten Jahres richtet sich die Wut der Redaktion vor allem gegen Markus Schwab, der nun alleine an der Spitze der sda steht. «Er ist seit zwölf Jahren im Amt, hat aber keine Ahnung, wie die Redaktionen funktionieren. Er tritt wie ein Buchhalter auf und setzt, ohne mit der Wimper zu zucken, das Mandat des Verwaltungsrates um», empört sich eine sda-Journalistin. Zu reden bei den Journalisten gibt auch der Lohn von Markus Schwab: «Er lässt sich ein Jahresgehalt eines Bundesrats zahlen (ca. 450’000 Franken), und dies für die Leitung eines KMU (kleineres und mittleres Unternehmen», wettert die Journalistin.

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Der Berner SP-Nationalrat Matthias Aebischer warf der sda-Geschäftsleitung vor, «nichts von Journalismus zu verstehen». Thomas Kern/swissinfo.ch

Politische Intervention

Parallel zum Streik vom Dienstag wurden weitere Aktionen durchgeführt. So verfassten die sda-Journalisten einen offenen Brief an die Behörden, um auf die Auswirkungen dieser Umstrukturierung auf die Schweizer Medien hinzuweisen. Mehrere Parlamentarier, darunter der Berner Sozialdemokrat Matthias Aebischer, der Bündner Christdemokrat Martin Candinas und Regula Rytz, Präsidentin der Grünen Partei Schweiz, wollen mittels Vorstössen im Parlament die Landesregierung dazu bringen, in dieser Krise einzugreifen.

In einer Pressemitteilung fordert die Sozialdemokratische Partei den Bund auf, einzugreifen, um den von der sda übernommenen Service Public zu retten und aufrechtzuerhalten. Rytz sagte gegenüber swissinfo.ch, dies könne zum Beispiel mit der Gründung einer «öffentlichen Stiftung» geschehen, die allen Schweizer Medien grundlegende Informationen zur Verfügung stelle. 

Der ehemalige sda-Journalist Marco Fähndrich lancierte zudem eine Online-Petition in der Medienministerin Doris Leuthard aufgefordert wird, zugunsten der nationalen Nachrichtenagentur zu intervenieren. «Der geplante Kahlschlag bei der sda hätte schwerwiegende Konsequenzen für die Qualität des Journalismus in der ganzen Schweiz», schreibt Fähndrich.

Der ehemalige sda-Journalist schlägt beispielsweise vor, einen Teil der Radio- und Fernsehgebühr der sda zukommen zu lassen. Dies würde seiner Ansicht nach «massive Arbeitsplatzverluste verhindern und die Zukunft der sda als unabhängige, gemeinnützige Organisation sichern». Bis am frühen Dienstagabend war die Petition bereits von weit über 900 Personen unterzeichnet worden.

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Sie können den Autor dieses Artikels via Twitter kontaktieren: @samueljaberExterner Link

(Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)

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