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Sollen die Schweizer Medien vom Staat gefördert werden? Ja, aber …

TA-SWISS/Hannes Saxer

Die Etablierung des mobilen Internets stellt viele traditionelle Branchen vor grosse Herausforderungen – so auch die Medien in der Schweiz. Der Staat soll gestaltend eingreifen, empfiehlt eine neue Studie. Ist das sinnvoll? Ein kurzer Überblick zur Studie und die Reaktionen darauf von Medien-Start-Up-Gründer Constantin Seibt.

Die direkte Demokratie bringt mit sich, dass die Bürgerinnen und Bürger zu vielen teils komplexen Themen Stellung beziehen können. Viele sind sich einig, dass für die Entscheidungsfindung die Informationen und Diskurse in den Medien wichtig sind. Darüber, wie die Medienvielfalt garantiert werden soll, gehen die Meinungen jedoch weit auseinander.

Was früher oft nur durch Bezahlung zugänglich war, gibt es heute massenweise gratis im Netz: Informationen und öffentliche Debatten. Das klassische Business-Modell „Journalismus“ ist dadurch ins Wanken geraten. Es sind aber nicht nur die Nutzer, die ins Netz abwanderten, sondern auch die Werbeeinnahmen. Vorab Facebook und Google kassieren inzwischen nicht nur von Grosskonzernen und Mittelständlern eine erkleckliche Summe der Werbegelder, sondern immer öfter auch von lokalen Klein-Unternehmen. Die Verlagshäuser haben sich jedoch auch selber kannibalisiert; durch Gratis-Online-Angebote und -zeitungen, aber auch durch das unternehmerische Verselbstständigen von Inserate-Rubriken, die früher Journalismus finanzierten – unter anderem aus dem Wohnungs-, Stellen- und Automarkt.

Eine Studie sorgt für Gesprächsstoff

Die Studie «Medien und Demokratie im Zeitalter der DigitalisierungExterner Link» des Kompetenzzentrums TA-SwissExterner Link, ein Zusammenschluss der Akademien der Wissenschaften der Schweiz, sieht im Web zwar auch Chancen, kommt jedoch trotzdem zum Schluss, dass „angesichts des Medienwandels ein Infrastrukturprogramm für den Journalismus dringlich ist.“ Kurz zusammengefasst formuliert sie folgende fünf Empfehlungen:

1. Private Medien
Von politischer Seite sollte unabhängiger Journalismus gefördert werden. Deshalb sollten auch private Medien – ob on- oder offline – von einer direkten Medienförderung profitieren können.

2. Service Public
An einem unabhängigen Service-Public-Anbieter soll festgehalten werden. Um ein junges Publikum zu erreichen, soll dieser ohne Einschränkungen online tätig sein und innovative Video- wie auch Audioangebote ausstrahlen dürfen. Im Gegenzug ist ein Verzicht auf Werbung und Sponsoring vertretbar.

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3. Indirekte Förderung
Stiftungs- und Mitarbeitereigentum, das den wirtschaftlichen Druck auf die Redaktionen verringert, könnte mit Steuererleichterungen oder von Steuern befreiten Spenden unterstützt werden.

4. Medienkompetenz
Politik, Medien und Bevölkerung müssen sich dafür stark machen, dass alle Bürgerinnen und Bürger über Medienkompetenz verfügen und in der Lage sind, Qualität und Wert journalistischer Angebote zu beurteilen. Den Schulen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Die Medien müssen im Gegenzug zu Transparenz angehalten werden. Die Vermischung publizistischer und kommerzieller Interessen sollte verhindert und Eigentumsverhältnisse offengelegt werden.

5. Neue Medien
Die Algorithmen – sie bestimmen, was wir bei der Google-Suche finden oder auf Facebook und Instagram zu sehen kriegen – sollten offengelegt und dadurch zur Diskussion gestellt werden. 

«Staatliche Medienförderung ist wichtig, aber wir zählen auf unsere Community»

In derselben Woche, in der die Studie publiziert wurde, stellten die zwei bekannten Journalisten Christof MoserExterner Link und Constantin SeibtExterner Link das Team vor, mit dem sie unter dem Namen „Project RExterner Link“ ein neues Medien-Angebot aufbauen möchten. swissinfo.ch konnte mit Seibt über seine Einschätzung zur Studie und die diesbezügliche Ausrichtung von „Project R“ reden:

swissinfo.ch: Braucht es eine staatliche Medienförderung?

Constantin Seibt: Ja. Früher finanzierte sich eine Zeitung zu 80 Prozent über Werbeeinnahmen und zu 20 Prozent über Abonnemente. Ohne Werbung hätte eine Zeitung so viel gekostet wie ein Taschenbuch. Dieses Modell wurde durchs Internet zerstört. Die Werbeeinnahmen sind jetzt bei den Auto-, Immobilien- und Erotik-Suchmaschinen im Internet – und bei Facebook und Google.

Constantin Seibt war Journalist bei der Zürcher Studierendenzeitung «ZS», später bei der Wochenzeitung «WoZ» und schliesslich beim «Tages-Anzeiger». Sein Spezialgebiet wurde die Grauzone zwischen Politik und Wirtschaft: von der Finanzkrise bis zur Eurokrise. Für seine Reportagenserie zum Swissair-Prozess erhielt er 2008 den Zürcher Journalistenpreis. Beim Project R ist er für Konzeption und Redaktion verantwortlich. Project R

swissinfo.ch: Aber es gibt doch auch neue, institutionelle oder kommerzielle Medienanbieter, die den Informationszwischenhändler „Journalismus“ aussen vor lassen – zum Beispiel „Geschichte der GegenwartExterner Link“ oder das „WEFExterner Link“. Was halten Sie von diesen neuen Angeboten?

C.S.: Diese Anbieter veröffentlichen manchmal sehr brauchbare Texte – aber sie betreiben keine professionellen und unabhängigne Redaktionen. Deshalb sind sie keine Alternative zum klassischen Journalismus. Das Problem ist: Wie finanziert man eine Nachrichtenorganisation?

swissinfo.ch: Sie sagen, dass es eine staatliche Medienförderung braucht. Wie sollte eine solche aus Ihrer Sicht gestaltet sein?

C.S.: Das ist komplex, unklar und politisches Dynamit. Grundsätzlich ist jedoch klar: Eine Demokratie funktioniert nicht ohne Medien – denn mit schlechten Informationen fällt man schlechte Entscheidungen. Und wenn das Mediensystem keine vernünftige Ware mehr liefert, wird es zur öffentlichen Aufgabe. Wahrscheinlich am besten durch eine unabhängige Stiftung. Die Kriterien für die Vergabe? Ich weiss nur, dass sie extrem kompliziert sein werden. 

swissinfo.ch: Wären Sie mit ihrem neuen Startup an solchen Fördergeldern interessiert?

C.S: Im Moment nicht. Uns ist es ein Grundanliegen, dass „Project R“ eine funktionierende Firma werden muss – das heisst, das sie mittelfristig mindestens selbsttragend ist. Zu Beginn haben wir von privaten Investoren und Mäzenen eine Start-Up-Finanzierung. Die wird aber nur eintreffen, wenn wir Ende Frühling einen ernsthaften Markttest bestehen: ein happiges Crowd-Funding. Das wird eine Sache auf Leben und Tod. Erreichen wir das Ziel, sind wir auf mindestens zwei Jahre finanziert – schaffen wir es nicht, sind wir noch vor der Geburt tot. Unser Konzept ist, ein Onlinemagazin zu machen, das die grossen Debatten und die ungelösten Fragen gründlich angeht – unsere Devise lautet: No bullshit. Es ist so, dass wir den Lesern quasi eine Art Fussball-Team anbieten: Eine Mannschaft, die – während sie ihr Leben mit Beruf, Familie, Hobby führen – für sie rennt, recherchiert, nachdenkt, kämpft. Unser Abonennt beteiligt sich finanziell an einem Expeditionsteam in die Wirklichkeit.

swissinfo.ch: Haben Sie diesbezüglich Vorbilder?

C.S.: Das holländische Online-Portal „De CorrespondentExterner Link“ hat 47‘000 zahlende Abonnenten. Das ist beeindruckend und ermutigend.

Sollte der Staat den Schweizer Medien finanziell unter die Arme greifen? Wenn ja: Wie sollte eine solche Förderung organisiert werden? Diskutieren Sie mit uns in den Kommentaren.

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