Wissen in Gefahr
Zeitungssterben und Konzentration in der Schweizer Medienlandschaft treffen eine Sparte besonders hart: den Wissenschafts-Journalismus. Was dagegen tun? Wie könnten neue Fördermodelle aussehen? Darüber diskutierten Journalisten und Wissenschaftler an einer Konferenz in Bern.
Wer durch Schweizer Zeitungen blättert, dem fällt eines schnell auf: Zunehmende Einfalt. Dieselben Texte erscheinen in mehreren Zeitungen gleichzeitig. Das ist auch auf den Wissenschafts-Seiten der Fall, sofern es solche überhaupt noch gibt.
Die Schweizer Perspektive, gerichtet auf Schweizer Forschende und geschildert von Schweizer Journalisten, fällt zunehmend weg. Wo führt diese Entwicklung hin? Und was kann dagegen gemacht werden? Mit diesen beiden Fragen beschäftigte sich jüngst eine öffentliche Konferenz in Bern, zu der die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz geladen hatte.
«Wissenschaftsressorts fallen dem Spardruck in der Medienbranche besonders rasch zum Opfer.» Mark Eisenegger, Medienforscher
«Nice to haves» springen über die Klinge
«Wissenschaftsressorts fallen dem Spardruck in der Medienbranche besonders rasch zum Opfer», sagte der Medienforscher Mark Eisenegger von der Universität Zürich. «In der Schweiz gibt es nur noch eine Handvoll eigenständige Wissenschaftsredaktionen.»
Wegbrechende Werbeeinnahmen seien die Hauptursache dafür, dass der Journalismus allgemein einen schlechten Stand habe: Wenn die Werbung ins Internet abwandert und dort vor allem Facebook und Google die Einnahmen einheimsen, haben es Zeitungen schwer.
Und wo sparen die Redaktionen? Bei den «nice to have», also den Dingen, die nett, aber nicht zwingend sind. Also vor allem auch bei Wissensthemen, die eher wenig Interesse und somit nur wenige Klicks und Verkäufe generieren können.
Tamedia fischt lieber ennet dem grossen Teich
Das gab Armin Müller nüchtern zu. Er ist Mitglied der Chefredaktion bei Tamedia und dort zuständig für die Ressorts Wirtschaft und Wissen. Und er konstatierte ebenso nüchtern, dass bei Tamedia eigens produzierte oder auch von Schweizer Freelancern verfasste Wissenschaftsartikel lediglich eine tiefe Priorität hätten.
Die Honorare für freie Mitarbeiter seien denn auch gekürzt worden, und Müller rechnet damit, dass anstehende Einsparungen noch vorhandene Stellen in der Redaktion Wissen gefährden.
Viel lieber übernimmt das Zürcher Medienunternehmen seine Wissenstexte aus dem Ausland, von der Süddeutschen Zeitung etwa, mit der sie 2016 eine Kooperation eingegangen ist. Oder übersetzt Texte aus der New York Times.
Dabei wäre eine fundierte und lokale Berichterstattung über Wissensthemen wichtig. Wir leben in einer zunehmend komplexen und technologisch hochgerüsteten Umwelt. Gerade in der Schweiz gibt es wissenschaftliche Projekte zuhauf, welche die Aufmerksamkeit von Journalisten verdienen, nicht nur das CERN oder das Human Brain Project, zwei Riesenkisten, die beide eine sehr starke internationale Ausstrahlung haben.
«Gerade in der Schweiz gibt es wissenschaftliche Projekte zuhauf, welche die Aufmerksamkeit von Journalisten verdienen.»
PR und Dubioses florieren
Wo der unabhängige Wissenschaftsjournalismus leidet, blühe die Wissenschafts-PR, sagte Medienexperte Eisenegger. Texte von Hochschulen oder Stiftungen, Tech- oder Pharma-Unternehmen, die entsprechend die Interessen ihrer Institution vertreten, dominieren heute die Wissensberichterstattung in den Schweizer Medien. Diese findet vielfach nur noch als Kurzfutter in den Inland-Teilen oder den thematisch bunt gemischten Letzte-Seiten statt.
«Wenn Personal und Geld in den Redaktionen abnimmt, wird Wissenschafts-PR weniger kritisch angeschaut», sagt Eisenegger. Das hat zur Folge, dass oft Texte mit gegenteiligen Forschungsergebnissen zeitlich kurz aufeinander erscheinen.
Der Kontext, die Einordnung, die ein Wissenschaftsjournalist herstellen kann, geht verloren. Die Folge ist, dass der Leser nach der Lektüre oft weniger weiss als zuvor und sein Vertrauen sowohl in die Medien als auch in die Wissenschaft abnimmt.
Nicht nur die Wissenschafts-PR floriere, sagte Eisenegger, sondern auch alternative Plattformen und dubiose Seiten. Die einordnenden und kritischen Stimmen sind rar geworden. «Der Wissenschaftsjournalismus kann leider vielfach seine Watchdog-Funktion nicht mehr wahrnehmen», sagte er weiter. Was also tun? Für den Wissenschaftsjournalismus gelte dasselbe wie für den Journalismus allgemein: «Wir müssen neue Fördermodelle entwickeln.»
Die Mutmacher
Doch wie? Drei Projekte, die in Bern vorgestellt wurden, machen zumindest ein wenig Mut. Da wäre die Republik, eine Online-Zeitung, die 2018 erstmals erschien und ausschliesslich leserfinanziert ist, also ohne Werbeeinnahmen auskommt.
Ein weiteres Projekt ist das Westschweizer Sept.info, das, ähnlich wie die Republik, tiefgründige Texte aus den Bereichen Gesellschaft, Politik und Wirtschaft online sowie als Printmagazin anbietet. Auch dieses Medium finanziert sich hauptsächlich durch Abonnenten. Doch weder Republik noch Sept.info berichten ausführlich über Wissenschaft.
Higgs heisst das dritte Projekt, das vorgestellt wurde. Und dieses macht all jenen, die sich einen fokussierten Wissenschaftsjournalismus wünschen, am meisten Hoffnung. Die durch den Wissenschaftsjournalisten Beat Glogger ins Leben gerufene Online-Plattform stellt neue Forschungsergebnisse und Studien im Detail vor.
Gratis-Service
«Wir holen die Leute ab, indem wir Wissen in verschiedener Tiefe und Form aufbereiten», erklärte Redaktionsleiterin Santina Russo. Nebst dem eigenen Webportal, wo Texte und auch Videos präsentiert werden, stellen die Higgs-Redakteure Artikel inklusive Bebilderung diversen Schweizer Medien zur Verfügung. Und das gratis. Nur so würden die Artikel abgedruckt, sagte Russo.
Doch woher kommt das Geld? Momentan primär von einer Stiftung (Gebert Rüf). Doch das reiche nicht aus, um Higgs auf Dauer zu finanzieren. Ausserdem würden die Verträge hierfür auslaufen. Deshalb sei nun das Ziel, eine eigene Stiftung zu gründen, welche möglichst breit abgestützt ist.
«Wir sind auf die Hilfe jener angewiesen, die wollen, dass Wissen in der Öffentlichkeit ankommt», sagte Russo. «Im Fokus sind also die öffentliche Hand, Unternehmen, andere Stiftungen und Hochschulen.» Und Russo hofft auch, dass das neue Mediengesetz, das dieses Jahr auf der Bundeshaus-Agenda steht, etwas verändern wird. Denn dieses soll Beiträge für Online-Nachrichtenportale grundsätzlich ermöglichen.
Eines ist klar: Eine Patentlösung für die Förderung des Wissenschaftsjournalismus gibt es nicht.
Neues Denken fördern
Eines ist klar: Eine Patentlösung für die Förderung des Wissenschaftsjournalismus gibt es nicht. Das Loch im Budget der Redaktionen, die das Internet verursacht hat, ist kaum mehr zu stopfen.
Das Internet hat Wissen für jedermann zugänglich gemacht, doch ohne Wissenschaftsjournalisten fehlt der einordnende Geist, der Relevantes von weniger Relevantem unterscheidet, Ergebnisse in den Kontext stellt und neue Studien kritisch beäugt.
Zudem gaukelt das Internet der jüngeren Generationen eine Welt vor, in der alles gratis ist. Auch diese Gratiskultur trägt ihren Teil zum Mediensterben bei. Unser Denken über Journalismus und die Medien müsse sich verändern – dafür plädierten alle Referenten an der Konferenz.
Die Relevanz des Wissenschaftsjournalismus müsse den Menschen stärker klargemacht werden, vor allem auch jüngeren. «Wir müssen Jugendlichen bereits in der Schule die Bedeutung von vielfältigem Journalismus für die Gesellschaft beibringen und ihnen das nötige Rüstzeug mitgeben, um Qualität von Unqualität unterscheiden zu können», sagte Medienexperte Mark Eisenegger.
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