«Die Gegner:innen haben den Kontext der Pandemie erfolgreich genutzt»
Nach einer heftigen Kampagne hat die Schweizer Stimmbevölkerung eine weitere Unterstützung der Medien abgelehnt. Die Politikwissenschaftlerin Martina Mousson analysiert, dass die Abstimmung in einer Atmosphäre des Misstrauens gegenüber Journalist:innen und der Regierung stattfand und das Paket zu umfangreich war.
Das Hilfspaket für die Medien ist an der Urne gescheitert. Und mit 54,6% Nein-Stimmen fiel das Ergebnis deutlicher aus als erwartet. Die Vorlage der Behörden sah vor, private Zeitungen, Radio- und Fernsehsender sowie neue Online-Medien mit zusätzlichen 151 Millionen Franken pro Jahr zu unterstützen, um die Informationsvielfalt und -qualität zu gewährleisten.
Die Pandemie, die die Kulisse des Abstimmungskampfes bildete, war für diese Vorlage nachteilig, kommentiert die Politologin des Instituts gfs.bernExterner Link, Martina Mousson.
swissinfo.ch: Hätte das Stimmvolk ohne die Corona-Krise, die von einem grossen Misstrauen gegenüber Journalist:innen geprägt war, die Medienhilfe am Sonntag angenommen?
Martina Mousson: Das ist schwierig zu sagen, aber die Pandemie hat zweifellos ein Klima der Skepsis gegenüber den Medien geschaffen. Die Gegner:innen haben den Kontext der Pandemie erfolgreich genutzt. Die Veröffentlichung des Videos von Ringier-Verleger Marc Walder, in dem er bekannte, dass er seine Journalist:innen angewiesen habe, in der Covid-19-Krise nicht zu kritisch gegenüber der Regierung zu sein, spielte den Gegner:innen eindeutig in die Hände. Die Polemik gab der Kampagne einen Beigeschmack, indem sie Zweifel an der Unabhängigkeit der Medien aufkommen liess.
Auch der Ton der Kampagne war besonders rau, beide Seiten beschuldigten einander der Manipulation von Zahlen. Wie kam es zu diesen Spannungen?
Diese aufgeheizte Stimmung ist seit einiger Zeit vor Abstimmungen zu beobachten. Solche Spannungen fördern die Skepsis in der Bevölkerung, bringen die Informationen der Behörden in Verruf und geben den Menschen das Gefühl, dass ihnen etwas vorenthalten wird.
Die Romandie hat Ja zur Medienhilfe gesagt. Die Abstimmung war also vom Röstigraben geprägt, d.h. von einer Kluft zwischen der französischsprachigen Schweiz und dem deutschsprachigen Landesteil. Wie erklären Sie sich das?
Im Gegensatz zu dem, was wir seit einigen Jahren beobachten, war die Kluft zwischen Stadt und Land nicht signifikant. Der berühmte Röstigraben ist hingegen wieder da.
In der Romandie hat die Angst, weitere französischsprachige Medien zu verlieren, eine Rolle gespielt. Im Tessin war dies jedoch nicht der Fall, die italienischsprachige Region lehnte das Gesetz ab. Wir können daraus schliessen, dass die Rettung der regionalen und lokalen Presse nicht das Argument war, das am meisten Gewicht hatte.
Die Bürger:innen entschieden vielmehr anhand der grundlegenden Frage, ob es die Aufgabe des Staates ist, die Medien zu unterstützen, oder ob dies ihre Unabhängigkeit gefährdet. Die Entscheidung wurde zusätzlich durch die Uneinigkeit der Medien selbst erschwert, die nicht alle für das Projekt waren.
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War das Volk grundsätzlich gegen die Medienförderung oder gegen das zu umfangreiche Massnahmenpaket, das dem Volk vorgelegt wurde?
Das Volk ist nicht grundsätzlich gegen die Medienförderung. Die Umfragen, die wir im Vorfeld der Abstimmung durchgeführt haben, haben gezeigt, dass die Schweizer die demokratische Rolle der Medien sehr schätzen. Dieses Paket an Unterstützungsmassnahmen wurde jedoch überladen.
Warum bringt das Parlament immer wieder Pakete zur Abstimmung, die die Bürger:innen nicht schätzen?
Das Problem ist nicht, dass das Volk diese Pakete nicht mag, sondern dass sie einerseits für die Gegner:innen leichter angreifbar sind und andererseits schwieriger zu kommunizieren sind. Die Strategie ist jedoch nicht zum Scheitern verurteilt, wie die Annahme der Unternehmenssteuerreform zeigte, die gekoppelt mit der Reform zur Finanzierung der Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) war – das war ein riesiges Paket.
Eine weitere Niederlage für Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die bereits die Abstimmung über das CO2-Gesetz im letzten Jahr verloren hatte. Ist ihre Position in der Regierung geschwächt?
Man kann durchaus sagen, dass sie bei den Abstimmungen kein Glück hatte. Ausserdem ist sie das Bundesratsmitglied mit dem zweithöchsten Dienstalter. Die Idee, dass sie nicht mehr auf ihrem Zenit ist, wird also zirkulieren. Ich kann mir vorstellen, dass Gegner:innen dies als Argument für die Forderung nach ihrer Ablösung verwenden werden. Aber sie ist nicht die Einzige, die bei diesen Abstimmungen verloren hat – das gilt auch für Bundesrat Ueli Maurer. Es ist eher ein Effekt, der die gesamte Regierung und das Parlament betrifft.
Tatsächlich verliert der Bundesrat mit der Ablehnung der Medienhilfe, der Abschaffung der Stempelsteuer und der Annahme der Initiative gegen die Tabakwerbung bei drei von vier Vorlagen. Kann man dies als ein wachsendes Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Regierung interpretieren?
Nein, es handelt sich nicht um eine grundsätzliche Kritik an der Regierung oder der Schweizer Politik im Allgemeinen. Wir stellen fest, dass das Vertrauen in die Regierung vorhanden ist. Es ist weiterhin intakt.
Es herrscht jedoch eine Atmosphäre des Misstrauens, die punktuell an den Wahlurnen zum Vorschein kommt. Die Pandemie hat die politische Debatte in der Schweiz verändert. Vor der Krise wurde eines von vier Referenden angenommen, jetzt sind wir bei beinahe einem von zwei Referenden.
Der Bundesrat hat es schwerer, sich Gehör zu verschaffen, vielleicht weil die Kommunikation in Zeiten einer Pandemie schwieriger ist. Die Menschen diskutieren weniger miteinander, und die Fähigkeit, die Positionen der anderen zu verstehen, ist geschwächt.
Die Schweizerische Volkspartei (SVP/rechtskonservativ) hat vor kurzem ihre neue Initiative angekündigt, mit der sie die öffentlichen Rundfunk- und Fernsehgebühren angreifen und halbieren will. Wie stehen die Chancen, dass diese Initiative Erfolg haben wird?
Es ist schwierig, zum jetzigen Zeitpunkt Prognosen abzugeben. Es wird ein ähnlicher Kampf wie bei der No Billag-Initiative [SVP-Initiative zur Abschaffung der Rundfunkgebühren], die 2018 schliesslich abgelehnt wurde. Regionale und sprachliche Aspekte werden sicher wieder wichtig sein.
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