Mikron-Chef: «China bietet noch keine gleichwertigen Maschinen an»
Der Schweizer Werkzeugmaschinenhersteller Mikron blickt auf ein erfolgreiches Geschäftsjahr 2023 zurück, getragen vor allem von Rekordexporten aus der Uhrenindustrie. Und trotz dunkler Wolken über der Schweizer Industrie ist Mikron-Chef Marc Desrayaud zuversichtlich für die Zukunft.
Mikron wurde 1908 in Biel im Kanton Bern gegründet, ist an der Schweizer Börse kotiert und beliefert Schlüsselbranchen wie die Uhren-, Pharma-, Konsumgüter- und Automobilindustrie.
Trotz der Schwierigkeiten, mit denen die Schweizer Industrie zu kämpfen hat, konnte der Industriekonzern, der rund 1500 Mitarbeitende beschäftigt, für das Jahr 2023 gute Ergebnisse meldenExterner Link. Interview mit Marc Desrayaud, seit Juni 2021 Generaldirektor der Mikron Gruppe.
Nach einem Master in Elektronik (Universität Lyon) und einem Master in Industriemarketing (IDRAC Lyon) hatte Marc Desrayaud in der Schweiz verschiedene Führungspositionen inne: bei ABB, Rieter Textile Machinery, Autoneum und Oerlikon. Seit Juni 2021 ist der Franzose Generaldirektor der Mikron Gruppe.
SWI swissinfo.ch: 2023 sind Ihre Verkäufe um fast 20% gestiegen. Wie erklären Sie sich das?
Marc Desrayaud: Die Pharmaindustrie und die Medizinaltechnik waren sehr wachstumsstarke Nischen. In der Uhrenindustrie, einem unserer traditionellen Standbeine, erhielten wir 2022 sehr grosse Aufträge, deren Ausführung über mehrere Jahre hinweg läuft.
Die Umsätze in der Uhrenindustrie waren 2023 also gut, auch wenn sich die Auftragseingänge aufgrund der erwarteten Verlangsamung in diesem Sektor etwas abgeschwächt haben.
Nach einem soliden Aufschwung nach der Weltwirtschaftskrise befindet sich die Schweizer Industrie in einer schwierigen Phase. Seit einigen Monaten häufen sich die negativen Signale, besonders wegen der schwachen Auslandnachfrage. Wie schlägt sich Mikron in diesem Umfeld?
2024 wird ein gutes Jahr, unsere Auftragsbücher sind gut gefüllt. Sorgen bereitet uns allerdings der deutsche Markt, da unsere Kundschaft dort wenig Vertrauen in die Zukunft zu haben scheint.
In den USA herrscht wegen der Präsidentschaftswahlen eine ähnliche Unklarheit. Für China bin ich dank des Potenzials der Elektromobilität und der Medizinaltechnik optimistischer.
Längerfristig denke ich, dass Mikron ein kontrolliertes Wachstum haben und wahrscheinlich neue Nischen anvisieren wird, zum Beispiel in der Luft- und Raumfahrt oder im Energiesektor.
Wir können auch im Ausland wachsen, speziell in Japan, wo die Kundschaft unsere Werte teilt, und in Indien, wo es ein starkes Wachstum in der Luft- und Raumfahrt und in der Medizinaltechnik gibt.
Diese positiven Aussichten dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Mikron zu Beginn des neuen Jahrtausends schwierige Zeiten durchlebte und kurz vor dem Konkurs stand.
In der Tat. Zum Glück hat die Ammann-Gruppe 2003 im Interesse der Schweizer Industrie eingegriffen und unser Unternehmen gerettet. Heute ist die Ammann-Gruppe unsere Hauptaktionärin und hält fast 50% an Mikron.
Seit dieser Rettung hat uns die gemeinsam mit unserem Verwaltungsrat festgelegte Strategie erlaubt, wettbewerbsfähig zu bleiben und in unseren Nischen eine führende Position einzunehmen.
Welches sind heute die grössten Herausforderungen?
In der Vergangenheit waren wir mit zwei oder drei Herausforderungen gleichzeitig konfrontiert.
Dazu gehören die Elektrifizierung der Automobilindustrie, die Umstrukturierung der Luft- und Raumfahrtindustrie nach Covid, das Wachstum und die Lokalisierung des Medizinalsektors, die Beschleunigung der Digitalisierung (einschliesslich künstlicher Intelligenz).
Dann auch die veränderten Erwartungen unserer neuen Mitarbeitenden, die zahlreichen geopolitischen Spannungen zwischen den Grossmächten und natürlich der starke Franken.
In den letzten Jahrzehnten hat uns die Aufwertung des Frankens gezwungen, effizienter zu werden, und die niedrige Inflation in der Schweiz hat es uns ermöglicht, den Kostenanstieg unter Kontrolle zu halten.
Dennoch ist es wichtig, dass der Franken wieder zur Parität mit dem Euro und dem US-Dollar zurückfindet, sonst werden wir in eine besonders schwierige Situation geraten.
Wer sind Ihre Hauptkonkurrenten?
Vor allem Unternehmen aus Deutschland, Italien und Nordamerika, aber auch neue Marktteilnehmer aus China. Allerdings bieten die Unternehmen aus dem Reich der Mitte noch keine gleichwertigen Maschinen an.
Hat die Schweiz im Bereich der Werkzeugmaschinen an Boden verloren?
Ja, vor allem in zwei Bereichen. Erstens in wettbewerbsintensiven Sektoren, in denen ausländische Anbieter derzeit Werkzeugmaschinen von akzeptabler Qualität zu attraktiven Preisen anbieten.
Zweitens, wenn die Nachfrage nach Werkzeugmaschinen überwiegend in Ländern mit niedrigen Produktionskosten angesiedelt ist.
Mit anderen Worten: Es findet eine Verlagerung der Produktion von Werkzeugmaschinen im unteren und mittleren Preissegment nach Asien statt.
In diesem Zusammenhang ist es möglich, dass Unternehmen wie Steiger die Produktion ihrer Maschinen nach China verlagern.
Und Mikron?
Mikron stellt nach wie vor alle Werkzeugmaschinen in der Schweiz her und konzentriert sich auf Nischenmärkte, in denen die Kundschaft hohe Präzision, Produktivität und Qualität verlangt.
Diese Kundschaft ist auf der Suche nach langfristigen Erträgen und schätzt die Partnerschaft mit Mikron. Sie schätzt unsere Herkunft und unsere Schweizer Werte, die für Effizienz, Belastbarkeit und Compliance stehen.
Die Schweiz hat rund 30 Freihandelsabkommen abgeschlossen, oft zusammen mit der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA). Welche Bedeutung haben diese Abkommen für Mikron?
Das Abkommen mit der Europäischen Union ist sehr wichtig, weil es uns erlaubt, Produkte zu exportieren und Komponenten zollfrei zu importieren. Dadurch können wir unser Lieferantennetzwerk in der Eurozone erweitern.
In Bezug auf ferne Länder wie China kann unsere Kundschaft aufgrund von Abkommen von einer Senkung der Einfuhrzölle profitieren.
Diese Zollsenkungen sind zwar gering und schrittweise, sollten aber nicht vernachlässigt werden, da sie den Unterschied ausmachen können, einen Auftrag zu erhalten oder zu verlieren.
Ausserdem bieten diese Abkommen mehr Stabilität als andere vergleichbare Instrumente wie das Allgemeine PräferenzsystemExterner Link.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der Uhrenindustrie, die für Ihre Gruppe so wichtig ist?
Die Uhrenindustrie ist ein Bereich, in dem auf allen Ebenen Spitzenleistungen erbracht werden. Aber es ist auch eine sehr verschwiegene Industrie. Wir arbeiten langfristig mit einigen wenigen grossen Schweizer Uhrenmarken zusammen, dürfen diese aber nicht nennen.
Gibt es Uhrenfirmen, die ihre Werkzeugmaschinen selbst herstellen?
Einige Uhrenfirmen stellen – in Zusammenarbeit mit Partnerfirmen – «spezialisierte» Werkzeugmaschinen her, aber keine so komplexen wie jene von uns.
Wenn – sagen wir mal chinesische – Uhrenhersteller Mikron-Werkzeugmaschinen erwerben, könnten sie dann Produkte herstellen, die qualitativ den hochwertigen Schweizer Uhren ebenbürtig sind?
Sicher nicht, denn der Einsatz hochwertiger Werkzeugmaschinen ist dafür zwar notwendig, aber das allein reicht nicht aus.
Wie gehen Sie gegen illegale Kopien vor?
Wir besitzen viele Betriebsgeheimnisse und einige Patente. Einige Wettbewerber können zwar unsere Komponenten anhand der in unseren Patenten enthaltenen Details nachbauen oder unsere Ersatzteile imitieren. Aber sie sind nicht in der Lage, unsere Lösungsansätze zu kopieren.
Das liegt zum Teil daran, dass sie unsere Herstellungsverfahren nicht kennen und nicht über das nötige Knowhow verfügen, um sie zu optimieren.
Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub
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