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Mit Steuer: Staaten wollen Kriegsprofiteure zur Kasse bitten

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Die Internationale Energieagentur warnte im Juni, dass aufgrund der gestiegenen Energiepreise weitere 90 Millionen Menschen in Asien und Afrika keinen Zugang zu Strom haben. © Keystone / Urs Flueeler

Wer durch den Ukraine-Krieg fette Gewinne erzielt, soll zusätzlich besteuert werden. Solche Vorschläge kursieren in vielen Ländern, auch in der Schweiz. Während es eine starke moralische Rechtfertigung für eine solche Zufallsgewinnsteuer gibt, sind einige Ökonom:innen skeptisch, was ihren Nutzen angeht.

Anfang August forderte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, eine einmalige Steuer für Unternehmen, die von steigenden Preisen aufgrund des Ukraine-Krieges profitiert haben.

«Es ist unmoralisch, dass Öl- und Gasunternehmen aus dieser Energiekrise Rekordgewinne auf dem Rücken der ärmsten Menschen und Gesellschaften erzielen – zu massiven Kosten für das Klima», sagte Guterres Anfang August. «Ich fordere alle Regierungen auf, diese exzessiven Gewinne zu besteuern und die Mittel dafür zu verwenden, die schwächsten Menschen in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen.»

Guterres ist nicht der Einzige, der sich für eine Krisengewinnsteuer ausspricht. Mehrere Regierungen wie etwa in Italien und Spanien haben bereits eine solche Steuer eingeführt, und in vielen anderen Ländern wie der Schweiz gibt es politische Kampagnen, in denen eine so genannte Windfall Tax gefordert wird. Diese soll die durch die Pandemieverschuldung gebeutelten Staatskassen füllen und die Auswirkungen der höheren Treibstoff- und Lebensmittelpreise auf die Haushalte abfedern.

Während die Vorschläge in der Theorie gut klingen, warnen einige Ökonom:innen davor, dass sie unbeabsichtigte Folgen für die Menschen haben könnten, denen die Steuern helfen sollen. 

Worum geht es in der Debatte? Ein Erklärungsversuch.

Was ist eine «Windfall Tax»?

Eine Windfall-Steuer ist eine einmalige Zusatzsteuer auf Zufallsgewinne. Es werden also Unternehmen oder Branchen besteuert, die aufgrund von Marktbedingungen, für die sie nicht verantwortlich sind, grosse und unerwartete Gewinne – auch windfall profits genannt – erzielten.

Es gibt keine einheitliche Methode zur Einführung einer Windfall-Steuer. Sie kann in Form einer Abgabe oder einem festen Steuersatz auf Gewinnen oberhalb einer bestimmten Höhe oder in einem Ausfuhrzoll bestehen.

Warum wird sie jetzt diskutiert?

Viele Unternehmen aus dem Energie- und Rohstoffsektor profitieren davon, dass die Energiepreise in Folge der Sanktionen und der Unterbrechung der Gaslieferungen durch Russland durch die Decke gehen. Mehrere Unternehmen haben Rekordgewinne erzielt, darunter viele Rohstoffhändler in der Schweiz. Ein Beispiel: Der Nettogewinn des Energiehändlers Gunvor hat sich in den ersten sechs Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 841 Millionen Dollar fast vervierfacht.

Währenddessen treffen die steigenden Brennstoff- und Lebensmittelpreise die Ärmsten am härtesten, denn viele haben Mühe, ihre Häuser zu heizen, Essen zu kochen oder schon nur das Licht einzuschalten. Das Welternährungsprogramm schätzt, dass durch die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine bis Ende des Jahres zusätzliche 47 Millionen Menschen von einer extremen Hungersnot betroffen sein werden. 

Einige Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam und manche Politiker:innen haben die Idee einer Zufallsgewinnsteuer vorgebracht, damit die Gelder an Menschen umverteilt werden, die am stärksten von den Folgen des Krieges betroffen sind.

«Dies ist ein sehr offensichtlicher Moment für eine ‹Windfall Tax›, denn es gibt eine Industrie, die eindeutig überdurchschnittliche Gewinne macht, während die normalen Menschen, welche die Konsumierenden dieser Industrie sind, mit sehr hohen Kosten konfrontiert werden», sagte Alex Cobham, Geschäftsführer des Tax Justice Network, gegenüber der Deutschen Welle.

Schon vor dem Krieg war wegen der Corona-Pandemie die Rede davon, einige Unternehmen wie Maskenhersteller und Impfstoffproduzenten zu besteuern. Der Direktor der schweizerischen Konjunkturforschungsstelle KOF schlug 2020 in einem Interview vor, dass die Gewinner der Pandemie wie Lebensmitteleinzelhändler, Online-Shops und Pharmaunternehmen stärker besteuert werden sollten.

Wurde sie jemals angewendet?

In der Geschichte gibt es mehrere Beispiele für eine solche einmalige Steuer. Nach Angaben der Tax Foundation, einer unabhängigen steuerpolitischen NGO mit Sitz in den Vereinigten Staaten, kam die Idee bereits 1915 auf, als Dänemark und Schweden die so genannte «Stew Tax» («Eintopfsteuer») einführten, eine einmalige Steuer auf Unternehmen, die Lebensmittel nach Deutschland exportierten.

Die USA führten eine Steuer auf Gewinnüberschüsse während des Ersten und Zweiten Weltkriegs ein – und erneut 1980 nach dem so genannten Ölschock. Auch das Vereinigte Königreich führte während des Ersten Weltkriegs und dann erneut 1981 eine Zufallsgewinnsteuer ein, als die Regierung Banken besteuerte, die von hohen Zinssätzen profitierten. Im Jahr 1997 führte das Vereinigte Königreich auch eine Steuer auf Unternehmen in Branchen ein, die privatisiert worden waren. 

Auch andere Länder haben Steuern auf unerwartete Gewinne getestet. Die Mongolei führte 2006 eine Steuer auf die Gewinne der dort tätigen Bergbauunternehmen ein. Im Jahr 2009 wurde die Steuer wieder abgeschafft. 

Wie sehen die aktuellen Vorschläge für eine «Windfall Tax» aus?

Mehrere Länder haben Versionen einer «Windfall Tax» eingeführt, um die Staatshaushalte aufzufüllen und Menschen zu unterstützen, die von Krieg und Pandemie besonders betroffen sind. 

Im März forderte die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten auf, vorübergehende steuerliche Massnahmen auf unerwartete Gewinne zu erwägen, um höhere Energierechnungen auszugleichen. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat vorgeschlagen, eine Steuer auf unerwartete Gewinne zu erheben, um die Haushalte von den Auswirkungen der Inflation zu entlasten.

Im Mai 2022 führte das Vereinigte Königreich eine 25-prozentige Energiegewinnabgabe auf «die ausserordentlichen Gewinne des Öl- und Gassektors» ein. Dadurch sollen im nächsten Jahr rund fünf Milliarden Pfund eingenommen werden, die nach Angaben der britischen Regierung «zur Unterstützung der Menschen bei der Bewältigung der neuen Lebenshaltungskosten» verwendet werden sollen. 

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Italien, Rumänien, Spanien und Griechenland haben eine «Windfall Tax» eingeführt, die hauptsächlich den Energiesektor betrifft. Italien rechnet mit Einnahmen in Höhe von 11 Milliarden Euro aus einer einmaligen Steuer von 25 % auf Energieunternehmen. Die niederländische Regierung kündigte an, den Mehrwertsteuersatz auf Energie zu senken und gleichzeitig die Verbrauchssteuern auf Benzin und Diesel zu reduzieren. 

Ugandas Regierung verabschiedete im Dezember eine Sondersteuer, die auf die Einnahmen von Ölunternehmen erhoben wird, wenn der Preis pro Barrel über 75 Dollar steigt. Auch Indien führte eine «Windfall Tax» in Form einer Exportsteuer für inländische Ölproduzenten ein, senkte sie jedoch 20 Tage später, nachdem die Ölpreise gefallen waren.

Auch in mehreren anderen Ländern, darunter die USA, Deutschland und die Schweiz, wird darüber diskutiert, doch gibt es dort mehr politischen Widerstand.

Der deutsche Finanzminister lehnte Mitte August die Idee einer Sondersteuer mit der Begründung ab, sie würde die Marktkräfte stören. Schweizer Politiker:innen aus linken und Mitte-Parteien setzen sich für eine auf den Rohstoffsektor ausgerichtete Gewinnsteuer ein, die im September im Parlament diskutiert werden dürfte. Die Schweizer Regierung hat die Idee bisher mit dem Argument abgelehnt, dass es nicht möglich sei, normale Gewinne von kriegs- oder krisenbedingten «Übergewinnen» zu trennen, und dass es im Steuerrecht keine Bestimmungen für branchenspezifische Steuern gebe.

Warum ist die Steuer umstritten?

Wenig überraschend: Windfall-Steuern werden von den betroffenen Industrien verachtet. Sie sehen darin eine willkürliche Steuer, die Unsicherheit über künftige Steuern schürt und Investitionsanreize verzerrt.

Auch Wirtschaftswissenschaftler:innen stehen solchen Plänen skeptisch gegenüber. «Wie trennt man gute von schlechten Gewinnen?», sagt Mark Schelker, Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Freiburg. «Was wäre, wenn Solarenergie hoch profitabel wäre? Würden wir dann auch eine Besteuerung in Betracht ziehen? Das könnte ein Slippery Slope [Dammbruch] sein.»

Eine weitere praktische Herausforderung besteht darin, den normalen Gewinn vom «Überschussgewinn» zu trennen, der das Ergebnis eines Krieges oder einer Krise ist. 

Daniel Bunn von der Tax Foundation sagte gegenüber swissinfo.ch: Wenn ein Land seine Unternehmenssteuer-Bemessungsgrundlage korrekt gestalte, sollte es unerwartete Gewinne ohne spezielles Instrument erfassen können.

Gewinne werden bereits besteuert, und es gibt einige Schweizer Kantone mit progressiven Steuersätzen, was bedeutet, dass höhere Gewinne mit einem höheren Satz besteuert werden. Die Schweiz ist eines von vielen Ländern, die es Unternehmen erlauben, Verluste während sieben Jahren mit Gewinnen zu verrechnen, was die zu versteuernden Einkünfte senkt. Die Abschaffung bestimmter Abschreibungen oder Aktienrückkäufe, welche die Steuerbemessungsgrundlage schmälern, könnten ebenfalls dazu beitragen, dass Gewinne vollständig besteuert werden.

Es gibt zudem keine Garantie dafür, dass die Steuereinnahmen denjenigen zugutekommen, die sie am meisten brauchen. Das hängt davon ab, wie die Regierungen die Steuereinnahmen ausgeben. Ökonom:innen wie Schelker befürchten ausserdem, dass die Unternehmen die höheren Steuerzahlungen in Form von höheren Preisen an die Konsumierenden weitergeben werden. 

Für die Befürwortenden einer solchen Steuer ist die aktuelle Krise eine Ausnahmesituation, die aussergewöhnliche Massnahmen erfordert. Schätzungen zufolge würde eine Steuer von 90% auf überschüssige Gewinne weltweit etwa 490 Milliarden Dollar einbringen, mit denen Millionen von Menschen vor einer Hungersnot bewahrt werden könnten. «Im Jahr 2022 ist eine Nahrungsmittelkrise dieses Ausmasses moralisch nicht akzeptabel, und wir alle müssen Verantwortung übernehmen und handeln», sagte Gabriela Bucher, Geschäftsführerin von Oxfam.

Aus dem Englischen adaptiert von Sibilla Bondolfi

Sibilla Bondolfi

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