Auf Montage
Er lebt im Zentrum von Irgendwo. Sein Blick aus Hotelzimmern fällt auf die grossen Städte dieser Welt. Der Aargauer Konrad Fellmann wollte nach dem Studium etwas sehen. Nun lebt er acht Monate im Jahr aus dem Koffer.
Der Aargauer Konrad Fellmann wollte nach dem Studium etwas von der Welt sehen. Andere legen dafür ein Zwischenjahr ein. Der heute 28-jährige Elektrotechniker heuerte bei einem internationalen Medizintechnik-Unternehmen an und richtet seither Maschinen zwischen Belgien und Saudi-Arabien ein.
In seinen ersten anderthalb Jahren im Globetrotter-Job war Fellmann beruflich in elf Ländern auf drei Kontinenten. Es ist ein gleichermassen unstetes und abgesichertes Leben. Dieser Rhythmus prägt.
«Einmal Aserbaidschan reicht – ausser man schickt mich.»
Baku.
Meist weiss ich etwa zwei Wochen im Voraus, wohin es als nächstes gehen könnte. Das Visum kann ich bereits beantragen, aber ob ich dann wirklich reise, weiss ich es erst ein paar Tage davor. Nach dem Studium wollte ich nicht im Büro landen, darum habe ich einen Job wie diesen gesucht.
Privat wäre ich nie auf die Idee gekommen, nach Aserbaidschan zu reisen. Überall diese uralten, klischeehaften Erdölpumpen am Strassenrand! Im Hafen von Baku riechst du es und siehst den Ölfilm auf der Wasseroberfläche. Sicher kein Urlaubsziel nach meinem Geschmack – und wenn doch, hätte ich den sprachlichen Graben zwischen Russisch- und Aserisprechenden wohl nicht so intensiv erlebt.
So spannend es war: Einmal Aserbaidschan reicht mir – ausser natürlich man schickt mich. Auch nach Saudi-Arabien wäre ich nicht einfach so gereist – und die zwei Wochen dort haben mein Blick auf das Land verändert. Wer durch die Welt reist, bleibt immer Tourist. Aber wenn du mit einem lokalen Team für einen Monat in einem Land arbeitest, bekommst du mehr mit. Zumindest minim mehr.
«Du bekommst mehr mit. Zumindest minim mehr.»
Türkei.
Du kommst an Orte und entwickelst einen anderen Bezug dazu, weil du siehst, wie die Dinge dort laufen. Natürlich mache ich mir über meinen CO2-Fussabdruck Gedanken. Da es medizinische Anlagen sind, für die ich diese verpflichtete Weltreise unternehme, halte ich die Fliegerei aber für ethisch vertretbar. Für eine Rüstungsfirma hätte ich diese Weltreise nicht angetreten.
«Für mein Umfeld ist das nicht ganz einfach.»
Nevada.
Ich lebe in einer Vierer-WG mit meiner Partnerin und zwei weiteren. Auf einen Monat auf Montage folgen zwei bis drei Wochen in der Schweiz. Das ist normalerweise mein Rhythmus. Wenn ich zuhause bin, bin ich sehr intensiv da. Dann muss ich nur selten ins Büro, erledige Papierkram von zuhause aus und kompensiere Arbeitszeit.
Für mein Umfeld ist das nicht ganz einfach. Plötzlich bin ich morgens zuhause, wenn meine Partnerin zur Arbeit geht und abends, wenn sie zurückkommt, ebenfalls. Mit mir kann man auf keinem Ämtchenplan rechnen. Wenn ich in der Schweiz bin, übernehme ich viel Hausarbeit, aber niemand weiss im Voraus, wann ich wieder verreise.
Die einzigen privaten Termine, die ich sicher einhalten kann, sind die Spielrunden mit Freunden per Skype-Videochat. Sonst ist langfristiges Planen kaum möglich. Für jedes Geburtstagsfest, bei dem ich sicher dabei sein will, muss ich Ferien eingeben.
«Die Zeit vergeht schnell.»
Antwerpen.
An manchen Orten holen mich die lokalen Mitarbeiter beim Hotel ab. Den ganzen Tag über arbeiten wir in einem kleinen Team, abends essen wir oft gemeinsam auswärts. Es entwickelt sich irgendwas zwischen Bekanntschaften und Freundschaften. Ich finde, da müssen sich die Kategorien öffnen.
In Israel hat mir eine palästinensische Mitarbeiterin Dinge anvertraut, die sie ihren anderen Kollegen nicht sagt, nichts Schlimmes, aber als Aussenstehender werde ich anders wahrgenommen.
Die meisten, mit denen ich arbeite, sehe ich wahrscheinlich nie wieder. Mit einigen aus Aserbaidschan stehe ich noch im Kontakt, aber eine Chance auf einen Besuch in der Schweiz werden die nie haben. Ich bin vier Wochen intensiv dort und dann wieder weg.
«Einmal warmer Hummus mit Pilzen und Ei bitte.»
Tel Aviv.
Die Frage, ob Huhn vegetarisch ist, begegnet mir häufig. Darauf folgt dann noch: Aber Fisch ganz sicher, oder? Je nach Land ist es für mich als Vegetarier sehr schwierig, etwas zu essen zu finden.
In Aserbaidschan gibt es kaum vegetarische Küche. Dort habe ich vor allem Italienisch gegessen. Dafür sind Athen und Tel Aviv Vegetarier-Paradiese. In Athen hat mich ein Ingenieur – selbst Hardcore-Veganer, der gegen Burgerketten demonstriert – in die vegane Restaurant-Szene eingeführt.
Auch in Israel fand ich in kleinen Städten kaum etwas Vegetarisches, aber Tel Aviv war grossartig. Einmal warmer Hummus mit Pilzen und Ei und du hast für den Tag genug gegessen.
Wenn ich ankomme, ist die Maschine, die ich einrichte, bereits vor Ort. Ich selbst reise immer nur mit meiner 30-Kilogramm-Toolbox mit dem teuren, kalibrierten Werkzeug.
Am israelischen Zoll ist mir das zum Verhängnis geworden: Ich wurde aus der Schlange genommen und fünfzig Minuten lang befragt. In meinem Pass sind eben viele Visa – zum Beispiel auch jenes aus Saudi-Arabien. «Was haben Sie in Saudi-Arabien gemacht?» Dann habe ich das erklärt, sogar Arbeitsmails gezeigt, die meine Tätigkeit belegen.
Anstrengend wurde es bei den Fragen, die gegenüber Laien kaum zu beantworten sind. Sie wollten wissen, wie die Maschine funktioniert. «Sie beschleunigt Elektronen», hab ich geantwortet. Als nächstes dann: «Was sind Elektronen?» «Ähm… Es ist eine grosse Mikrowelle.» Ich hab das so nirgends erlebt, noch nicht mal in den USA.
«Ich verdiene nicht schlecht und gebe kaum aus.»
Las Vegas.
Mit dreissig in Rente kann ich nicht, nein. Ich verdiene aber schon nicht schlecht und gebe kaum Geld aus, weil Kost und Logis auf Spesen gehen. Im Durchschnitt bleiben die Leute in meinem Team vier Jahre im Job.
Wie lange ich diesen Job also noch mache? Sicher noch ein paar Jahre. Die Zeit vergeht so schnell, wenn du ein paar Wochen intensiv wo arbeitest. Gleichzeitig schätzt du es dann sehr zuhause zu sein. Vielleicht ist es der Wechsel zwischen hier und weg, der die Zeit so kurz erscheinen lässt. Es fühlt sich an, als wäre ich gerade erst gestartet.
«Ich bin vier Wochen intensiv dort. Und dann wieder weg.»
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch